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Archiv-Artikel

Bye-bye Lovelite

ABSCHIED Das Lovelite war mehr als ein Club. 15 Jahre lang bot es Raum für Kunst, Theater und Kiezinitiativen. Nun muss es doch Eigentumswohnungen weichen. Für den Kiez in Friedrichshain bedeutet das eine Zäsur

15 Jahre, das ist verdammt lang für einen Club, der als Zwischennutzung geplant war

VON MALTE GÖBEL

Quietschend öffnet sich das rote Eisentor an der Simplonstraße 38 – im Hof dahinter herrscht munteres Chaos. Bänke liegen herum, Getränkekisten, Brennnesseln wuchern am Rand, eine Birke streckt sich der Sonne entgegen, unter einem Dach stapeln sich noch mehr Getränkekisten, daneben Kühlschränke, die Wände sind voll mit Streetart. „Entschuldige das Chaos“, sagt Hauke Stiewe, 43, streckt einem die Hand entgegen. Lausbubengesicht, Trainingshose, verwaschenes Shirt mit Pentagramm, Wasserspritze und der Aufschrift „Wasser Armee Friedrichshain – Militanter Arm der FAZ“. Hauke deutet auf das Gerummel. „Wir reißen gerade die eine Bar ab“, erklärt er. Das Lovelite macht zu. Nach 15 Jahren. Freitag ist Geburtstagsparty, Samstag dann Abschiedsfestival. „Am 4. August rücken die Bagger an.“ Und dann kommen hier Eigentumswohnungen hin.

Schade. Wobei: 15 Jahre, das ist verdammt lange für einen Club, der von Anfang an als Zwischennutzung geplant war. Das Lovelite ist eine typische Berlin-Geschichte, der Charme des Unfertigen, des Improvisierten, des Selbstgemachten. Eine DDR-Schrauberwerkstatt umfunktioniert zu einem Freiraum mit Party, Kunst, Konzerten und Aktionen. Um so trauriger, dass es den neuen Realitäten weichen muss: Mit dem Lovelite stirbt ein Stück Kiez, ein Stück Berlin.

„Sterbehilfe Berliner Häuser e. V.“

Dabei trug das Lovelite den Übergang von Anfang an im Namen. „Sterbehilfe Berliner Häuser e.V.“ hieß der Trägerverein des ersten Lovelite 1998 in einem Abrisshaus in der Dirschauer Straße, schon damals ein Multifunktionsraum für Kunst, Theater, Party. Illegal sowieso. Nach sechs Monaten Sterbehilfe war das Haus tot, man suchte per Annonce ein neues – und bekam die ehemalige Schrauberwerkstatt in der Simplonstraße angeboten, etwas ab vom Schuss, aber groß genug, zwei Garagen, Hof. Perfekt für die vier damaligen Lovelite-Macher. „Für uns war es am Anfang eher ein Kunstprojekt als ein Club“, erzählt Maik Schierloh, der heute den Kunstraum Autocenter betreibt. Sie strichen die Räume weiß, Möbel holten sie aus leer stehenden Häusern in der Dirschauer Straße.

„Als wir hier anfingen, war alles grau“, erinnert sich Mitgründer Jochen Ströh, damals Funk-DJ, heute Soundtechniker. „Im Hof wuchs keine einzige Pflanze.“ Heute sprießen Brennnesseln, Birke und Linde, Schlingpflanzen überwuchern die Mauer. Grau ist sowieso nichts mehr: Die Wände sind bunt bemalt oder beklebt, Streetart, Graffiti, Poster.

Nicht lange nach der Eröffnung 1999 flog der illegale Club auf, die Polizei räumte das Lovelite nach einer Party – „also haben wir es legal gemacht“, erzählt Jochen: Sie bauten Brandmauern ein, Toiletten und Türen, installierten mithilfe des Quartiersmanagements eine Heizung. 2001 öffnete das Lovelite wieder, nicht nur als Club („Techno-Partys haben wir nie gemacht“, sagt Maik), sondern als Raum für alles Mögliche, Funk-Partys, Ausstellungen, Theater, Konzerte, Lesungen. „Wir waren von Anfang an nicht auf Kommerz aus“, erzählt Maik, „es war ein soziokulturelles Zentrum.“ Die vier Besitzer entwickelten nach und nach ihre eigenen Projekte, der Kunstraum „Autocenter“ entstand, das Lovelite-Studio. 2007 entschieden die vier, sich auf ihre Projekte zu konzentrieren: das Autocenter zog aus und sorgte weiter für Impulse in der Berliner Kunstwelt, das Studio von Jochen ist noch da, zieht nun in die Storkower Straße.

