: Dämonen bannen mit Musik
SUBVERSIVES Abendgesellschaft bei Herrn Dr. Schäuble: Das Finanzministerium gestaltet in seinem einst für Hermann Göring erbauten Domizil einen bunten Abend rund um das Thema verbotene Musik im Nationalsozialismus
VON KATHARINA GRANZIN
Die Frage aller Fragen stellte der Minister selbst. „Warum machen wir das eigentlich alles?“, sagte der Herr Dr. Schäuble. Und gab auch gleich die Antwort darauf: „Wir wollen zeigen, dass wir nicht ganz so sind, wie man immer denkt.“
In der Tat hatte man schon ins Grübeln kommen können, was eigentlich der Anlass des Events war, zu dem das Bundesministerium der Finanzen geladen hatte. „Musik. Zeit. Geschehen“ lautete sein Titel, und der Ankündigung war zu entnehmen, dass am selben Tag, an dem das Gebäude von Görings Reichsluftfahrtministerium – in dem eben heute das Finanzministerium wirkt – sein Richtfest feierte, ein Verbot an alle Radiosender des Reiches erging, weiterhin Jazzmusik zu spielen.
Das war am 12. Oktober 1935. Die Verbindung zwischen dem einen und dem anderen Ereignis ist, bei Lichte betrachtet, wohl eher lose. Doch da beide in demselben allgemeinen Ungeist stattfanden, mit dem man sich auseinandersetzen muss, wenn man schon bei Göring residiert, so darf auch diese lose Verbindung Grund genug sein für eine Veranstaltung. Und wer hatte sich beim Vorbeifahren an dem massiven Gebäudekoloss in der Wilhelmstraße nicht schon manchmal gefragt, was für ein Gefühl es für die Ministeriumsangestellten wohl sein mag, in einem Monument der Naziarchitektur zu arbeiten. Es ist wahrscheinlich recht eigenartig.
Andererseits – da müsste erst mal ein Architekturhistoriker kommen und einem den genauen Unterschied erklären zwischen Naziarchitektur und, zum Beispiel, der Architektur der Neuen Sachlichkeit aus den 20er-Jahren. Aber an diesem Abend kam jedenfalls keiner. Dafür stellte der Musikhistoriker Marko Paysan eine städtebauliche Verbindung zwischen Görings Ministerium und der verfemten Jazzmusik her. In seinem Vortrag über „Swing im Dritten Reich“ hatte er viele Straßenansichten von Potsdamer Platz und Stresemannstraße untergebracht, beides direkt um die Ecke liegend. Dort befanden sich in den 30er-Jahren jene Cafés und Hotelbars, in denen die Swingbands der Zeit spielten. Es habe sich ja um eine Bahnhofsgegend gehandelt, betont Paysan – der Anhalter Bahnhof lag nebenan.
Sehr im Gegensatz zum Bahnhof überstand das Gebäude des Reichsluftfahrtministeriums den Krieg nahezu unbeschadet, wie auf Schautafeln zu lesen ist. Die kleine Ausstellung widmet sich der Geschichte des Gebäudes und der Rolle von Görings Ministerium im Zweiten Weltkrieg. Etwas versteckt finden sich auch zwei Tafeln, denen sich entnehmen lässt, dass Harro Schulze-Boysen, bis seine Widerstandstätigkeit mit der „Roten Kapelle“ im August 1942 aufflog, hier im Hause im Generalstab der Luftwaffe arbeitete.
Auch draußen fand Subversives unter der Nase der Nazis statt. So wurde der verbotene Swing durchaus weiter betrieben, wie sowohl der Historiker als auch, später am Abend, aus eigenem Erleben der legendäre Coco Schumann zu erzählen wissen. Kam eine Kontrolle, erklärt der bald 87-jährige Gitarrist, so habe man einfach die fremdsprachigen Titelzeilen von den Noten abgeschnitten. Englische Titel deutschte man kühn ein, wodurch etwa aus dem „St. Louis Blues“ „Der blaue Ludwig“ wurde. Das Coco-Schumann-Quartett, das zusammen mit Till Brönner auftrat, passte großartig in den allgemeinen Rahmen, denn mit ihren adretten dunklen Anzügen und penibel gebundenen Krawatten hätte man die Herren ohne Weiteres für Angestellte des Hauses halten können.
Nach so viel Korrektheit machte das jüngere Herrenduo aus dem Geiger Daniel Hope und dem Pianisten Sebastian Knauer einen geradezu verwegen langhaarigen Eindruck. Ihr Auftritt schloss thematisch an einen Vortrag an, den der Architekt Stephan Braunfels früher am Abend über seinen Großvater gehalten hatte. Walter Braunfels, in den 20er-Jahren ein gefeierter Komponist, hat nach seinem langen Berufsverbot während der Nazizeit nie mehr seine frühere Bedeutung zurückerlangt. Seit einigen Jahren erst werden seine Werke wiederentdeckt. (In Berlin erregte „Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“/„Jeanne d’Arc“ an der Deutschen Oper in der Regie von Christoph Schlingensief 2008 einiges Aufsehen.)
Hope und Knauer hatten zwar keinen Braunfels im Programm, dafür Mendelssohn, Schulhoff und Gershwin (als jüdische Komponisten alle verboten), ein bisschen von der (Hope) „schönsten Musik der Welt“, also Bach, und beschlossen den Abend mit einer Fassung von Ravels „Kaddisch“, so intensiv und innig vorgetragen, dass darüber auch die letzten geflüsterten Partygespräche verstummten.
Es hätte kein besseres Ende geben können für diesen wundersamen Abend im Ministerium des Dr. Schäuble, an dem nichts weniger geglückt ist als die entschlossene Entdämonisierung eines verfluchten Gebäudes und seine Heimführung in die Zivilgesellschaft. Und an die Steuererklärung hat man tatsächlich kein einziges Mal denken müssen.