: „Gebt mir 20 Euro und ich spiel euch den Zigeuner!“
DER ROMA-AKTIVIST Hamze Bytyci ist Bürgerrechtler, Schauspieler und Theaterpädagoge. Er hat die Organisation Amaro Drom mitgegründet, die das Selbstwertgefühl jugendlicher Roma stärken will, und arbeitet an Schulen, um Vorurteile abzubauen. Ein Gespräch über Klischees, nächtliches Nägelschneiden und den Führerkomplex der Deutschen
■ Der Mensch: Geboren wird Hamze Bytyci 1982 in Prizren, Kosovo. 1989 kommt die Familie mit zwei Söhnen nach Deutschland, ein Bruder wird im Heim geboren. Über Zwischenstationen in Asylbewerberheimen landet die Familie 1992 in Freiburg.
■ Der Bürgerrechtler: Seine ersten Gehversuche als Roma-Aktivist (dieses Wort mag er nicht) macht Bytyci 1991 im Kirchenasyl in Tübingen. In Freiburg ruft er 2005 die Organisation Amaro Drom (Unser Weg) ins Leben, die das Selbstwertgefühl von jugendlichen Roma fördern möchte. 2010, bereits in Berlin, gründet er mit anderen den Berliner Landesverband Amaro Foro (Unsere Stadt). Diese Jugendorganisation ist heute ein wichtiger Player im Berliner Hilfesystem für Menschen aus Südosteuropa. 2011 legt Bytyci seine Ämter in beiden Vereinen nieder. Er gründet den Verein RomaTrial mit ähnlicher Zielsetzung: Kampf gegen den „Zigeunerhass“.
■ Der Pädagoge: Seit 2007 arbeitet Bytyci als selbstständiger Theater- und Medienpädagoge an verschiedenen Beliner Schulen. Unter anderem betreut er Schulverweigerer, ist Einzelfall- und Familienhelfer und macht Projekte gegen Vorurteile.
■ Der Schauspieler und Regisseur: Bytyci spielt und inszeniert an kleineren Theatern in Deutschland und der Schweiz. Zudem wirkte er in einigen Filmen mit, unter anderem in „Rosas Höllenfahrt“ und „Leyla“.
■ Der Mahner: Zum Gedenken an den 70. Jahrestag der Liquidation des „Zigeunerfamilienlagers“ in Auschwitz am 2. August ist Bytyci Mitveranstalter einer Gedenkfeier am Holocaustmahnmal der Sinti und Roma. 22 Uhr, Simsonweg, 10117 Berlin. Mehr Infos unter www.romatrial.org (sum)
INTERVIEW SUSANNE MEMARNIA FOTOS AMÉLIE LOSIER
taz: Herr Bytyci, würden Sie gerne mal in einem Luxushotel übernachten – sagen wir, im Hilton?
Hamze Bytyci: Als Kind stand ich mal vor einem richtigen Luxushotel, dem Colombi in Freiburg. Da kam ein Portier und guckte mich an wie der Zivi am Empfang im Erstaufnahmelager. „Ja, guten Tag?“ – „Hallo. Familie Bytyci wollen Asyl.“ Er reichte uns ein Papier, das wir ausfüllen sollten. Unseren Namen beschnitt er dann: Das „ç“ verlor sein Schwänzchen. Und er guckte so von oben herab, dass ich mich nicht traute, die schöne Hotellobby näher zu betrachten. Da sagte ich mir: Irgendwann hole ich mir mein „ç“ zurück.
Und heute ist das so?
Na ja (lacht), jetzt habe ich sowohl mein Schwänzchen zurück als auch mein eigenes Hotelzimmer. Bei einem Wettbewerb in Wien haben wir 2011 die originale Hilton-Zimmereinrichtung Nr. 437 von dem Künstler Joachim Eckl gewonnen – für die Idee, daraus eine Wanderbühne zu machen. Auf der trete ich nun öfter mit Gästen auf. Wir reden über Roma-Minderheiten, Heimat, Identität und das Lachen.
Bei der Performance, die ich gesehen habe, haben Sie vor allem mit Klischees über Roma gespielt.
Mit der Wahrheit. Klischees sind ja ein Stück Wahrheit. Nur blöd, dass man die andere Seite der Medaille, die Unwahrheit, nicht sieht – das möchten wir ändern.
Was sind denn die gängigsten Klischees über Roma?
