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Archiv-Artikel

Asphalt unter den Füßen

PORTRÄT Am Freitag startet das Festival Tanz im August. Die Finnin Virve Sutinen, geübte Reisende in Sachen Tanz, ist für zwei Ausgaben die künstlerische Leiterin. Sie hat viele in Berlin bisher unbekannte Künstler eingeladen

Insgesamt beobachtet die Finnin eine Rückkehr zu mehr Bewegung. „Ich habe den Eindruck, die Tänzer gehen wieder ins Studio und befassen sich mit Pirouetten und Sprüngen, statt an ihren Laptops zu arbeiten“

VON ANETT JAENSCH

Sie kommt mit einem Rollkoffer zum Interview. Virve Sutinen ist auf dem Sprung zum Flughafen. Kurz vor dem Start von Tanz im August hat sie noch schnell einen Abstecher zum Urban Art Festival in Helsinki eingeschoben, um sich dort einige Stücke anzuschauen.

Eine Reisende in Sachen Tanz ist sie schon seit Längerem. Die Finnin, Jahrgang 1962, ist vieles in einem: Kuratorin, rührige Netzwerkerin, Kulturmanagerin, ehemalige Tänzerin und Choreografin. Und nun auch künstlerische Leiterin für Tanz im August. Für die Ausgaben 2014 und 2015 zeichnet sie verantwortlich, so lange reicht die zugesagte Finanzierung durch den Hauptstadtkulturfond.

Sieht sie sich in der Rolle einer Erneuerin des 1989 gegründeten Festivals? „Für eine Revolution bin ich nicht gekommen“, betont Sutinen. In ihren Augen habe das Festival immer gute Arbeit geleistet. Wichtig sei, eine Balance zu finden zwischen den Dingen, die das Publikum kennt, und neuen Namen und Abenteuern. 21 Kompanien aus 14 Ländern, darunter 13 Berlin-Debüts, eingerahmt von einem Begleitprogramm mit Installationen, Publikumsformaten und einem Symposium, dieses Paket hat Sutinen für die 26. Ausgabe geschnürt.

Aus dem Club, von der Straße, aus dem Ballettsaal

Mit der Ankündigung „Das Feine, das Rohe, Punk, Ballett und Urban Dance“ wurde im Vorfeld ein erstes Appetithäppchen serviert. Was nach einem wilden Ritt durch die Gefilde des Tanzes klingt, trifft ihr kuratorisches Credo im Kern. „Vielfalt ist ein Wert“, findet Sutinen und räumt sogleich ein, dass die gezeigte Auswahl natürlich nicht alles abbilden kann, was in der zeitgenössischen Szene aktuell passiert. Dafür bräuchte man ein Vielfaches an Geld.

Tanz im August wirtschaftet in der aktuellen Ausgabe mit einem Budget von rund 900.000 Euro, vergleichbare Festivals wie Montpellier Danse oder ImPulsTanz Wien sind deutlich besser ausgestattet. Tendenzen nachspüren, das Publikum abholen, das sind Sutinens Maximen. „Ich arbeite eher wie eine Detektivin oder Anthropologin.“ Neben gut bekannten Namen wie Anne Teresa de Keersmaeker, Michael Clark, Trajal Harrell und dem Cullberg Ballet hält das Programm deshalb auch wahre Neuentdeckungen bereit, wie etwa den spanischen Choreografen Marcos Morau, der mit seiner Kompanie La Veronal das Stück „Siena“ zeigen wird. „Dieser Sinn für Autorenschaft, der die ganze Bühne zu füllen vermag, ist außergewöhnlich“, so Sutinen über die betont narrative Handschrift. Für Tanz im August 2015 jedenfalls ist schon eine Koproduktion des nächsten Stückes im Gespräch.

Auch wenn Sutinen bewusst keine Fokusthemen setzen mag, Parameter für ihre Recherche hat sie sehr wohl im Kopf. Unterschiedliche Generationen einzubinden sei ihr wichtig, nicht nur auf Künstlerseite, sondern auch beim Publikum. „Physicality“ – Körperlichkeit – ist ein anderer Anker, den sie ausgeworfen hat. Insgesamt beobachtet die Finnin eine Rückkehr zu mehr Bewegung. „Ich habe den Eindruck, die Tänzer gehen wieder ins Studio und befassen sich mit Pirouetten und Sprüngen, statt an ihren Laptops zu arbeiten.“

Ist der Konzepttanz Schnee von gestern? Sie mag es, sich und andere mit derlei provokanten Thesen zu befragen. Im Festivalmagazin sind Statements von Konzeptkünstlern wie Jérôme Bel nachzulesen, die in diesen aktuellen Diskurs hineinleuchten.

Sutinens Lust am Tanz spricht vor allem auch aus ihrer eigenen Vita. Kindheit und Jugend waren mit Ballett und Modern Dance ausgefüllt. In ihrer wilden Punkphase gründete Virve Sutinen einen Club in Helsinki. Später baute sie eine eigene Kompanie auf, bis eine schwere Knieverletzung sie zwang, ihre aktive Karriere an den Nagel zu hängen.

Für einen Master in Performance Studies ließ sie sich New Yorker Luft um die Nase wehen. Zurück in Europa engagierte sie sich in zahlreichen Kulturgremien und stellte Festivals auf die Beine. Zuletzt leitete sie das Kiasma Theatre in Helsinki und das Dansens Hus in Stockholm.

Sie ist eine, die das urbane Leben liebt. „Ich habe gern Asphalt unter den Füßen“, scherzt sie und lässt ihr ansteckendes Lachen hören. Für ihre Zeit in Berlin hat sie sich eine Wohnung in Charlottenburg gesucht, ganz bewusst wollte sie nicht in ein Szeneviertel ziehen. Dem Hinterherhecheln modischer Trends steht sie auch in der Kunst skeptisch gegenüber. „Hipster Art“ nennt sie das und meint damit das belanglose Kopieren von Stilen und Ideen. „Tanz ist ein wunderbares Werkzeug, wirklich wichtige Themen zu diskutieren.“ Man darf gespannt sein, welchen kreativen Wind sie der Berliner Tanzwelt noch bescheren wird.