GLAMOURÖSES ELTERN-KIND-TURNEN, GESCHICHTS-EDUTAINMENT AM KOTTI, EIN BRENNENDER MÜLLCONTAINER IM HOF UND DIE SYMPHONIE DES ALLTAGS : Schlaflos in Moabit
AUSGEHEN UND RUMSTEHEN
Das Ausgehwochenende begann, durchaus glamourös, in der Turnhalle einer Moabiter Grundschule. Wobei die Veranstalterin des Eltern-Kind-Turnens ihre ganz eigene Vorstellung von Glamour inszenierte: Sie trug Hexenhut zur Raucherstimme und hatte für die auch kostümierten Kinder einen gigantischen Spieleparcours errichtet. Kartoffellauf, Entenangeln, Balancieren. An jeder Station winkte ein Berg Süßigkeiten oder Prinzessinnenkrönchen aus rosa Plastik zum Mitnehmen. Dazu Kindermusik in Diskolautstärke. Ein Wahnsinn, der nur mit der Aussicht auf einen ordentlichen Schluck Bier zu ertragen war.
Das Bier gab’s dann im Südblock am Kotti, wo die Initiative „Kunst und Kampf“ („Kunst aus der Bewegung für die Bewegung“) zum Geschichts-Edutainment lud. Thema war der März 1920, als die junge Republik vom Kapp-Lüttwitz-Putsch erschüttert wurde, der nach fünf Tagen scheiterte – nicht zuletzt durch den größten Generalstreik in der deutschen Geschichte.
Der lichtbildgestützte Vortrag war erstaunlich gut besucht. Diszipliniert lauschte man dem im Ton eines Unireferats daherkommenden Vortrag eines jungen Aktivisten. Man erfuhr vom Frust der besiegten militärischen Elite, von Arbeitern, die Feuer und Flamme für die Räterepublik waren. Und wie sich beides am 17. März auch um das Kottbusser Tor in bewaffneter Konfrontation entlud. Rührend, wie am Ende die Namen aller 18 im Kampf für die Republik getöteten Kreuzberger mit Beruf und Wohnort verlesen wurden.
In der Möbel-Olfe dann das übliche Hallo mit polnischen Bieren, queerem Amüsiervolk und zwei unglaublich betrunkenen Herren, die sich an der Bar festhielten und im Duett zur Musik pfiffen, wobei sich der graue Schnäuzer des einen aufs Lustigste verzog. Dann forderte das Kinderturnen seinen Tribut, der Heimweg nach Moabit schien endlos.
Die Nachtruhe wurde jäh unterbrochen durch brenzligen Geruch. Der Freund rannte in den Hof, ich verfolgte vom Küchenfenster aus den spektakulären Brand eines Müllcontainers und das Eintreffen der Feuerwehr. Die Männer rissen beim Löschen Sprüche, ein Polizist schaute rein, dann war der Spuk vorbei. Am nächsten Morgen wurde die Frage nach den Tätern von der Hausgemeinschaft umfassend erörtert. Wie der Philosoph, der, mit dem Kopf quasi am Brandherd, in seiner Remise selig schlummern konnte, blieb ungeklärt.
Teile der Nachbarschaft sahen sich dann wieder beim Kunstverein Nord, wo der Klangkünstler Thomas Gerwin (der vom Brand auch nichts mitbekommen hatte) einen „Soundwalk durch Moabit“ anbot. Nachdem man die tolle „Ecotone“-Ausstellung, Resultat eines Künstleraustauschs zwischen dem südfranzösischen Cajarc und Moabit, besichtigt hatte, zogen 25 Leute im Gänsemarsch los, um, schweigend, eine „Symphonie des Alltags“ zu erleben. Man rückte in einer Drogerie ein, formierte sich auf Parkplätzen, drückte sich frierend an die Wand eines Dominikanerklosters. So sensibilisiert, entwickelte sich ein herrlich paranoides Stadtgefühl. Alles schien sorgsam arrangiert: das Rascheln einer Gerüstplane, die Schreie des türkischen Gemüsehändlers, die auf der Turmstraße vorbeiziehenden Automusikfetzen. Danach wirkte Moabit wie ein farben-und stimmendurchsetztes Aquarell, zart wie die Impressionen der ausstellenden Gastmalerin Emmanuelle Castellan. Betört vom eigenen Kiez wagte man einen Besuch der neuen Tapasbar um die Ecke. Die allerdings durch zahnarztpraxenhafte Scheußlichkeit und bescheidene Küche enttäuschte.
So blieb man am Sonntag lieber beim Bewährten, holte Kuchen im Café Buchwald, bevölkerte den neuen Spielplatz im Englischen Garten. Und ließ das Wochenende mit abwechselndem Blick auf die Nachrichtenlage in Fukushima, Libyen und auf die Mülltonnenecke im Innenhof ausklingen.