Da gibt es alles Mögliche. Roma sind ja zum Beispiel nicht die Einzigen, die Fahrscheine kopieren und Leuten verkaufen. Aber wenn ein Rom in der U-Bahn am Hermannplatz Fahrscheine verkauft, werden die besonders genau angeguckt. Und das ist gut so. (lacht)
Ist da denn was dran?
Beim Thema Roma kann man alles sagen, und irgendjemand glaubt’s. Prima ist auch das Klischee des gekauften Rom, damit spiele ich am liebsten. Gebt mir 20 Euro und ich spiel euch den Zigeuner, nackt putzend oder sonst wie.
Was sind denn für Sie typische Deutschland-Klischees?
Zum Beispiel diese Leute, die alles bierernst nehmen und bei der WM über die Fahnen gemeckert haben. Das ist doch sehr deutsch, dieser Verrat an der eigenen Person. Ich dagegen bin zwar nur zu 25 Prozent deutsch – über meinen Sohn, der ist 50 Prozent. Aber ich bin stolz darauf, dass wir die Drecksgauchos rausgekickt haben, dieses miese Drittweltland. Solche Gefühle sind wichtig. Aber die Deutschen trauen sich nix zu. Wir haben so einen Führerkomplex.
Ist dieses ganze Thema nicht viel zu ernst, um da humoristisch heranzugehen?
Das ist nicht humoristisch. Überhaupt nicht. Das ist meine Erzählweise mit einer anderen Perspektive. Aus der Sicht der Zuhörer fange ich irgendwo an und höre anderswo auf. Aber wer will bestimmen, wo der Anfang einer Geschichte ist? Und was ist mit der Vorgeschichte? Die meisten Leute wissen hinterher weniger als zuvor. „Der redet ja ganz schön viel – und wirr. Was will er denn sagen? Gibt es die Roma überhaupt?“ Das ist wahrscheinlich das, was man sich nach meinen Auftritten bei einem Gläschen fragt. Und auch ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist das Roma-Sein einfach eine Krankheit.
Wie hat Ihre Beschäftigung damit angefangen?
Ich war in der Schweiz, hatte mein erstes Theater-Engagement, fühlte mich mächtig stolz und lernte die Mutter meines Sohnes kennen. Aber sie begann Fragen zu stellen, auf die ich keine Antwort hatte: Roma, was ist das? Was gefällt dir daran? Darum habe ich mit ihr den Verein Amaro Drom gegründet. Ich wollte herausfinden, was das heißt, Roma sein.
Aber es gibt doch viele Sinti-und-Roma-Verbände, allen voran den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Was braucht es da noch einen?
Stimmt, man sollte sie am besten alle abschaffen (lacht). Nein, Quatsch, es ist gut, dass es sie gibt. Aber sie alle vertreten, wie der Name sagt, eigentlich nur die Minderheit der deutschen Sinti und Roma. Für Migranten-Roma jedoch gab es vor Amaro Drom eigentlich keine Organisation, höchstens den Rom e. V. in Köln. Der Zentralrat befürchtet allerdings eher, wegen der Migranten-Roma einen Imageschaden zu erleiden, als dass er uns als Chance sieht.
Sie haben später noch einen Verein gegründet, RomaTrial. Sie haben mal gesagt, das kann man auch „Rohmaterial“ lesen. Was bedeutet das? Ist Roma-Sein ein Baukasten, aus dem sich jeder nach Belieben bedienen kann?
Eher ein Sandkasten. Das Roma-Sein ist total auf Sand gebaut: Sobald es regnet, wird es matschig.
Und was macht dieser Verein?
Bei RomaTrial setz ich da an, wo ich bei dem alten Verein aufgehört habe. Dort habe ich zum Beispiel Herdelezi initiiert, das Frühlingsfest, oder die Gedenkfahrten nach Auschwitz. Dieser Tag wird nun mehr und mehr zu einem Roma-Holocaust-Gedenktag, denn an diesem Tag wurde 1944 das sogenannte Zigeunerlager liquidiert, und knapp 3.000 Menschen wurden umgebracht. Da nun jedes Jahr mehrere hundert Jugendliche nach Polen fahren und dies nicht ganz wie eine Fahrt nach Disneyland aussehen soll, versuchen wir seit letztem Jahr, mit Unterstützung des Bundes Roma-Verbandes und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, diese Tradition des Gedenkens auch in der Hauptstadt der Täter zu etablieren. Dieses Jahr jährt sich die Tragödie zum 70. Mal.
