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Archiv-Artikel

Krach von alten Herren

Uriah Heep lockten Fleecepulliträger in den Friedrichstadtpalast und animierten sie unerschrocken zum Mitklatschen. Und Motörhead rockten ihre bartzopfigen Fans gnadenlos auf die Krankenstation

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Immer im Dezember zieht es die alten Hardrockbands nach Berlin, als wolle man vor dem Fest der Liebe noch einmal ordentlich Krach machen. Uriah Heep gehören zu den beliebtesten Oldierockbands. Seit 30 Jahren reisen sie mit ihren alten Hits um die Welt und am Montagabend kamen sie im Rahmen ihrer „Acoustically Driven 2006“-Tour in den Friedrichstadtpalast.

Mit Black Sabbath, Deep Purple und Led Zeppelin gelten sie als die Gründungsväter des Hardrock, wobei sich Uriah Heep schon früh der melodischen romantischen Seite zugewandt haben. Ihr ausgefeilter mehrstimmiger Gesang und die keyboardverseuchten Stücke zeigten mitunter schon bald in Richtung Progrock. Als eine der Ersten fingen sie mit der „Classic meets Rock“-Unsitte an und spielten bereits 1971 ihren größten Hit „Lady in Black“ mit klassischem Orchester ein.

In der bis zur Muffigkeit gediegenen Atmosphäre des Friedrichstadtpalastes hatten sich knapp dreihundert Menschen der Generation 50 plus versammelt; der Saal war nur halb voll. Die Artikel am Merchandising-Stand hatte man dem Publikum angepasst: Polohemden und Fleeceshirts von M bis XXL in gedeckten Herbstfarben.

Aber lustig sieht sie schon aus, die Band: Gitarrist Mick Box, einziges Gründungsmitglied, erinnert stark an Gimli den Zwerg aus „Herr der Ringe“ nach der Haarglättung, der graugelockte Keyboarder hat seinen greisen Leib in einen metallicblauen Brokatgehrock gezwängt, während Sänger Bernie Shaw etwas lächerlich wirkt, wie er so am Mikro sitzt, begeistert das Tamburin schlägt und sein schütteres langes Haar um sich wirft. Immerhin kann man Uriah Heep attestieren, dass sie eine vollkommene Wendung von Hardrock zu Softrock vollzogen haben: Was da vorne gesäuselt und gewinselt wird, könnte genauso gut von Chris de Burgh oder Rod Stewart kommen.

Gruselig wird die Veranstaltung, als der Sänger bei dem 78er Hit „Free me“ zur direkten Publikumsanimation übergeht. Da erinnert man sich an den Namensgeber der Band, an den Fiesling aus Charles Dickens „David Copperfield“. Uriah Heep ist eine der hinterhältigsten Figuren der englischen Literaturgeschichte und wird von Dickens als grausliger Untoter mit „kadaverhaftem Äußerem“, fehlenden Augenbrauen und langen skelettartigen Händen beschrieben. Und wie der Dicken’sche Uriah Heep geistert auch Bernie Shaw zur heiteren Seniorenbelustigung auf der Bühne herum, fordert zum Aufstehen und Mitklatschen auf. Wo sind die alten Hardrockfans mit ihren Nieten, Kutten, Matten?

Die verschwenden ihre Zeit nicht mit Uriah Heep, sondern sparen ihre Kräfte für den nächsten Tag, denn am Dienstag spielten Motörhead in der Columbiahalle. Da sieht es ganz anders aus, da sieht man ganz junge Leute und alte Kerle, Bärte und Haare und Haarzöpfe und Bartzöpfe, da wird schon nach der Vorband getorkelt, und der Boden klebt vom Bier. Da stehen alle mit hochgestreckten Armen und gehörnten Fäusten in freudigster Erwartung vor der Bühne, da glühen lieblich die roten Kontrollampen der Marshalltürme. „ROCK ’N’ ROLL!! LEMMY!! MOTÖRHEAD!“, rufen tausend durstige Kehlen im tiefsten heisersten Bass.

„Evrything louder than evrything else“ steht auf den schwarzen T-Shirts mit dem Höllenhund-Logo, und nur wenige Außenseiter tragen dieses historische T-Shirt nicht. Mit der klassischen Eingangsfloskel „We are Motörhead and we play Rock ’n’ Roll“ beginnt das Konzert, aber leider ist es für Menschen mit normalem Kreislauf ganz unmöglich, länger in der total ausverkauften Columbiahalle zu verweilen. Aber was soll’s: Ein Motörhead-Konzert ist kein Kindergeburtstag, und wie sagte der Pfarrersohn Lemmy doch einst selbst: „Wenn wir ins Nachbarhaus einziehen würden, würde euer Rasen absterben.“ Und so lagern im Gartenbereich der Columbiahalle schon bald an die 100 erschöpfte Motörhead-Fans. Harleyfahrer in XXL-Motorradjacken sitzen mit aufgestützten Köpfen und ringen nach Fassung, werden von Sanitätern oder mitfühlenden Kumpeln betreut, baumgroße dicke Männer sind von Lemmy und Konsorten da drinnen weggefegt worden wie nix.

Die Setlist hat sich in den letzten Jahren nicht groß verändert, „Dancing on your Grave“, „Killed by Death“, ein paar Stücke von der neuen CD „Kiss of Death“, als Zugabe „Ace of Spades“ und „Overkill“. All das in dumpfem Sound und rasender Wildheit mit mörderischem Gitarrengekreische und Lemmys knarziger Stimme. Motörhead haben ja wahrscheinlich Trashmetal erfunden und sind trotzdem keine fiesen Metaltypen, sie haben ihr räudiges Bikertum und Gesetzlosenimage mit den Segnungen des Punks verfeinert und sind so auch heute noch einfach lustiger und selbtironischer als alle anderen Rock-’n’-Roll-Bands. Und sie zeigen, dass kein Mensch so altern muss wie Uriah Heep.