PETER UNFRIED über CHARTS : Du bist mein Reim auf Schmerz
Die Charts heute mit Heidi Klum, Annette, Katrin, Petra, Susanne, Lola, Mabel und Heinz Rudolf Kunze
KLIMAWANDEL: Ich habe im vergangenen Herbst einen kleinen Denkfehler gemacht, für den ich mich entschuldigen möchte. Als damals kaum einer vom Klima redete, habe ich postuliert, wenn dieses Thema erst im Feuilleton sei, dann sei es auch in der Mitte der Gesellschaft, und wir könnten anfangen, was zu tun.
Was für ein Unsinn!
Nun ist es im Feuilleton, und was passiert? Das, was im Feuilleton-Bunker oft passiert: Es wird von klugen, aber vom Echten überforderten Schreibtisch-Antistalinisten („So nicht!“) auf der üblichen theoretischen und ästhetischen Ebene zerbröselt. Als ginge es um eine Theaterinszenierung oder einen handelsüblichen Quatsch von Walser. Mensch, Feuilleton. Get real.
Oder besser nicht.
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KLUM: Ist Heidi Klum hübsch? Gestern dachte ich: Oh, Mann, ja, die ist doch superhübsch. Aber dann denke ich auch wieder: Ach nee, so hübsch ist die gar nicht. Würde mich mal interessieren, wie andere das sehen.
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KUNZE: Im Zusammenhang mit der deutschen Vorentscheidung zum Eurovision Contest Erinnerung an Heinz Rudolf Kunze, der sicher eine so wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat wie, sagen wir, Karl May, Buffy Ettmayer und Annette. Remember?
„Nachts um halb drei / wenn jede Frau in deiner Nähe Annette heißt / und auch meistens so ist …“
Wahnsinn. Tatsächlich hieß in den Achtzigern im Westen beziehungsweise im Süden nachts um halb drei auf einer halblebigen Party jede Frau in deiner Nähe Annette. Und war dann auch meistens so. (Im Übrigen waren die Nannettes und Christianes auch schon immer längst abgeschleppt, bis unsereins endlich warm lief.)
Im Osten hießen sie nachts um halb drei Katrin oder Bettina. Oder Katrin Bettina. Oder Christine. Und Christine hießen sie bei uns ja auch. Wenn sie nicht Petra oder Susanne hießen. So. Zurück zu Kunze.
Ein knallharter zweiwöchiger Wiederhörtest hat meine Familie dezimiert, aber er bestätigt: Das Album „Dein ist mein ganzes Herz“ (1985) bleibt Kunzes bestes. Es markiert nicht nur mit dem Titelsong seinen Abschied von den präzisen, musikalisch eher unterambitioniert untermalten Skizzen aus dem sozialliberalen Lehramtsmilieu – und den Einstieg in ein zeitweiliges Popstartum, das gefällig sein wollenden Mainstreampop mit teils bizarr dazu (nicht) passenden Texten über die Nazis, Tierversuche und Heinz Rudolf koppelte.
Von allen aber ragt eines heraus. Und wie das oft ist, die Künstler hassen so was, aber: Es ist „Bestandsaufnahme“ vom allerersten Album 1981.
„Es gab mal Zeiten, wo die Brüs$te unsrer Mädchen / noch kein Geheimnis waren, kein Privatbesitz / wir wußten alles von einander, nicht wie heute / wo man vereinzelt auf der Dauerdame schwitzt.“
Da erzählt Opa vom Krieg beziehungsweise tut so, und sagt dann im Laufe des achtminütigen Lieds, was zu sagen ist, über seine, hm, ja, Lehramts- und Sozialdemokratengeneration. Opa ist zu diesem Zeitpunkt kaum 25 Jahre alt. Dafür meinen Respekt.
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Die Top Twenty von Kunze:
20. Finderlohn
19. Nachts um halb drei
18. Mit Leib und Seele
17. Madagaskar
16. Lola (Text!)
15. Götter in Weiß
14. Draufgänger
13. Brille
12. Fallensteller
11. Traut keinem Sänger
10. Deutschland
9. Vertriebener
8. Ich glaub, es geht los
7. Du wirst kleiner, wenn du …
6. Finden Sie Mabel
5. Dein ist mein ganzes Herz
4. Brennende Hände
3. Alles, was sie will
2. Wunderkinder
1. Bestandsaufnahme
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Die Charts im März:
Song: Tiere in der Großstadt – Rocko Schamoni
Buch: Haben Wollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? – Wolfgang Ullrich (S. Fischer)
Fußball: Diego F. Klimowicz
Schmidt: Gut, aber zu selten.
Fragen zum Feuilleton? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS