: Sollen Waffenlieferanten für Kriegsverbrechen haften?Ja
SCHULD Malaysia Airlines muss Entschädigungen für die Opfer des Flugzeugabsturzes in der Ukraine zahlen. Raketenhersteller nicht
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Philipp Ruch, 33, Künstler, leitet das Zentrum für Politische Schönheit in Berlin
Was wäre, wenn Eigentum auch strafrechtlich verpflichtet? Nicht auszudenken, was auf einer Eigentümerversammlung von Heckler & Koch demnächst los wäre: panisches Geschrei bei der Präsentation des neuesten „Portfolios“, überstürzte Massenflucht aus dem Saal, als die Liste der „Neukunden“ vorgestellt wird. Vielleicht erleben wir den ersten Schadenersatzprozess, bei dem bahrainische Oppositionelle deutschen Eigentümern zeitversetzt illustrieren, worauf ihr Wohlstand „fußt“: auf Prothesen von Menschen, deren Sehnsucht nach Demokratie blutig niedergewalzt wurde.
Holger Rothbauer, 49, ist Anwalt für Internationales Strafrecht in Tübingen
Ein Hersteller von Sprudelflaschen haftet, wenn einem Verbraucher eine Flasche in der Hand explodiert. Ein Gefahrguttransportunternehmen haftet, wenn giftige Chemikalien aus einem Tanklaster ins Erdreich sickern. Weshalb Waffenhersteller, die ihre Schusswaffen in Bürgerkriegsländer wie Kolumbien oder die Ostukraine liefern, für die damit angerichteten Verletzungen nicht haftbar gemacht werden sollen, ist weder moralisch noch juristisch nachvollziehbar. Wenn ein Kleinwaffenhersteller aus Deutschland angibt, Sturmgewehre in die USA zu liefern und dies mit einer Endverbleibserklärung bestätigt, jedoch weiß, dass diese Waffen für das Bürgerkriegsland Kolumbien bestimmt sind, dann müssen die Opfer einen Anspruch auf Schadenersatz haben. Das Gleiche gilt für die Hinterbliebenen der durch eine Rakete getöteten Menschen an Bord des malaysischen Verkehrsflugzeuges.
Paul Russmann, 59, ist Sprecher von „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“
Für einen Gesundheitsschaden durch einen Staubsauger haftet im Rahmen der Produkthaftung der Hersteller. Für den Missbrauch eines Staubsaugers ist der Hersteller dagegen nicht verantwortlich. Anders als ein Staubsauger dienen Waffen jedoch nicht der Hygiene: Schon der „normale“ Waffeneinsatz soll Schäden an Leib und Seele hervorrufen. Doch die Rüstungslobby übernimmt keine Verantwortung dafür. Es heißt dort: Wir liefern Panzer und Kleinwaffen an die in unseren Augen Guten, damit sie uns und sich selbst vor den Bösen schützen. Gebrauch und Missbrauch von Waffen außerhalb demokratisch legitimierter Polizeigewalt ist ein (Kriegs-)Verbrechen. Eine Produzentenhaftung könnte tröstlich, ein Waffenexportverbot heilsam sein.
Iryna Solonenko, 37, ist Mitbegründerin der Initiative „Euromaidan Wache Berlin“
Im Falle des Flugzeugabsturzes in der Ukraine stellt sich die Frage wie folgt dar: Das Flugzeug wurde von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Es ist wahrscheinlich, dass sie aus Russland stammt. Außerdem gibt es glaubwürdige Hinweise, dass Russland die Rebellen direkt mit Waffen, Geld und Personal versorgt. Die Flugzeugtragödie ist ein direktes Resultat dieser Situation. Sollte eine unabhängige internationale Untersuchung herausfinden, dass Russland verantwortlich ist, dann, denke ich, muss es die finanziellen Konsequenzen tragen und den Schaden ausgleichen. Es gibt aber noch eine andere Dimension: Einige EU-Staaten liefern weiter Waffen nach Russland – während es zum Zeitpunkt der EU-Ratssitzung am 16. Juli noch verboten war, derartige Ausrüstung in die Ukraine zu liefern. Deshalb hatte die Ukraine Probleme, grundlegende Dinge wie Schutzwesten aus dem Ausland zu beziehen.
