: Handlungsfreiheit entdeckt
Werder Bremen schlägt den Vfl Bochum zu Hause mit 3:0 und träumt nach dürren Zeiten wieder von der Meisterschaft. Die Wende bringt Aaron Hunt, der trotz gelegentlicher Trantütigkeit alle Tore erzielt
von Jens Fischer
Das Tief, die Seuche, die Krise – alles vorbei? „Ich sag’ jetzt einfach: Ja!“ Bremens Sportdirektor Klaus Allofs legte nach dem 3:0-Heimsieg gegen den Vfl Bochum seinen freundlichen Hang zu Relativierungen spontan beiseite. Nach den frustrierenden Wochen, mit nur einem Punkt aus den letzten vier Bundesliga-Spielen, musste es einfach raus, dieses „Ja!“, das auch den Blick wieder nach ganz oben in die Bundesligatabelle schweifen lässt. Allofs: „Wir können es kaum fassen, so schnell wieder ins Titelrennen zurückgekommen zu sein.“
Torsten Frings glaubt, dass die drei Punkte Rückstand auf Spitzenreiter Schalke in den verbleibenden zehn Partien aufzuholen sein müssten – weil jetzt Schalke und Stuttgart in die Krise rutschen würden. Zuletzt war Frings in Werders linkem Halbfeld mehr als Aufwühler der pomadigen Präsentationen seiner Kollegen aufgefallen und hatte mangelnde Arschaufreißen-Qualitäten moniert. Nach dem Sieg vom Samstag aber schwärmte Frings wieder vom „Wir“.
Zum Beschwören des „Wir“-Gefühls wurde auch die letzte spielfreie Woche genutzt. Endlich war mal Zeit, in energischen Trainingseinheiten und lauten wie leisen Ansprachen dagegen anzuarbeiten, woran es in der Rückrunde haperte: an Leichtigkeit, Sicherheit und mannschaftlicher Geschlossenheit.
Man nannte es Krise, und hoffte auf die Zuspitzung dieses Zustands wie im klassischen Theater, wo die Krise der Wendepunkt des Geschehens ist. Der dramatische Held, das Fußballteam, erkennt die eigene Handlungsfreiheit und leitet mit einer Entscheidung den Umschwung ein. Zur kämpferischen Aufführung dieser dramatischen Wende richtete man die Rasenbühne sumpfig her, stilvolles Bremer Schmuddelwetter wurde bestellt und geliefert. Als Aufbaugegner reisten die Abstiegskandidaten aus Bochum an, die in 29 Spielen noch nie im Weserstadion gewinnen konnten und beim 0:6 im Hinspiel regelrecht vorgeführt wurden. So agierten sie dann auch: hinten engagiert, nach vorne gar nicht.
Und der Held der Krise? Werder trödelte und rutschte und patzte sich zunächst gemütlich durch den Nachmittag. Kein Mumm, kein Druck, keine Inspiration. Bis zum Aufblitzen einer fast vergessenen Tugend: Steilpass in den Lauf von Miroslav Klose, der legt millimetergenau hinüber zu Aaron Hunt, der in der 25. Minute das Runde ins torwartlose Eckige schiebt.
Dabei agierte Hunt nicht nur glücklich. Irgendwie trantütig hielt er den Ball bei Kontern immer so lange, bis die Bochumer Abwehr formiert war, dribbelte sich fest, wenn er hätte abspielen müssen, spielte einen Fehlpass, wenn er hätte dribbeln müssen. Trotzdem wurde er zum Helden: In der 72. Minute des verkrampften Spiels schoß er eher ratlos im Strafraum einen Gegenspieler an, der den Ball unhaltbar zum 2:0 abfälschte. Danach verwertete Hunt überlegt und gekonnt einen Diego-Pass zum 3:0 Endstand (76.).
Und Werder erarbeitete sich ein zartes Werden alter Spielkultur. Der Gegner war zwar nur der Tabellen-17. „Aber unsere Mannschaft ist selbstbewusst genug, um kommenden Sonntag auch in München zu gewinnen“, betonte Klaus Allofs. Die Bayern stehen auf Platz vier, haben auch gerade eine Krise in einen vorsichtigen Prozess der Heilung überführt. Zwei Genesende – als heiße Titelanwärter im Krisengeschäft Bundesliga? In Bremen sagt man wieder: „Ja!“