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Archiv-Artikel

Schubsen ist nicht nett

FLOHMARKT Shopper, Schlenderer, Reingreifer: Von fehlender Ektikette an Kisten mit alten Platten und Bergen von Ramsch

VON ANDREAS HARTMANN

Es ist wieder so weit. Es darf wieder geschoben, gerempelt, gehandelt und gekauft werden auf Berliner Flohmärkten. In der kalten Jahreszeit geht es auf den paar Berliner Freiluftflohmärkten, die durchmachen, doch eindeutig weniger aufgeregt zu als in den wärmeren Monaten. Und das Prinzip des Hallenflohmarkts mag sich in Berlin nicht richtig durchzusetzen.

Die Flohmarkt-Rennerei ab den ersten Anzeichen von Frühling aber gehört zum Berliner Lebensgefühl dazu, wie die Afterhour und die Hockerei in Cafés. Der Flohmarkt ist beliebtes Wochenend-Ausflugsziel, für das man praktischerweise nicht einmal die Stadt verlassen muss. Man entgeht dabei perfekt der sonntäglichen Langeweile, die sich ja selbst in Berlin gelegentlich auszubreiten droht. Man kann einkaufen gehen an einem Tag, an dem man ja auch wirklich Zeit und Muße dafür hat. Man trifft Bekannte und kommt beim Handeln mit Fremden in Kontakt. Und man kann auf die nervige Berliner Unsitte des Brunchens verzichten, da kulinarisch auf manchen Berliner Flohmärkten immer mehr geboten wird. Das alles ist wunderbar, zumal ja inzwischen fast jeder Kiez so seinen Flohmarkt mit ganz eigener Note hat.

Aber mit einem Flohmarktbesuch im eigentlichen Sinne hat dieses Umherschlendern auf dem Flohmarkt freilich nichts zu tun. Denn eigentlich ist der Gang auf den Flohmarkt harte Arbeit, erfordert Disziplin, gute Nerven und man sollte schon kurz nach Sonnenaufgang ausgeschlafen sein. Und das an einem Sonntag!

Keine Party am Abend vorher

Am Abend vorher Party machen wie der Schlenderer, das ist für den wirklichen Flohmarkt-Geher nicht drin. Der Flohmarkt am Mauerpark geht so um 7 Uhr los, der am Rathaus Schöneberg ebenso. Der Flohmarkt am RAW-Gelände circa um 8 Uhr, Arkonaplatz und „Flowmarkt Nowkölln“ ungefähr um 9.30 Uhr. Fast schon Schlenderer-freundlich nimmt sich da der Markt am Boxhagener Platz aus mit seinem Startschuss um 10.30 Uhr.

So kommt es, dass sich die Schlenderer irgendwann mittags vor den Ständen drängeln, die von den früh aufgestandenen Shoppern längst abgegrast wurden. Für den Shopper ist der Flohmarkt dabei das genaue Gegenteil dessen, was dieser für den Schlenderer ist. Für den Shopper ist der Flohmarkt Nervenkitzel und Stressfaktor und kein Quell der Entspannung. Er versucht, möglichst als Erster an den interessanten Ständen zu sein, er muss unheimlich schnell sein, weil die Konkurrenz ja dasselbe sucht wie man selbst: das Superschnäppchen.

Dabei merkt man leider nur allzu oft, dass man in Berlin ist und eben nicht in Japan. Shopper schubsen andere Shopper gerne beiseite, wenn sie Schnäppchen riechen. Eine Flohmarkt-Etikette vermisst man manchmal schmerzhaft in Berlin. Beispielsweise sollte die Regel gelten, dass man, wenn man dann endlich eine Plattenkiste zum Durchwühlen ergattert hat, sich dieser auch ohne Ellenbogenchecks von allen Seiten widmen kann. Doch immer wieder trifft man tatsächlich auf sogenannte Reingreifer. Diese lauern hinter einem und – zack! – fischen sie sich die Platte heraus, zu der man sich gerade vorgearbeitet hat. Der Reingreifer ist eine ganz üble Subspezies unter den Shoppern.

Der Schlenderer wiederum müsste den Shopper eigentlich hassen, da ihm dieser oftmals nur verbrannte Erde hinterlässt. Doch eventuell weiß er nicht mal von dessen Existenz. Denn Schlenderer und Shopper treffen nur selten aufeinander. Kommt der eine, geht der andere schon wieder. Die erschütternde Wahrheit aber ist: Das Beste auf den Flohmärkten kaufen die Shopper frühmorgens weg, davon sollte der Schlenderer ausgehen, wenn er sich durch Berge von Müll und Ramsch wühlt, die ihm hinterlassen worden sind.

Allerdings gibt es auf Berliner Flohmärkten auch so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit, die man freilich auch genauso gut Ausdruck einer zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit in dieser Stadt nennen könnte. Denn viele der Shopper sind Händler. Sie kaufen den Krempel billig bei den verkaufenden Studenten ein und speisen ihn neu ein in den Flohmarktkreislauf. Die Frühaufsteher mit weniger Geld gestalten den Markt teilweise neu für die Spätaufsteher mit mehr Geld. Aus Ramsch wird dann teurer Vintage, aus einer alten Vase ein Erbstück. Daran erfreut sich dann der Schlenderer trotzdem.