Nein
Armin Nassehi, 54, lehrt als Professor für Soziologie an der LMU in München
Ein Waffenhersteller ist nicht direkt für Kriegsverbrechen verantwortlich, wie ein Autor nicht kontrollieren kann, wie er gelesen wird. Was wäre mit einem Arbeiter in der Waffenherstellung? Oder mit der Ölfirma, die für die Heizung der Fabrik sorgt? Oder mit dem Caterer? Das sind absurde Fragen: Aber sie würden sich stellen, würde man den Waffenhersteller als Verantwortlichen identifizieren und sich die Welt als Kausalkette vorstellen. Aber: Ein Waffenhersteller ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er die parlamentarische Kontrolle von Waffenexporten umgeht. Das Problem liegt woanders, ist eine politische Frage: Wem liefern wir Waffen, wenn überhaupt? Und wem sollten wir womöglich welche liefern?
Karin Kneissl, 49, ist freie Autorin und lehrt Völkerrecht in Wien und Beirut
Es sind die Kleinwaffen à la Kalaschnikow und einfache Granaten, welche weltweit den höchsten Blutzoll einfordern. Die UNO bemüht sich seit Jahren vergeblich um eine Regulierung. Der Gebrauchtmarkt floriert ebenso wie der Handel mit Billigprodukten. Wie soll eine Beweiskette funktionieren, wenn eine solche Waffe über drei Ecken in die Hände eines Kriegsverbrechers gerät? Und wie soll der Überlebende eines Massakers diese Waffen erkennen? Eine Haftung rechtlich durchzusetzen, würde das Problem des internationalen – und vor allem illegalen – Waffenhandels nicht lösen.
Dagmar Borchers, 44, ist Professorin für Angewandte Philosophie in Bremen
Wenn ein Rüstungsunternehmen die internationalen gesetzlichen Regelungen einhält, dann kann es nicht in einem rechtlichen Sinne „haften“ für das, was die Käufer mit diesen Waffen anstellen. Wenn Regierungen oder Staaten Waffen mit strategischen Absichten an Gruppen liefern, die damit Kriegsverbrechen begehen, sind die Täter die Hauptverantwortlichen. Wenn aber ein überzeugender Nachweis erbracht werden kann, dass diese Verbindung besteht und klar zu erwarten war, dass die Waffen unrechtmäßig eingesetzt werden, trifft die Waffenlieferanten eine moralische Mitschuld.
Eva Maria Staal (Pseudonym), 54, war Waffenhändlerin und ist heute Buchautorin
Als ich den Waffenhändler Jimmy Liu einmal fragte, warum er Waffen verkauft, sagte er mir, dass sein Großvater Schwerter für „die guten Väter“ schmiedete, damit sie ihre Familien schützen können. Als ich ihn fragte, wie er wissen kann, wer gut oder böse ist, sagte er, dass er dies nicht könne. Nur der Waffenbesitzer entscheidet, wie die Waffe verwendet wird. Dem stimme ich zu. Idealerweise sollten nur demokratische Staaten Waffen besitzen. Aber auch das garantiert keine verantwortliche Verwendung.
Oliver Siegemund, taz-Leser, hat unseren Streit per E-Mail kommentiert
Wie soll man das umzusetzen? Die Waffenlieferanten würden ihre zusätzlichen Kosten einfach an den Endkonsumenten zum erhöhten Preis weitergeben. Außerdem findet der Mensch auch ohne „Waffen“ immer das richtige Mordwerkzeug. So wird die Rohrzange oder der Bierhumpen am Tresen schnell zur Waffe. Oder es sind die Fäuste.