Was ist aus ihrem ersten Verein Amaro Drom geworden?
Ich sagte zwar mal: „Wenn Gaddafi geht, gehe ich auch!“, aber das war aber eher wieder so ein blöder Spruch von mir. Der wurde dann nur ganz schnell real: Auch mit Amaro Foro war es aus, dem Berliner Ableger von Amaro Drom, den ich danach mitgegründet hatte. Ich vermute, dass es trotzdem wichtig ist, dass es diese Läden gibt. Die Revolution frisst ihre eigenen Geburtshelfer – aber shit happens.
Bei allem Zynismus: Woran glauben Sie? Familie?
Das ist das Einzige. Oder fast: Ich gehöre ja auch zur Musel-Ecke. Die habe ich mir genauso wenig ausgesucht wie meinen Namen und meine Abstammung, aber sie ist meine.
Und die Familie, wie weit geht das für Sie?
Über Generationen hinweg, meist über Bräuche und Rituale. Natürlich spielen auch das Blut und die Genetik eine Rolle (lacht). Aber Spaß beiseite: Wegen meiner Oma schneide ich mir zwar bis heute meine Nägel nie nachts. Sie hat mir meinen Aberglauben mitgegeben, aber sonst bin ich ganz modern. Es gibt meine Eltern im Breisgau, der Rest ist Patchwork. Mit der Mutter meines Sohnes bin ich nicht mehr zusammen, dafür ist die Frau, mit der ich jetzt lebe, seine zweite Mutter geworden. Mein Sohn hat zwei Väter und zwei Mütter. Er denkt also nicht in klassischen Familienkategorien.
Wann und warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Warum immer diese Frage? Wenn ich Ihnen sage: Genscher rief mich an und bat mich um Hilfe bei der Wiedervereinigung, dann glauben Sie es mir wahrscheinlich eh nicht. Vielleicht kann man auch sagen, dass ein Grund die Zustände in Prishtina waren: Da haben die Serben begonnen, albanische Studenten abzuknallen. Der Lebenstraum meiner Eltern, ein Haus im Kosovo zu bauen, sollte sich zu einem Fluch entwickeln. Diesen Lebenstraum hat man systematisch abmontiert und zum Schluss abgefackelt.
Weil Ihre Eltern beide Roma sind?
Es kam viel zusammen. Nichts Genaues weiß man nicht, aber man munkelt, unsere Albaner waren es. Ich selbst hatte aber nie das Gefühl, dass ich dort unter widrigen Umständen lebte. Wir waren eine bürgerliche Familie. Meine Mutter kommt aus einer der ältesten Roma-Mahalas in Prizren.
Was ist eine Mahala?
Eine Art Kiez. Es gibt einen Schneider-Kiez, Gerber-Kiez, Schmiede-, Weber-, Müller-Kiez und eben den Roma-Kiez. Meine Familie väterlicherseits kam aus der Holzindustrie, die Opas mütterlicherseits waren Schmiede. In der Mahala ist alles vorgegeben: Religion, Beruf, Sprache. Meine Familie hatte sich über die Jahrhunderte gut assimiliert. In Prizren ist es so, dass du mindestens vier Sprachen sprechen musst. Schon auf der anderen Straßenseite sprechen sie vielleicht anders und haben eine andere Religion.
Was ist dann passiert?
Ich bin die ersten zwei Jahre albanisch zur Schule gegangen, wir haben auch zu Hause fast nur Albanisch gesprochen. Gleichzeitig war aber ein Onkel ein wahnsinniger Roma-Bürgerrechtler. Das gefiel mir gar nicht, er war immer so streng, alles Mögliche war verboten. Erst im Nachhinein habe ich begriffen: Das Einzige, was du dort hast, ist die eigene Peergroup. Wenn du von der verstoßen wirst, kannst du da nicht mehr überleben. Ich war zu klein, um das alles wahrzunehmen, allerdings fing ein paar Monate nach unserer Ankunft in der BRD der Krieg an.
Wie war es, als Sie nach Deutschland kamen? Wie wurden Sie empfangen?
Wie üblich. Unglaublich viele Umzüge in verschiedene Asylbewerberheime, auch innerhalb einer Stadt oder sogar eines Heimes: „Geht hierhin, da habt ihr wenigstens zwei Zimmer für zwei Familien.“ Ich habe mal gezählt: Es waren 11 Städte. 16 Transfers insgesamt.
