PFERDEWETTENLYRIK, ROLF-EDEN-TENNISCLUB-GLAMOUR UND DICKE JOCKEYS: EIN TAG AUF DER TRABRENNBAHN : Abcashen mit Gurken-Sandwich
MICHAEL BRAKE
Beim Kiosk lagen so Gutscheine aus, für die Traberderby-Woche: Drei Besucher zum Preis von einem! Da musste ich natürlich zuschlagen, und an einem tropenwarmen Augustsonntag geht es mit einer pferdekompetenten Reisegruppe auf nach Berlin-Mariendorf.
Wir breiten unsere Decken und unser Picknick aus, es gibt Gurken-Sandwiches und Manner-Waffeln, geschnittene Wassermelone aus der Kühltasche und selbstgemachte Minifrikadellen. Erstmal wird das Programmheft gelesen, das mit seiner unvergleichlichen Pferdewettenlyrik auf die Rennen des Tages einstimmt: „… von der ‚5‘ wird der mächtige Braune früh das Kommando übernehmen und dann nach Hause stiefeln – daran beißt die Maus keinen Faden ab … Ein Langstrecken-Rennen mit mehr als sieben Siegeln, das den Wettern die Köpfe qualmen lässt … Shark Attack wird sich an die Innenkante verkrümeln und hoffen …“
C. hat sich in Traber-Foren im Internet vorbereitet und weiß, dass man den Texten im Programmheft nur bedingt trauen kann. Auch von Dreier-Einlaufwetten hält er wenig. „Da kann man ja gleich Lotto spielen!“ Er macht in den ersten beiden Rennen Gewinne, die er klug reinvestiert, und ist bald völlig im Rausch, spricht nur noch davon, wo er gleich wieder „abcashen“ wird. P. hingegen verliert immer mehr. Er setzt noch weiter, „um die Verluste auszugleichen“, und geht am Ende mit 40 Euro minus aus dem Renntag.
Ich setze meistens auf Pferde mit lustigen Namen wie Cosmic Lover oder Candyman Hornline oder Jockeys mit lustigen Namen wie Epimach Fleschhut. Nur einmal gewinne ich, weil ein Pferd nachträglich disqualifiziert wird und Be Stuck Paasloo, mein Favorit auf Sieg, gewinnt, auch C. kann hier gleich wieder abcashen. So mache ich aus 2 Euro 17,20, die ich natürlich gleich wieder ins Spiel bringe, am Ende gehe ich mit exakt 20 Cent Gewinn nach Hause. Später stromern wir übers Gelände, vorbei an „Florida Eis“-Ständen und Werbeinseln des führenden Pferderennsportportals trotto.de. Bei den Ställen kann man die Jockeys von Nahem sehen, sie sind erstaunlich alt und gar nicht so klein, wie wir dachten, vor allem nicht so dünn. Die Pferde wiederum sind alle braun, selbst die „Füchse“. Schimmel oder Rappen gibt es keine.
Vor der VIP-Tribüne findet als Pausenfüller eine Modenschau statt, der Höhepunkt ist eine Dirty-Dancing-Tanzeinlage, und die Models, betagtere Frauen in quietschbunten Kleidern, lassen Luftballons in die Luft steigen. Peer Kusmagk sitzt auf einem der wenigen VIP-Plätze, nach der Schau lässt sich eine dicke Besucherin in einem schrillen Outfit mit ihm fotografieren. Es ist dieser Rolf-Eden-Tennisclub-Glamour, den das Westberliner Pseudobürgertum seit über 60 Jahren kultiviert, ein Westberlin, das hier in Mariendorf noch immer existiert. Die Trabrennbahn hat ihre besten Tage hinter sich, und auch die Rennen tragen nur noch Namen wie „Preis der Dietz-Direktsäfte“.
MontagMaik Söhler DarumDienstag Yacinta NandiDie gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe Freitag Jürn Kruse Fernsehen
Die Gutscheine vom Kiosk gelten übrigens nicht am Derby-Sonntag, wir mussten alle den vollen Eintritt zahlen. Trotzdem ist es einer der schönsten Tage des Jahres.