: Neonazis ausgetrickst
Der Rechtsanwalt Jürgen Rieger (Foto), Jahrgang 1946, gehört zu den einflussreichsten Funktionären der rechtsextremen Szene in Deutschland. Der Verfassungsschutz betrachtet ihn als unverbesserlichen Rassisten. Er mischt seit Jahrzehnten in völkisch-rassistischen und antisemitischen Zirkeln mit. Rieger stand der NPD seit langem nahe, trat ihr aber erst im Herbst 2006 bei – und wurde beim vergangenen Bundesparteitag auf Anhieb in den Parteivorstand gewählt. Vor knapp einem Monat wählte ihn die Hamburger NPD zudem zum Landesvorsitzenden. Verfassungsschützer vermuten, dass die NPD vor allem aus finanziellen Gründen um Rieger buhlt. Denn die Partei ist in finanziellen Nöten und dem Juristen wird ein stattliches Vermögen nachgesagt – mit dem er auch seine Immobiliengeschäfte finanziert. Das Geld sollen ihm Altnazis vermacht haben. Seit Jahren meldet Rieger in Wunsiedel einen Gedenkmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß an. Als Anwalt hat Rieger regelmäßig andere Rechtsextreme verteidigt – zuletzt den Holocaust-Leugner Ernst Zündel. Er selbst wurde mehrfach rechtskräftig verurteilt. AGX
VON ASTRID GEISLER
Man muss schon wissen, wo es steht, das bekannteste Anwesen der Stadt. Im Faltblatt des Fremdenverkehrsblattes fehlt es. Keiner der Wegweiser für Touristen an den Straßenkreuzungen zeigt es an. Dabei ist das ehemalige Kulturhaus ein Schmuckstück. Wer davor steht, wähnt sich auf der Promenade eines Seebades – nicht an einer Hangstraße im ländlichen Thüringen. Gelb leuchtet die klassizistische Fassade, üppige Statuen zieren den Vorgarten. Nichts stört den Anblick. Kein Plakat im Fenster, kein Unrat auf der Wiese, keine Kritzelei an der Hauswand.
Michael Modde kommt jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit an der Anlage vorbei. Stets wirft er einen prüfenden Blick hinüber. Nicht weil er stolz auf den Prachtbau wäre. „Das Ding“, sagt er, „ist eine tickende Zeitbombe für die Stadt.“ Seit vergangenem Sommer leitet Michael Modde als parteiloser Bürgermeister die Geschäfte im Pößnecker Rathaus. Kein Gebäude hat ihm mehr Sorgen bereitet als das für die Schützengesellschaft errichtete gewaltige Vereinshaus oberhalb der Altstadt.
In Pößneck ist passiert, was Kommunalpolitikern im ganzen Land seit einiger Zeit als Horrorszenario gilt: Der Hamburger Neonazi-Anwalt und NPD-Funktionär Jürgen Rieger hat sich eingenistet mitten in dem 14.000-Einwohner-Städtchen zwischen Saalfeld und Gera. Er hat das Schützenhaus gekauft. Mehr als drei Jahre ist das her. Nun wird Pößneck regelmäßig genannt, wenn wieder das Gerücht durchs Land jagt, Rieger wolle irgendwo eine Immobilie ergattern und darin ein Schulungszentrum für Neonazis eröffnen. Pößneck – eines dieser braunen Rieger-Nester! Dabei bietet die Kleinstadt inzwischen Stoff für eine andere Geschichte. Darüber, wie Rieger einige Pößnecker aufgestachelt hat. Zum eigenen Schaden.
Der jüngste Coup einiger Kommunalpolitiker aus Pößneck könnte Rechtsgeschichte schreiben – und sich weit über die Stadtgrenzen hinaus auswirken. „Am Freitagabend hab ich erst mal eine Flasche Sekt aufgemacht“, berichtet der CDU-Stadtrat Alf-Heinz Borchardt. Denn am Freitag ist in Borchardts Pößnecker Anwaltskanzlei ein Beschluss des Amtsgerichts Jena eingetroffen. Ein Urteil, auf das er seit Wochen gewartet hatte. In dem Beschluss, der der taz vorliegt, hat das Amtsgericht dem Neonazi-Anwalt Rieger auf Antrag der Stadt Pößneck die Handhabe über das Schützenhaus in Pößneck entzogen.
