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Archiv-Artikel

VERWALTUNGSGERICHT ERLAUBT DAS SCHÄCHTEN AUS RELIGIÖSEN GRÜNDEN Gnadenlos tolerant

Das war zu befürchten: Nach dem Bundesverfassungsgericht hat nun auch das Bundesverwaltungsgericht das Schächten in religiös begründeten Ausnahmefällen erlaubt. Das Durchschneiden der Gurgel bei lebendigem Leib ist Bestandteil einer Religion – und deren Freiheit ist den Richtern mehr wert als Tierschutz, Ethik und gesellschaftliche Restvernunft. Religiöse Hirngespinste und anachronistische Brutalitäten werden toleriert, weil man politisch noch korrekter sein will als islamische Gutachter. Die hatten in einer Studie für die Universität Kairo eine Vorabbetäubung der Tiere als vereinbar mit den religiösen Vorschriften des Islam erklärt. So viel Liberalismus geht den deutschen Richtern offenbar zu weit: Sie bleiben die wahren Ajatollahs, gnadenlos tolerant.

Der Spielraum der Leipziger Richter war nach dem vorausgegangenen Karlsruher Urteil nicht mehr allzu groß. Aber die zwischenzeitliche Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz hätte Argumentationshilfe liefern können. Vermutlich war den Richtern aber gar nicht klar, was betäubungsloses Durchschneiden der Kehle bedeutet: Die Rinder bleiben noch 30 Sekunden bei vollem Bewusstsein. Sie strampeln, brüllen, leiden, haben Erstickungsängste, weil Blut in ihre Lungen fließt.

Barbarei in religiösem Namen hat eine lange Tradition, auch im Christentum. Mit dem Schächturteil wurde eine neue Variante hinzugefügt. Einzig positiver Punkt: Das Schächten ist an den Nachweis der Sachkunde des Schlachters gebunden und muss vom Veterinäramt überwacht werden. Zumindest Privatmetzeleien sind damit untersagt.

Sicher wird das Leipziger Urteil auf eine Orgie von Verständnis stoßen. Haben wir denn überhaupt ein Recht, den Richterspruch zu kritisieren, wo wir doch selbst in der Massenhaltung Tiere bis aufs Blut schinden, werden die Neunmalklugen fragen. Ja, das haben wir. Denn umgekehrt gilt: Wen die Quälhaltung der Nutztiere in der seelenlosen Agroindustrie anwidert, der kann nicht vor mittelalterlichen Tötungsmethoden die Augen verschließen, nur weil er ausländischen Mitbürgern nicht zu nahe treten will. MANFRED KRIENER