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Archiv-Artikel

DIE ACHSE DER 9. WOCHE – VON TOBIAS RAPP

Jenseits von allem

Man kann es ja gar nicht oft genug sagen: wir leben in popmusikalisch goldenen Zeiten. Sie sind nur stilistisch nicht festzuzurren. Was genau ihre Größe ausmacht. Leben und arbeiten im Archiv könnte man sie überschreiben, und nur wer glaubt, Popkultur bestehe vor allem in der Großgeste des Neuschöpfens, dürfte dieser endlosen Ankunft in der Postmoderne nichts abgewinnen können. Dabei ist genau dies der Großtrend der Gegenwart.

Man nehme etwa Joakim, einen Pariser Produzenten, DJ, Musiker und Macher des Labels Tigersushi. „Monsters & Silly Songs“ hat er sein großartiges Debütalbum genannt, und nichts, was Joakim hier veranstaltet, lässt sich ohne weiteres auf einen Begriff bringen. Ist dies eine Band, die hier spielt, oder frickelt da jemand alleine im Studio herum? Auf welchem stilistischen Feld spielt diese Musik: im New Wave der Achtziger, der mitunter durchschimmert? Im kühlen Krautrock der Düsseldorfer Kunsthochschul-Szene? Ist dies am Ende Beardo House? Franzosenrock mit einer 808-Kickdrum? Was mag es zu bedeuten haben, wenn Joakim in Interviews sagt, bei der Produktion der Platte sei seine Festplatte abgestürzt, alles habe er neu einspielen müssen?

Auf 16 Stücken begibt sich Joakim quer durch die Kulturlandschaft seines Archivs – diese Musik eklektizistisch zu nennen, würde immer noch bedeuten, dem Zitat den Status des Zitats zuzusprechen. Das ist nicht mehr der Fall. Für „Monsters & Silly Songs“ ist der Sampler tatsächlich ein Instrument neben anderen – und die anderen zitieren auch.

Joakim: „Monsters & Silly Songs“ (Versatile/K7)

Am Rande des House

Ganz andere Baustelle: House. Ganz anders, weil sonst gegenwärtig wahrscheinlich nur Metal, Noise und britischer Frisurenpop eine ähnlich geschlossene Ästhetik anbieten, die so glücklich prosperiert, obwohl sie so rundum anders funktioniert als das Anything-goes-Modell eines Joakim. Hier gibt es Regeln. Klar definierte Gesetze, Referenzpunkte, die sich an bestimmten Sounds festmachen, an einer Art, einen Track zu strukturieren. Um die kommt man nicht herum. Hält man sich dran, ist aber alles möglich.

Man nehme etwa Hendrik Weber alias Pantha du Prince. „This Bliss“ heißt sein neues Album, der Nachfolger seines Debüts „Diamond Daze“, das vor drei Jahren herauskam und zusammen mit den Platten von Lawrence für das Hamburger Label Dial ein Subgenre begründete, das man Goth House nennen könnte. Goth im Sinne von Edgar Allen Poe, nicht im Sinne von The Cure. Eine herbstliche Spielart von House, wenn man so wollte, hingetupft in glitzernden und dunklen Grautönen. Diese Stimmung zieht sich auch durch „This Bliss“, ein wenig mehr öffnet sie sich nun der Tanzfläche.

Weber sagt, dass er für „This Bliss“ so unterschiedliche Einflüsse wie Orchestra Manoeuvres In The Dark, Neu!, Popol Vuh und zeitgenössische E-Musik verarbeitet hat. Doch anders als bei Joakim, wo man ob der Frage, was hier eigentlich gerade gespielt wird, in ständiger freudiger Verwirrung befindet, wird man von Pantha du Prince sicher geführt. House ist der Rahmen, in dem dieses brillante Album aufgeführt wird. Es ist schön, die Privatmythologie des Künstlers zu kennen, die Freude an „This Bliss“ kommt aber auch ohne sie aus.

Pantha du Prince: „This Bliss“ (Dial/ Kompakt)