An der Klima-Bibel schreiben Hunderte mit

In den IPCC-Berichten wird der Stand der Wissenschaft zum Treibhauseffekt zusammengefasst – von der Politik abgesegnet

PARIS taz ■ Vier Tage und drei Nächte haben die Delegationen aus 130 Ländern im Pariser Hauptquartier der Unesco um jedes Wort der „Zusammenfassung für Entscheider“ des IPCC-Reports gerungen. Denn der Text wird für die kommenden Jahre als Grundlage für Verhandlungen, Verträge und möglicherweise einschneidende Maßnahmen in der internationalen Klimapolitik dienen. Die IPCC-Berichte haben so viel Gewicht, weil dieses UN-Gremium ein Zwitterwesen aus Wissenschaft und Politik ist: Die Reports sind einerseits wissenschaftlich fundiert und spiegeln den überwältigenden Konsens der Fachwelt zu den Fragen des Klimawandels. Andererseits ist der Bericht von allen Regierungen, auch den klimaskeptischen und Öl produzierenden, abgesegnet. Kein Wunder, dass die Beteiligten bei der Redaktion dieser „Bibel des Klimawandels“ penibel bis aufs Komma sind.

Das IPCC wurde 1988 von den UN-Behörden für Meteorologie (WMO) und Umwelt (Unep) ins Leben gerufen. Das Ziel: das aktuelle Wissen über Klimaveränderungen zusammentragen und mögliche Gegenmaßnahmen vorschlagen. Dafür wählt das Büro in Genf – auf Vorschlag der Mitgliedsstaaten – mehrere hundert Wissenschaftler aus. Und natürlich werden die von ihren Regierungen schon mal bedrängt. So erschien erst diese Woche ein Bericht, nach dem sich die US-Regierung im vergangenen Jahr mindestens 435 Mal in die Arbeit von Klimaforschern eingemischt hat. Die IPCC-Berichte sollen trotzdem unabhängig sein, beteuern die beteiligten Wissenschaftler. „Die Argumente, die ausgetauscht werden, sind wissenschaftlicher und nicht politischer Natur“, sagt etwa der französische Klimaforscher Jean Jouzel.

Tatsächlich sind die Berichte von schonungsloser Offenheit. Schon der erste Report 1990 ist alarmierend: Die Erde erwärmt sich um 0,3 Grad pro Jahrzehnt – und damit so schnell wie in den letzten 10.000 Jahren nicht. Konsequenz: 1992 auf dem UN-Umweltgipfel in Rio wird die Klimarahmenkonvention verabschiedet, in der sich mehr als 150 Staaten verpflichten, das Klimasystem zu erhalten und eine „gefährliche Störung“ zu verhindern.

1995 folgt der zweite IPCC-Bericht. Sein Tenor: Der Mensch ist für den Klimawandel verantwortlich. Um den Satz „Mehrere Anzeichen sprechen dafür, dass es einen erkennbaren menschlichen Einfluss auf das Klima gibt“ wird bei der entscheidenden Sitzung in Madrid einen ganzen Tag debattiert, erinnert sich Klimatologe Jouzel. Die Experten erwarten einen Anstieg der Temperaturen zwischen 1 und 3,5 Grad Celsius bis 2100 und machen vor allem das CO2 aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe dafür verantwortlich. Der Bericht ist die Grundlage für das Kioto-Protokoll, das 1997 unterzeichnet wird. In ihm erkennen die Industriestaaten erstmals an, dass sie ihre Emissionen reduzieren müssen – insgesamt um 5,2 Prozent gegenüber 1990.

Der dritte IPCC-Report erscheint 2001. Er bekräftigt, dass die Veränderungen des Klimas Jahrhunderte andauern werden. Neue Computermodelle sagen genauer den Anstieg des Meeresspiegels, die Veränderung von Niederschlägen und Temperaturen voraus, die bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen sollen. Trotz der Abkehr der USA vom Klimaschutz sind die Fakten des IPCC stark genug, um eine „Koalition der Willigen“ um die EU zu bilden, die das Thema weiterhin, auch auf dem UN-Gipfel in Johannesburg oder der Konferenz „renewables 2004“ in Bonn, in der Debatte hält.

Auch der vierte Bericht wird seine Folgen haben. Kurz nach der gestrigen Vorstellung des Berichts der IPCC-Arbeitsgruppe I begann ein paar Straßen weiter die Konferenz „Citoyens de la Terre“. Auf ihr will der scheidende französische Staatspräsident einen entscheidenden Anstoß geben für eines seiner Lieblingsprojekte: die Schaffung einer UN-Organisation für die Umwelt. Mit dem IPCC-Bericht im Rücken will Frankreich, unterstützt von der EU und vielen NGOs, Druck aufbauen, um die bisherige Unep zu einer Uneo auszubauen und damit ihre Arbeit effektiver zu machen. Umwelt und Klima, so die Botschaft, sollen zu zentralen Aufgaben der UNO werden. BERNHARD PÖTTER