: Vorsicht, Sickergrube
Im Skandal um Subventionsbetrug im Umfeld der FH Gelsenkirchen werden Rektor und Kanzler der Hochschule beurlaubt. Das Land will den Betrieb komissarisch führen – und steht selbst in der Kritik
AUS GELSENKIRCHEN KLAUS JANSEN UND MARTIN TEIGELER
Auf dem Campus der Fachhochschule Gelsenkirchen warnen Schilder vor Fehltritten. „Vorsicht, Versickerungsanlage. Betreten verboten!“, steht dort geschrieben. Versickerndes Regenwasser ist jedoch das kleinste Problem der Bildungsstätte: Sie ist seit gestern führungslos. Nachdem 35 Millionen Euro Wirtschaftsförderung im Umfeld der Hochschule in ungeklärte Kanäle abgeflossen sind, hat NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) Rektor Peter Schulte und Kanzler Hans-Joachim Baier beurlaubt. Mit dem komissarisch eingesetzten Ministerialbeamten Heiner Kleffner steht damit erstmals ein öffentlicher Zwangsverwalter an der Spitze einer freien Hochschule.
Gestolpert ist Schulte über die Geschäfte von drei Professorenkollegen, die sich laut Ermittlungen der Bochumer Staatsanwaltschaft und des Landesrechnungshofs mit Hilfe von Scheinfirmen und Scheinrechnungen bereichert haben sollen (taz berichtete). Zunächst hatte sich Schulte als „zutiefst schockiertes“ Opfer seiner mittlerweile inhaftierten Mitarbeiter dargestellt. Auch als Mitte der Woche die Fragen nach seiner Mitwisserschaft lauter wurden, hatte er noch versichert, dass zumindest keine „Verletzung der Aufsichtspflicht“ vorgelegen habe. NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart sieht das offenbar anders. Am Donnerstagabend bestellte er Schulte und Baier ins Ministerium: Was die beiden dort vorzutragen hatten, konnte Pinkwart nicht überzeugen. Die Beurlaubung bedeute allerdings „keine Vorverurteilung“, heißt es aus dem Ministerium. Kanzler Baier will gegen die Abberufung auf Zeit klagen.
Ortsbesuch am Brößweg: Die Straße schlängelt sich zwischen den geduckten Reihenhäusern einer alten Bergarbeitersiedlung bis vor das rostige Tor des Geländes der ehemaligen Zeche Hugo. Hinter dem Tor erhebt sich grau der Förderturm, rechts davor befindet sich gleich neben einer Kleingartenanlage ein ockerfarbener Zweckbau: Die Hausnummer 40. Türschild und Klingel weisen das Gebäude als Sitz des Inkubator-Zentrums Emscher-Lippe aus, das im Mittelpunkt der Ermittlungen steht. Schulte war hier Aufsichtsratsvorsitzender. Auf der Eingangstür verweisen Aufkleber darauf, dass das Land und die Europäische Union das Hilfsprojekt für junge Start-Up-Unternehmen gefördert haben. Nirgendwo vermerkt ist, dass in Nummer 40 auch die „TecMedic Technology & Medicine GmbH“ oder die „Unitec Consulting AG“ beheimatet sind – Unternehmen, mit denen die inhaftierten Professoren Fördermittel des Inkubators abgezweigt haben sollen. Briefkastenfirmen ohne Briefkasten?
Der Geschäftsführer des Inkubators ist am Tag nach der Beurlaubung Schultes nicht zu sprechen. Dietrich K. Seeger ist Unternehmensberater und erklärte bereits am Montag auf taz-Anfrage, dass er vom Geschäftsgebaren seiner Kollegen nichts gewusst habe. Allerdings steht auch Seeger in der Kritik: Mit seiner privaten Seeger AG erhielt auch er Beratungshonorare vom Inkubator. An diesem Morgen erscheint nach mehrmaligem Schellen eine freundliche Mitarbeiterin: „Der Chef ist nicht da“, sagt sie. Wie es weitergeht mit dem Inkubator, wer das Unternehmen in Zukunft führen und beaufsichtigen soll? „Keine Ahnung.“
Nicht nur Seeger muss sich fragen lassen, wie der „bandenmäßige Subventionsbetrug“ (so die Staatsanwaltschaft) unbemerkt geschehen konnte. Im Aufsichtsrat des Inkubators saß auch der jetzige nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU), bis 2004 Oberbürgermeister von Gelsenkirchen. Wittke will sich auch auf Anfrage nicht zu den Ermittlungen äußern. „Er ist seiner Aufsichtspflicht offenbar nicht nachgekommen“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Ruth Seidl. Auf einer Sondersitzung des Haushaltskontrollausschusses am Dienstag wollen die Grünen die Regierung im Landtag mit einem „umfangreichen Fragenkatalog“ konfrontieren. Ein SPD-Sprecher erklärt hingegen, dass die Affäre „keine Frage der Parteipolitik“ sei. Allerdings fordern auch die Sozialdemokraten „lückenlose Aufklärung und Transparenz“.
Einen Beitrag dazu könnten neben Wittke auch die früheren SPD-Minister Hannelore Kraft (Wissenschaft) und Harald Schartau (Wirtschaft) leisten, die ihrerseits Millionen für die Gelsenkirchener Projekte bewilligten. Kraft dementiert, mit der Mittelvergabe befasst gewesen zu sein, und Schartau gibt zu verstehen, dass er sich ein derart „leichtgläubiges“ Verhalten in seinem Ministerium nicht vorstellen kann. Der Bund der Steuerzahler fordert bereits einen Untersuchungsausschuss.
Auf ein solches Gremium käme viel Arbeit zu. So könnten die Parlamentarier auch die Rolle des Ministerialrats Rainer Dietrich klären. Der NRW-Beamte saß im Beirat der ICB, einer der umstrittenen Firmen aus dem FH-Umfeld. Was hat er gewusst? Für ein Interview ist Dietrich nicht zu sprechen. Der Ministerialrat sei „nicht auf Veranlassung des Ministeriums in den Beirat der ICB berufen worden“, sagt eine Sprecherin des Finanzministeriums. Zwischenzeitlich sei Dietrich ins Sozialministerium versetzt worden. Von dort heißt es auf Anfrage: Über Interviewwünsche müsse der „damalige Dienstherr, das Finanzministerium, entscheiden“. Ministerialrat Dietrich ist zwischen zwei Ministerien verschwunden.
Die Studierenden an der Fachhochschule Gelsenkirchen sind von den Vorkommnissen wenig überrascht. Ein Endzwanziger mit Aktenkoffer sitz in der Cafeteria sagt: „Viele Studenten wussten, dass einige Profs komische Geschäfte gemacht haben. Die kommen nie wieder.“