Und irgendwann haben Sie Asyl bekommen?
Nee, humanitäres Asyl gibt es für Roma nicht. Ich habe geheiratet, um hierbleiben zu können. Ich war 20 und studierte in Freiburg. Aber mit meiner Freundin konnte ich nie Urlaub machen wegen der Residenzpflicht. Dann, eine Woche nach der Hochzeit, haben meine Eltern eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Witzig, oder?
Was haben Sie studiert?
Schauspiel. Ich habe nicht die klassische Zigeunerlaufbahn: Förderschule, Hauptschule, Realschule, Abi. Bei mir hat das leider nicht geklappt, ich habe nach der Realschule abgeschlossen und erst mal ein Berufskolleg angefangen, so eine Art Abi für Arme. Dann habe ich mich bei der Schauspielschule beworben. Das war das, was ich eigentlich machen wollte. Ich bin da rein, Gipsy-like mit Zahnstocher, Haare nach hinten gegelt. „Nee, Zigo, so nicht …“, hieß es sofort. Zwei Tage später hatte ich bei der Altkleidersammlung Secondhand-Klamotten besorgt, saß barfuß auf dem Boden und habe Eurythmie gemacht. Wir brauchen immer jemanden, der uns klare Signale gibt.
Wie wurde aus Ihnen dann ein interkultureller Familienberater?
Das habe ich hier in Berlin gelernt. Wir sind damals bedeutungs- und wirklich schwanger von Freiburg nach Berlin gekommen, ich musste einen Job finden. Dann habe ich das Rroma Aether Klub Theater in Neukölln kennengelernt, und darüber habe ich dann weitere Kontakte zu verschiedenen Trägern gewonnen. Ich habe nicht lange gebraucht, um für die meisten Träger, die mit Roma arbeiten, anschaffen zu dürfen. So kam ich irgendwann zu meinem heutigen Arbeitgeber, bei dem ich sogar als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender fungieren darf.
Worin besteht Ihre Arbeit?
Bis zu den Sommerferien habe ich unter anderem in einem Förderzentrum in Neukölln gearbeitet, seit sieben Jahren. Die Tochter des Namensgebers dieser Schule und meines persönlichen Vorbilds, Adolf Reichwein, er war einer der ersten Medienpädagogen, vermacht uns demnächst ihr Auto. Das wird unser Geschichtenerzähler-Mobil. Wir gehen damit an verschiedene Schulen und machen interkulturelle, nichtformale Bildungsarbeit mit Theater und anderen Medien. Es geht viel um Themen wie Antisemitismus, Antiziganismus, Anti-Hastenichtgesehen.
Als interkultureller Geschichtenerzähler?
Genau. Der von Ort zu Ort fährt und kleine Ossi-Kinder trifft: „Hallo, wir machen jetzt Theater, und wenn du danach immer noch denkst, du musst Nazi sein, ist das okay. Aber wenn ich dich davon abbringen kann, schneide ich mir ’ne Glatze, abgemacht?“ Die Kinder müssen ja auch etwas davon haben, wenn sie mitmachen. Es muss für alle Sinn machen. Das sage ich auch immer im Hilton-Theater-Radio: Was die Leute hören, muss für sie Sinn machen. Es muss sie zum Schmunzeln bringen oder zum Nachdenken, vielleicht zur Wut oder Verzweiflung. Es darf sie nur nicht gleichgültig lassen.
Glauben Sie, dass die Generation Ihres Sohnes nicht mehr diese Probleme hat mit Herkunft, Identität und alldem?
Ich würde es mir wünschen. Den ersten Verein haben seine Mutter und ich für ihn gegründet, damit er seine Roma-Wurzeln kennenlernt. Als wir einmal darüber sprachen, kam heraus, dass ihm das nicht so wichtig ist. „Papa, ich bin Däne, Deutscher und auch Roma, aber das mit dem Verein, das bist du!“ Er hat da keinen Bock drauf, und Gott sei dank hatte er nicht diesen Schmerz: den Schmerz derjenigen, die nicht dazugehören dürfen. Er darf von Anfang an in diesem Reigen mitmachen. Diese Unbefangenheit, die mein Sohn heute hat, würde ich mir für alle Kinder wünschen.