Heilende Scheinmedikamente

PLACEBOS Die positiven Effekte von wirkstofflosen Zuckerpillen oder Kochsalzlösungen sind nicht einfach nur auf Einbildung zurückzuführen

„Placebo wirken weitaus stärker und komplexer, als bisher angenommen wurde“

PROFESSOR CHRISTOPH FUCHS

BERLIN taz | Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer will den Ruf von Placebos verbessern. „Placebos wirken weitaus stärker und komplexer, als bisher angenommen wurde“, sagte Professor Christoph Fuchs, Geschäftsführer der Bundesärztekammer (BÄK), am Mittwoch in Berlin. Entgegen weit verbreiteten Meinung haben wirkstofffreie Zuckerpillen oder „weiße“ Salben doch therapeutische Wirkungen, die nicht einfach auf eine Täuschung zurückzuführen sind. Fuchs stellte eine von einer BÄK-Arbeitsgruppe verfasste Untersuchung über „Placebo in der Medizin“ vor.

Der Einsatz von Placebos habe heute schon eine „enorme Bedeutung“, hob Fuchs hervor. Bekannt ist vor allem, dass Placebos routinemäßig in klinischen Studien eingesetzt werden: Um die Wirkung neuer Arzneimittel direkt am Menschen zu prüfen, werden sie mit Kontrollgruppen verglichen, die nur ein Placebo bekommen haben.

Aber auch niedergelassene Ärzte verordnen ihren Patienten häufig Placebos. „Eine Umfrage unter Hausärzten in Bayern ergab, dass 88 Prozent von ihnen Placebos verschreiben“, erläuterte Professor Robert Jütte, der die Arbeitsgruppe Placebo leitet.

Da es in der Regel in der Apotheke keine Placebos gebe, „verschreiben Ärzte daher häufig Vitaminpillen oder homöopathische Präparate“, sagte Jütte, der als Medizinhistoriker bei der Robert-Bosch-Stiftung tätig ist.

Placebos sind laut Jütte besonders gut geeignet, um die erwünschte Wirkung der Schulmedizin zu verstärken. „Unerwünschte Nebenwirkungen lassen sich damit verringern“.

In einigen neueren Studie war auch eindeutig dieser Nutzen nachweisbar. Patienten mit Magengeschwüren konnte in 59 Prozent der Fälle mit einem Placebo geholfen werden. Die Behandlung von Depressionen mit wirkstofflosen Pillen war in rund einem Drittel der Fälle erfolgreich, bei den zugelassenen Psychopharmaka war laut Jütte der Anteil genauso groß.

Mit bildgebenden Verfahren zeigten Forscher, dass Placebos im Gehirn von Probanden eine ähnliche Reaktion auslösen wie Arzneimittel auch. Für die Arbeitsgruppe ist das ein Nachweis dafür, dass der Placeboeffekt nicht nur Einbildung ist. Überraschend ist, dass Placebos häufig auch dann wirksam sind, wenn der Patient vorab erfahren hat, dass er nur ein Scheinpräparat bekommt.

Im Übrigen, so ein Fazit der BÄK-Studie, müssen Patienten in der Regel auch darüber aufgeklärt werden, womit sie behandelt werden. WOLFGANG LÖHR