: Studierende drängt es in die Großstädte
STUDIUM In Norddeutschland herrscht großer Mangel an Studienplätzen: Allein in Hamburg möchten dieses Jahr rund 52.000 Schulabgänger einen Bachelor machen. Dabei bietet die dortige Universität nur 5.700 Plätze
Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
VON AMADEUS ULRICH
Eine Absage lag schon im Briefkasten. Jetzt wartet Janine Thiel auf die Bescheide der 39 anderen Universitäten, bei denen sie sich beworben hat. Die 20-Jährige möchte im kommenden Wintersemester Psychologie studieren – so wie viele andere AbiturientInnen. „Das will ich seit Jahren“, sagt sie, „weil ich mich für das menschliche Verhalten interessiere.“ Doch die Studienplätze sind begehrt, und weil Janine „nur“ einen Abi-Schnitt von 1,9 hat, wird ihr voraussichtlich keine Uni zusagen.
Am 15. Juli war bundesweit Bewerbungsschluss für zulassungsbeschränkte Studiengänge, und so wie Thiel warten jetzt viele AbiturientInnen auf Post von den Unis. Sie könne zwar verstehen, dass ausgewählt werden müsse, sagt sie. Allerdings verstehe sie nicht, warum nicht mehr Plätze geschaffen werden – schließlich sei doch bekannt, dass bei Fächern wie Psychologie ein eklatanter Studienplatz-Mangel herrsche.
Seit Jahren geistert durch Medien und andere Kanäle die Behauptung, es gebe in Deutschland zu wenig Studienplätze und zu viele SchulabgängerInnen. „Das trifft auf Großstädte wie Hamburg und München zu“, sagt Torsten Preuß, Projektleiter bei der Stiftung für Hochschulzulassung. In ihrer Allgemeinheit sei die Aussage jedoch falsch: „Es ist kein Hexenwerk, in Deutschland einen Studienplatz zu bekommen.“ Lediglich bestimmte Fächer seien extrem beliebt und überlaufen. Dazu zählen vor allem Medizin und Psychologie. Viele AbiturientInnen seien zu anspruchsvoll. Sie würden unbedingt in Köln oder Berlin studieren wollen statt in Chemnitz oder Cottbus. Somit sei nicht der Mangel an Studienplätzen das Problem; sondern die Verteilung der BewerberInnen. Letztlich sei es „blind und wahnwitzig“, viel Geld in mehr Studienplätze zu investieren statt zum Beispiel in die Betreuung von Studierenden oder eine intelligentere Verteilung eben jener.
An den Universitäten in Norddeutschland tritt das Problem deutlich zutage. In Hamburg möchten dieses Jahr rund 52.000 SchulabgängerInnen einen Bachelor machen. Dabei bietet die Uni 5.700 Plätze, davon 150 in Psychologie. Allein auf diese haben sich über 5.000 junge Menschen beworben. Ähnlich sieht es in Kiel aus: Dort haben sich etwa 17.000 Personen auf über 2.400 Plätze in zulassungsbeschränkten Studiengängen beworben. Lediglich bei VWL und Chemie war der Andrang vergleichsweise gering. Und in Schleswig-Holstein steht mit dem doppelten Abiturjahrgang die große BewerberInnenzahl noch aus: ihn wird es 2016 geben.
Ein Hauptproblem der Universitäten im Norden sind fehlende finanzielle Mittel. Die Universität Bremen plant sogar, das Fach Psychologie zu streichen. „Denn wir sind unterfinanziert“, sagt Eberhard Scholz, Sprecher der Uni. Im Etat klaffe jährlich eine Finanzierungslücke von sieben bis neun Millionen Euro. Sollte der Studiengang Psychologie gestrichen werden, sei das fatal, weil es sich auch in Bremen um einen der am stärksten nachgefragten Studiengänge handelt, sagt Scholz. Allerdings sei das Fach nicht Kernbereich der Bremer Uni. Insgesamt haben sich in Bremen 4.000 Personen weniger beworben als im Jahr davor. Hier kann man sich online gleichzeitig für mehrere Studiengänge eintragen, was dazu führt, dass zwar 30.000 Bewerbungen eingegangen sind, sich dahinter aber nur etwa 19.000 BewerberInnen verbergen.
Der 2007 beschlossene „Hochschulpakt“ soll die Universitäten eigentlich finanziell dabei unterstützen, mehr Studienplätze zu schaffen. Nach 2015 geht der Pakt in die dritte Förderungsphase. Fraglich bleibt, ob die Mittel genügen – schließlich mussten sie mehrmals erhöht werden, weil die Studienzahlen stets jedwede Prognose der Kultusministerkonferenz übertrafen. Am 27. Mai dieses Jahres hat die große Koalition sich darauf verständigt, mit 1,3 Milliarden Euro den Pakt weiter zu finanzieren. Der Hochschulpakt steht allerdings vermehrt in der Kritik: Schon jetzt würden die Hochschulen viel mehr Studierende aufnehmen als er vorsieht, aber es fehlen zwei Milliarden Euro, befürchtet die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Dadurch könnten sich die Zulassungsbeschränkungen noch weiter verschärfen.
„Für eine Lösung ist eine nachhaltige Erhöhung der Grundfinanzierung der Hochschulen nötig“, sagt Horst Hippler, Präsident der HRK. Steigende Studienzahlen seien ein anhaltendes Phänomen; zudem müssten sich die Unis auf Studierende mit verschiedenen Biografien einstellen: „Das erfordert Investitionen, keine Notprogramme.“
Um trotz allem den Wunschstudienplatz zu ergattern, können AbiturientInnen vermehrt ostdeutsche Städte wie Cottbus oder Greifswald ins Auge fassen und sich an mehreren Hochschulen bewerben. Denn der NC variiert teilweise stark. Oder sie wagen den Schritt ins Ausland, wo es oft keine Zulassungsbeschränkung gibt. Möglich ist auch, die Universität zu verklagen – so wie Jonaa Meese.
Er hat sich an der Universität Hamburg für Jura beworben. Mit einem Abiturschnitt von 2,6 ist es aber unwahrscheinlich, dass der 19-Jährige einen Platz bekommt. Sollte Meese einen Ablehnungsbescheid erhalten, werde er widersprechen, und vielleicht die Uni verklagen, sagt er. Jedoch ist so etwas prinzipiell selten erfolgreich. Gewiss ist nur, dass eine Klage viel Geld kostet – bis zu 3.000 Euro. In Kiel versuchen dennoch jedes Jahr mehrere Hundert, sich in Human- und Zahnmedizin einzuklagen; erfolgreich sind nur drei KlägerInnen pro Jahr. Ein Anwalt oder eine Anwältin beweist in diesen Fällen, dass beim Zulassungsverfahren Fehler passiert sind oder dass eine Universität mehr Studierende hätte aufnehmen können. Dieser Nachweis ist allerdings schwer, denn letztlich weiß niemand derzeit mit Gewissheit, wie viele BewerberInnen es tatsächlich gibt.
Viele BewerberInnen nämlich senden ihre Unterlagen an dutzende Universitäten, werden womöglich genommen, schreiben sich aber nicht ein. Das kann dazu führen, dass Hochschulen in manchen Fächern Mitte August noch Plätze haben und Studieninteressierte im Nachrückverfahren oder im Losverfahren Glück haben. Sogar in Psychologie.
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