Denn der Richter gab das Objekt einem Rechtsanwalt zu treuen Händen – dem Pößnecker CDU-Stadtrat Alf-Heinz Borchardt. Der soll sich nun als „Nachtragsliquidator“ um die Immobilie kümmern. Und nicht nur das. Auch über das wichtigste Anwesen in Niedersachsen, den „Heisenhof“ im Landkreis Verden, werde der Neonazi-Anwalt Rieger erst einmal nicht mehr verfügen können, versichert Borchardt. Auch dafür sei ab sofort er als „Nachtragsliquidator“ zuständig. Bereits am Freitag habe er die Verdener Behörden darüber informiert. Wie die auf die Nachricht reagierten? „Viele Taschentücher haben sie nicht gebraucht, um ihre Tränen aufzufangen“, sagt Borchardt trocken.
Gemeinsam mit Bürgermeister Modde, dem Landrat und zuletzt unterstützt von einer auf britisches Privatrecht spezialisierten Erfurter Kanzlei hatte Borchardt seit Monaten nach Wegen gesucht, wie man dem NPD-Anwalt und dessen britischer Briefkastenfirma in die Parade fahren könnte. Es fanden sich einige. So bemühten sich Riegers Statthalter in Pößneck vergeblich, den Behörden die Erlaubnis für die Nutzung des Schützenhauses als Gaststätte abzutrotzen. Zuletzt wohnte in der gewaltigen Anlage mit ihrem auf 600 Menschen ausgelegten Festsaal nur der frühere Betreiber einer Neonazi-Disko mit Frau und Kleinkind.
Letztlich ist Rieger wohl seiner eigenen Verdunklungsstrategie aufgesessen. Denn der Rechtsextremist hatte die Pößnecker Immobilie nicht persönlich erworben, sondern von seiner Londoner Tarnfirma „Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited“ ersteigern lassen. Für diese britische GmbH war ein Geschäftsbericht überfällig, den reichte Rieger nicht ein. Die Folgen kann jeder im britischen Handelsregister nachlesen. Riegers „Limited“ wurde am 29. August vergangenen Jahres von britischen Behörden kurzerhand gelöscht. Seither steht im Pößnecker Grundbuch ein Eigentümer, den es nicht mehr gibt. Damit war das Schützenhaus nach Ansicht der Stadtverwaltung herrenlos – auch wenn Rieger längst eine neue Firma ähnlichen Namens in England gegründet hat. Denn: Die steht ja nicht im Grundbuch. „Wer sich in die Niederungen des ausländischen Rechts begibt“, sagt Alf-Heinz Borchardt nüchtern, „der muss auch mit dessen Tücken leben.“
Borchardt, ein großer, schlaksiger Typ mit weißem Bart und braunem Dreiteiler, ist in Friesland aufgewachsen. 1991 zog der Jurist nach Pößneck. Und machte sich als Anwalt selbständig.
Seine neue Aufgabe als „Nachtragsliquidator“ – einer Art Insolvenzverwalter – der Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited will Borchardt sofort angehen. In seinem Beschluss hat das Amtsgericht den Anwalt mit der „Abwicklung“ des „in Deutschland gelegenen Vermögens“ der von Rieger betriebenen britischen Firma beauftragt. Laut Borchardt bedeutet das: Er wird die auf die Firma eingetragenen Immobilien inspizieren, ihren Wert schätzen, Mietverträge wolle er kündigen, die Anwesen räumen lassen und sie schließlich versilbern. Der Erlös werde – abzüglich aller Umkosten – auf einem speziellen Konto hinterlegt. Sollte die gelöschte Tietjen Stiftung noch über Konten verfügen, werde das Geld ebenfalls eingezogen. Wenn alles verkauft und geklärt sei, werde der Fall im Bundesanzeiger bekannt gemacht: „Wer Anspruch auf das Geld erheben will, der darf sich dann bei mir melden“, sagt Borchardt.