2007: Hauke Stiewe übernimmt

Mit Hauke Stiewe übernahm eine Friedrichshainer Kiezgröße das Lovelite. Ein umtriebiger Typ: 1990 aus Bremen nach Berlin gezogen, besetzte er Häuser, buddelte mit Spitzhacke den Keller aus und eröffnete das Sama-Café, schmiss später den Fischladen und dann den WAF-Salon in der Rigaer Straße. Er mischte bei der Wasser Armee Friedrichshain mit, erfand die Wasserschlacht, trat als Kandidat der satirischen Bergpartei an. Das Symbol der Wahlkämpfe, ein überforderter Hase, ziert auch im Lovelite in Aufkleber- und Posterform diverse Wände.

Hauke strich die Räume schwarz, baute ein Kassenhäuschen und ein Backstage, riss Wände ein und brach eine zusätzliche Tür in die Mauer. Und änderte das Konzept: Nicht mehr das Lovelite organisiert, sondern es bietet anderen Leuten und Projekten einen Raum. Auch auf Soli-Basis und für wenig Geld, damit niemand ausgeschlossen wird: Gut laufende Veranstaltungen tragen die politischen oder sozialen mit. Alle zwei Wochen gab es Pizza für zwei Euro, Bier für einen. „Eigentlich war das hier totaler Luxus“, sinniert Hauke, „eine Insel in der Großstadt für gestresste Leute.“ Er meint nicht Workaholics, sondern Leute, die sich in der Workaholic-Gesellschaft nicht zurechtfinden. Doch Freiräume wie das Lovelite gibt es immer weniger.

Der Kiez wandelt sich: 1999 war das RAW-Gelände an Revaler und Warschauer Straße noch eine verwilderte Brache, heute kommt man sich dort an Wochenenden vor wie auf der Reeperbahn. Um das Lovelite entstanden weitere Clubs, das Rosis, das Morlox, das WYSIWYG/R17 – falls sie nicht eh schon geschlossen sind, sind ihre Tage gezählt. „Revaler Spitze“ heißt das Gebiet im Jargon der Stadtentwickler, die ersten Neubauten stehen bereits: fünf Stockwerke mit Fahrstuhl, sauber, Eigentumswohnungen. „Der Drops ist gelutscht“, sagt Hauke Stiewe, er wirkt gefasst. „Dass wir rausmüssen, war schon lange klar. Ich bin froh, dass wir die letzten anderthalb Jahre noch machen konnten.“

„Das sind keine bösen Immobilienhaie“

An die Stelle des Lovelite kommt ein energieeffizientes Haus mit Eigentumswohnungen, geplant von einer Baugemeinschaft aus drei Architekten. „Das sind keine Immobilienhaie, keine Bösen. Die sind korrekt.“ Natürlich ist Hauke gegen diesen Wandel, Wohnraum für Reiche. Immerhin: Die Hausbauer boten dem Lovelite sogar an, die Gewerbeeinheit im Erdgeschoss des neuen Hauses zu übernehmen: Kneipe oder Café, allerdings ohne Partys. „Das ist okay“, sagt Hauke. „Ich bin gerade 43 geworden, ich muss nicht mehr durchfeiern.“ Aber wie bezahlen? Das Lovelite hat nie Gewinn gemacht. Hauke bastelt an einem Konzept. Nicht umsonst kennt er in Friedrichshain fast jeden.

Aber erst mal heißt es Abschied nehmen: Freitag die 15-Jahres-Feier mit DJs ab 22.30 Uhr, Samstag ab 16 Uhr das Abschiedsfestival mit Bands und DJs. „Wir werden uns ganz dreckig besaufen und schlimme Hits auflegen, Dorfdisko – Hauptsache, man tanzt.“ Am 4. August kommen die Bagger. „Bald kann ich dann ganz viel ausschlafen“, sagt Hauke. „Vielleicht schreibe ich ja ein Buch.“ Über den Friedrichshain, wie er mal war.

■ Lovelite: Simplonstr. 38–40 Freitag, 22.30 Uhr, „15 Jahre Lovelite“ mit Polkageist, Djane Karacho Rabaukin, Wardita u. a. Samstag, 16 Uhr, „Bye bye Lovelite Festival“ mit F.W. Smolls, The Outis Nemo One Man Band, Candelilla, Hodja und Dizzy Birds