: Das Leben des Schweins
Können die Konsumenten dafür sorgen, dass menschenwürdiger und umweltgerechter produziert wird? Ja, und Tanja Busse zeigt wie
VON PAUL NOLTE
Neues vom Konsum? Der politische Verbraucher ist so alt wie die moderne Konsumgesellschaft, nämlich weit über 200 Jahre. Schon im 18. Jahrhundert protestierten hungernde Großstädter gegen unfaire Brotpreise, und amerikanische Siedler warfen englischen Tee ins Wasser, um gegen koloniale Herrschaft zu demonstrieren.
Dennoch geschieht seit einigen Jahren etwas Neues. Kritisches Konsumentenbewusstsein ist kein Sonderfall von Krisenzeiten und Revolutionen mehr, sondern Alltag. Es braucht auch keine Helden mehr, sondern es ist zum Normalfall des Lebensstils geworden, jedenfalls in den westlichen Mittelschichten und ganz gewiss auch in der Bundesrepublik. Die Verallgemeinerung ethischer Kriterien des Konsums erscheint oft paradox: dann etwa, wenn an die Stelle des Hofladens die McBiomarkt-Ketten in nationaler, vielleicht bald globaler Verflechtung treten.
Damit sind wir bereits mitten in dem Buch der Journalistin Tanja Busse. Es liest sich als eine Reise durch die Welt des neuen Konsumentenprotests, es führt auf die Verbindungswege zwischen dem Kauf von Produkten und ihrer Herstellung. Das ist das Grundmotiv der Autorin und ihr Appell an die Leser: Wenn wir nur wüssten, wie die Güter entstehen, die wir täglich so unbefangen kaufen, dann würden und sollten wir uns anders entscheiden – nämlich den Anbietern auf die Pelle rücken, mit Protest-Mails und mehr, oder schlicht nicht mehr bei ihnen kaufen. Das gilt für den von Kindern genähten Fußball ebenso wie für das Hähnchen aus der Fabrik oder das Hemd aus dem Sweatshop in Bangladesch.
Es geht also um Dinge, über die man sich empören kann, und mit Zorn und Eifer hat auch Tanja Busse erkennbar dieses Buch geschrieben. Aber auf wohltuende Weise verfällt sie weder in Weinerlichkeit noch predigt sie heroischen Konsumverzicht. Vielmehr beginnt sie mit einer erfrischenden Kritik der älteren Konsumkritik, die in den Verbrauchern oft die armen, manipulierten Objekte der Verschwörung und Verführung gesehen hat. Neuere Konsumtheorien, denen die Autorin folgt, geben den Konsumenten „agency“, also Handlungsmacht.
Sie will den Konsum auch nicht bloß als ein kulturelles Zeichensystem verstanden wissen, als Symbol und als Lifestyle. Vielmehr geht es ja um physische Dinge, um eine materielle Welt, und diese hat eine Herkunft, über die wir – da sind wir wieder bei ihrem Grundmotiv – besser Bescheid wissen sollten, auch wenn das angesichts globaler Produktionsorte und Handelswege immer schwerer fällt.
Zwischen den Einleitungs- und Schlusskapiteln mit grundsätzlichen Überlegungen zum neuen politischen Konsumenten machen zehn Kapitel über einzelne Produkte, Branchen oder Industrien den Hauptteil des Buches aus. Schwerpunkte bilden die globale Textilindustrie und die Lebensmittelerzeugung von der deutschen Milch bis zum Sojafeld im Regenwald.
Was die Autorin jeweils interessiert, sind die sozialen Bedingungen der Herstellung, der Arbeit in den Herkunftsländern; die ökologischen Bedingungen und Folgen, die teils in der Herkunftsregion bleiben, teils als Inhaltsstoff unmittelbarer Bestandteil des Produktes werden; und natürlich die wirtschaftliche Logik von Produktion und Handel in globalen Verkettungen. Am Ende steht der Preis auf dem Etikett. Tanja Busse fragt weniger danach, was die Konzerne verdienen, sondern danach, was die Verbraucher vermeintlich sparen. Was würde die Fairness, die moralische Unbedenklichkeit der Herstellung mehr kosten? Oft sind es nur ein paar Cent.
Insgesamt ist das eine sehr gelungene Mischung aus scharfsichtiger Analyse und eindringlicher, sorgfältig recherchierter Reportage, zusätzlich gespickt mit praktischen Tipps. Es verführt zum Weiterdenken, ja durchaus zu kritischen Gedanken. Wenn Konsumentenprotest sich nicht mehr in erster Linie als totale Konsumverweigerung oder als der Boykott bestimmter Güter oder Hersteller äußert, dann kommt auf die Verbraucher nicht nur ein neues Machtpotenzial, sondern auch eine Last der Verantwortung und der Information zu, die gar nicht leicht zu tragen ist.
Über die Herkunft aller Dinge des täglichen Gebrauchs Bescheid zu wissen, kann ganz schön anstrengend sein. Das ist eine Frage der Informationen, die das Produkt trägt: Sagt mir die Wurst, was drin ist, und ob das Schwein ein gutes Leben hatte? Aber vielleicht wollen wir gar nicht alles so genau wissen und uns dafür auch nicht einen moralischen Vorwurf einhandeln. Pointiert gesagt: Gibt es nicht auch ein Recht auf Nichtwissen? Jede komplexe Tausch- und Handelswirtschaft, nicht nur der Kapitalismus, beruht auf Abstraktion. Gegen Geld zu tauschen bedeutet ja gerade, von der Herkunft einer Sache abzusehen.
Ein weiterer Punkt aus dem Programm, das Tanja Busse vorschlägt, ist neben der Chance auch Last und weist überdies auf ein grundsätzliches Problem. Die Verantwortungskette für die Produktion endet bei den westlichen Konsumenten. Die gewinnen dadurch politische Macht, aber sie bürden sich auch die Probleme der ganzen Welt auf. Das kann man durchaus für angemessen und gerecht halten.
Trotzdem verschwindet damit die Perspektive der Produzenten und deren eigene „agency“. Stillschweigend werden sie – etwa die Textilarbeiterinnen in Bangladesch – ihrer eigenen Politik beraubt, weil ihre Probleme von den westlichen Konsumenten moralisch adoptiert werden. Es wäre doch besser, die Textilarbeiterinnen würden sich organisieren und streiken. Man muss das eine nicht gegen das andere ausspielen. Aber die neue Konsumentenmacht sollte das politische Gewicht der Produktion nicht aus dem Blick verlieren.
Natürlich kann man nach der Lektüre endlos weiterstreiten, ob einer Moralisierung des Konsums nicht zumindest pragmatisch Grenzen gesetzt sind. Die Alternative, sich der Konsumverstrickung zu stellen oder sie zu verdrängen, ist unrealistisch. Zum Glück gibt es nicht nur ein „ganz oder gar nicht“. Sonst würden neue Konsumentenmacht und ethischer Konsum die Spielwiese einer winzigen Minderheit bleiben.
Tanja Busse: „Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht“. Karl Blessing Verlag, München 2006, 319 Seiten, 14,95 Euro