: Überall in der City lauert Busch
Hannover feiert den 175. Geburtstag des Schöpfers von Max und Moritz. Der Hannoveraner galt ihm als Prototyp des Deutschen Michel und war zugleich Inspirationsquelle für seine Bildergeschichten. Darin zerlegte er, was den Zeitgenossen heilig war: die Ehe, den Suff, den Sinn des Lebens
aus Hannover MICHAEL QUASTHOFF
„2007 ist unser Wilhelm-Busch-Jahr.“ Stefan Weil, Hannovers neuer Ober- und Eventbürgermeister, lässt feiern und die Leinestadt zur „Open-Air-Galerie im Zeichen des genialen Satirikers“ umrüsten. Das Motto: „Überall in der City lauert Busch“. Und das ist keine leere Drohung. Wo der Sozialdemokrat die Korken knallen lässt, wächst kein Gras mehr.
Der „Mensch Busch“ wird in “szenischen Lesungen“ seziert, sein künstlerisches Konzept „überschritten“, auf Mövenpick-Speisekarten verwurstet, im „musikalischen Crossover“ verhack- und zum „Lese-Picknick“ zwischen Herrenhäuser Barockrabatten verfrühstückt. „Busch kommt zu Wort“, „Busch wird getanzt“, Busch wird aus- und „auf den Kopf gestellt“. Kurz: „Es wird auf den Busch geklopft“ in Hannover.
Zum Beispiel im Opernhaus. Dort läuft seit Februar „Die fromme Helene“, ein eher fades Auftragswerk des Briten Edward Rushton, der „14 SängerInnen in einem schillernden Spiel der Brechungen immer wieder über ihre Rollen reflektieren“ lässt. Die kongeniale Fortsetzung kredenzt der „Erlebniszoo“: „Spezielle Führungen im Affenhaus gewürzt mit Buschs Geschichten und Reimen“.
Die Frage ist: Hat Hannover oder besser, hat Busch diese Spaßhölle verdient? Die Antwort lautet: nein. Zum einen war Busch jeglicher Auftrieb um seine Person zuwider. Zum anderen hat der Zeichner nichts mehr gehasst, als sich gemein zu machen, und darum in Schrift und Bild zerlegt, „was den Zeitgenossen heilig war: die Ehe, die Kirche, den Sinn des Lebens, die Erziehung, den gepflegten Suff und die Kunst“ (Robert Gernhardt). Dass er dieser Leidenschaft auf höchst komischem Niveau nachging, könnte allerdings tatsächlich mit Hannover zusammenhängen.
Das Licht der Welt erblickte Heinrich Christian Wilhelm Busch am 15. April 1832, also vor ziemlich genau 175 Jahren, im Flecken Wiedensahl, zwanzig Kilometer nördlich der Stadtgrenzen. Zum Skeptiker und Schopenhauer-Jünger wuchs der begabte Knabe im Göttingischen, genauer gesagt in Ebergötzen, heran. Später in Lüthorst am Solling nahm ihn sein Onkel Georg Kleine unter die Fittiche. Zum Maler reifte er in Antwerpen, zur Berühmtheit in München.
Mit Hannover verbinden den „feinsten Menschenkenner des 19. deutschen Säkulums“ (Ludwig Thoma) erst einmal nur vier Jahre Fron auf dem Polytechnikum, die Busch nicht freiwillig, sondern auf dringlichstes Insistieren seines Vaters absaß.
„Ich war sechzehn Jahre alt,“ erinnert sich Busch, „und da ich vom Lande eine gewisse Schüchternheit mitgebracht hatte, die mich nie eine Stunde versäumen ließ, so gingen meine Studien auch ganz leidlich“.
Es wären öde und gänzlich vertane Zeiten gewesen, hätte nicht ein Jahr nach seinem Schuleintritt die 48er Revolution an das gotische Rathaus geklopft. Als in Magistratshäusern ein paar Fensterscheiben zu Bruch gingen, wurden die Polytechniker in Uniform gesteckt und mit alten Steinschlossflinten bewaffnet. „Wir waren, als Schergen der Ordnung, beim Volke recht unbeliebt. Aus den Haustüren im Rösehof gossen unsichtbare Hände uns Schmutzwasser an die Beine“, erinnert er sich.
Zu ärgeren Zwischenfällen kam es nicht. „Nur einmal, während der Nacht“ hatte Buschs Kompanie eine Barrikade zu nehmen. „Schießen konnten wir nicht. Da sprang ein langer Kollege, der die Geduld verlor, aus dem Gliede voran und prickte einem Kerl das Bajonett durch die Hose, dass er bölkte wie ein Ochse. Im Lindener Spital hat man ihn kuriert. Und dies, soviel mir bekannt ist, ist unsererseits die einzige grausame Bluttat während der ganzen Revolution.“
Buschs erste Erfahrungen mit der hohen Politik waren also einerseits ernüchternd, so dass er sich auch später damit „nur so viel abgab, als nötig, um zu wissen, was ungefähr los war“ (Eduards Traum). Aber die Sache hatte doch auch etwas Inspirierendes. „Ich erkämpfte mir in der Wachstube die bislang noch nicht geschätzten Rechte des Rauchens und des Biertrinkens; zwei Märzerrungenschaften, deren erste mutig bewahrt, deren zweite durch die Reaktion des Alters jetzt merklich verkümmert ist“.