Der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger hat in den vergangenen Jahren diverse Immobilien in Deutschland gekauft und ersteigert. Die Befürchtung der betroffenen Kommunen: der Rechtsextreme könne dort Schulungszentren für die rechtsextreme Szene aufbauen. Aus gutem Grund, denn erst kürzlich verkündete Rieger in der NPD-Parteizeitung, er halte es für „dringend erforderlich“, dass den Rechtsextremen für „regionale Veranstaltungen wie auch für große Treffen auf Bundesebene“ eigene Räumlichkeiten zur Verfügung stünden, die „nicht gekündigt werden können“. Als Käuferin spannte Rieger mehrfach seine Londoner Briefkastenfirma Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited ein. Im Dezember 2003 ersteigerte die Tietjen Stiftung für 360.000 Euro das Schützenhaus im thüringischen Pößneck, kurz darauf für 255.000 Euro den Heisenhof, ein ehemaliges Bundeswehrgelände im niedersächsischen Dörverden. Zudem soll Rieger seit 1999 einen Kino-Komplex in Hameln und seit 2002 ein Bauernhaus in Hummelfeld (Schleswig-Holstein) besitzen. Der „Heisenhof“ gilt als Treffpunkt der Neonaziszene. Allerdings haben die Behörden dem „Heisenhof“ bauliche Mängel attestiert und untersagt, dass Riegers Anhänger in dem Gebäude wohnen. In Hummelfeld gibt es laut Verfassungsschutz keine Hinweise, dass das Gebäude von der rechtsextremen Szene genutzt wird. Das Kino in Hameln steht leer und verfällt, Nutzungsanträge liegen nach Angaben der Oberbürgermeisterin nicht vor. Seit geraumer Zeit wird die Anlage bei Ebay von einer Anbieterin mit dem Benutzernamen „zokky7“ feilgeboten, die auch mit Hexenbedarf und Kräutertees handelt – Mindestgebot 2,5 Millionen Euro. Offenbar hält sich das Interesse an der heruntergekommenen Anlage in Grenzen. Riegers jüngste Versuche, ein Hotel in der Delmenhorster Innenstadt sowie einen Gasthof in Wunsiedel zu kaufen, scheiterten. Die Kommunen kauften die Gebäude selbst. AGX
Falls es denn wirklich so weit kommt. Denn klar ist, dass sich Rieger – der selbst seit Jahren als Rechtsanwalt tätig ist – diesen Affront nicht einfach so gefallen lassen wird. Er kann den Beschluss des Amtsgerichts anfechten und dürfte auch versuchen die Arbeit des Pößnecker Anwaltskollegen per einstweiliger Verfügung zu stoppen.
Zumindest wird der juristische Coup dem rechtsextremen Multifunktionär einigen neuen Ärger bescheren – und seine Pläne in den betroffenen Kommunen blockieren. Denn Rechtsanwalt Borchardt will als Verwalter der Gebäude keine Veranstaltungen mehr dulden.
In den Rathäusern in Pößneck und in Dörverden wird man das gerne hören. Denn die bisher einzige Großveranstaltung der NPD im Pößnecker Schützenhaus im April 2005 hat auch der Landrat Frank Roßner als „gespenstisch“ in Erinnerung. Mehr als 1.500 Neonazis drängten damals in die Kleinstadt. Die NPD hatte zum Landesparteitag geladen – und wartete mit einem besonderen Abendprogramm auf: Michael Regener, frisch verurteilter Rechtsrocker gab sein Abschiedskonzert, bevor er in den Knast musste.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten hat sich Pößneck inzwischen bundesweit einen Namen gemacht, als eine jener Kommunen, die offensiv gegen Rechtsextreme und ihre Parolen angehen. Nicht nur juristisch, sondern auch gesellschaftlich. Unlängst hat sich die Kleinstadt erfolgreich um die Teilnahme am neuen Bundesprogramm gegen rechts beworden. Mit einem juristischen Sieg über Rieger will sich das Pößnecker Rathaus nicht begnügen. Es wäre auch heikel, darauf zu setzen: Niemand kann sagen, wer den Rechtsstreit um das Schützenhaus gewinnen wird. Denn einen vergleichbaren Fall hat es in Deutschland noch nie gegeben.