Und so verdanken wir letztlich recht eigentlich Hannover die unvergänglichen Busch-Studien und -Empathien flüssigen wie gasförmigen Rausches: „So geht es mit Tabak und mit Rum:/ Erst bist du froh – dann fällst du um“ oder „Heut bleibt der Herr mal wieder lang/ Still wartet sein Amäbelmang./ Da kommt er endlich angestoppelt./ Die Möbel haben sich verdoppelt.“ oder „Sie tranken manchen Humpen aus,/ sie stolperten aus den Türen,/ sie grunzten vernehmlich und kamen zu Haus/ gekrochen auf allen vieren.“
Nicht zu vergessen die prophetische Rauchphantasie in zwölf Blättern, die den LSD-ähnlichen Trip des vorwitzigen Buben Krischan ausmalt, der heimlich an seines Vaters Pfeife saugt: „Min Krischan steckt ok gar nich fuul/ de Smoekepiepen in dat Muul,/ he smoekt! – Wat, Deuker, is denn dat?!/ Mich dücht, dar achter rögt sick wat./ De Stock is mit den Schirm in Gange,/ de Aben (Ofen) danzet mit der Tange (Stange)./ De Slaprock tanzt mit den Stohl, juheh!/ Un de Disch mit den olen Kanapeh …“
Dass der junge Busch für seine diesbezüglichen Versuche optimale Bedingungen vorfand, ist belegt. Um 1840 verzeichnet Hannover auf 20.000 Einwohner 30 Branntweinbrennereien, sechs Bierbrauereien, 72 Gastwirte, 20 Speisewirte und sieben Bierhäuser. Und auch sonst dürfte er in der Krämer- und Beamtenstadt reichlich Anschauungsmaterial an biedermeierlichen Physiognomien gefunden haben, welches sich in Meisterwerken wie der Knopp-Trilogie, dem „Balduin Bählamm“, „Der frommen Helene“ oder „Maler Klecksel“ niedergeschlagen hat.
Dem Göttinger Physikprofessor und Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg, der wegen einiger Messungen in Hannover weilte, erschien sein Wirt als „ein solcher Philister als jemals einer pereiet worden ist“. Seine Wirtin befand er „für eine Hannöverische ziemlich schön“, aber sie sehe immer noch „von hinten besser aus als von vornen“.
Ludwig Börne traf in Hannover außer „groben Postbeamten nichts als Hof, nichts als Soldaten und Regierung. Wo stecken die Untertanen?“ Ein Besuch der Oper geriet dem weltläufigen Publizisten zum Fiasko. „Die Aufführung war sehr schlecht. Das Tempo, der Geist fehlte oft. Einige Sängerinnen sangen falsch“, ärgerte er sich.
Obendrein habe das Musenhaus wie „wie eine Kaserne“ ausgesehen. Die Hälfte der Stuhlreihen war „meistenteils von Offizieren besetzt. Es sieht aus, als bewachen sie das bürgerliche Spitzbubenparterre. Welche Todesstille, welcher Winterfrost im bürgerlich hannöverischen Zuschauervolke.“ Börnes Fazit: „Oh, blödes Vieh.“
Auch Georg Friedrich Strohmeyer, seines Zeichens Chirurg und Schriftsteller, machte die mangelnde Kommunikationskompetenz der Hannoveraner erst rat-, dann sprachlos. Ihm fiel schließlich nur noch Leibnitz ein, der nach jahrzehntelanger Kärrnerarbeit im kurfürstlichen Archiv geklagt hatte: „Hier in Hannover findet man kaum jemand, mit dem man sprechen kann. Ohne unsere Kurfürstin Sophie spräche man in der Tat gar nicht.“
Als Strohmeyer 1828 die Stadt besuchte, fand er jedenfalls „keinen, der Verlangen zeigte, sich von unseren Reisen erzählen zu lassen“. Stattdessen spielte man schweigend Whist und rauchte. Wenn der Hannoveraner doch mal etwas sagte, kolportierte die liberale Zeitung für Norddeutschland, „ließ er die Welfen hochleben oder bestellte Bier beim Schützenfest“.
Busch war der Lokalpatriotismus und die Antipreußendemagogie der Deutsch-Hannoverschen Partei ebenso zuwider wie der „rationalistische vormärzlerische Freischärlerton“, den er sich als Schüler des Polytechnikums hatte anhören müssen. Aber er nahm sie nicht persönlich, er lebte ja davon. Als Darwinist und Schopenhauer-Anhänger hielt Busch den Menschen im Allgemeinen für ein eitles Rindviech, für einen „ledernen Sack voller Kniffe und Pfiffe“. Der Hannoveraner hingegen galt ihm als Prototyp des „Deutschen Michel mit seiner protestantischen und katholischen Haushaltstante und der staatskirchlichen Base.“
Als der mittlerweile hochberühmte Künstler im Jahr 1872 beschloss, sich wieder in Wieden–sahl niederzulassen, ging es ihm aller Wahrscheinlichkeit nach wie seinem Kollegen Karl Philipp Moritz, einem ebenfalls in und von Hannover früh Geschädigtem. Dessen Alter Ego Anton Reiser fühlte sich erst wohl, „sobald er aus dem Gewühle der Stadt war und die Türme von Hannover hinter sich sahe.“
Lieb waren Busch am Ende nur der Zoo, wegen der Tiere, und der Bahnhof, wegen die Fahrkarten, die ihn schnell weit weg brachten. Denn wie sagt der Dichter: „Schön ist es auch anderswo/ und hier bin ich sowieso“.
Dass die Wilhelm Busch Gesellschaft heute ausgerechnet in der Expo- und Messestadt ihren Sitz hat und im Wilhelm-Busch-Museum sein Erbe pflegt, ist sozusagen die Ironie der Geschichte. Der Meister hätte es ahnen können. „Stets findet Überraschung statt/ da, wo man’s nicht erwartet hat;/ doch dass dieselbe überall/ grad angenehm, ist nicht der Fall./ Gar oft erschreckt uns eine sehr/ und eine andre noch viel mehr.“