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Archiv-Artikel

Der Übersetzer, der zu viel wusste

Zurück in den Spanischen Bürgerkrieg: Ignacio Martínez de Pisón wandelt auf den Spuren von John Dos Passos und versucht, den Mord am Übersetzer des Klassikers „Manhattan Transfer“ aufzuklären

Früh fanden die politischen Ereignisse des Spanischen Bürgerkrieges eine ästhetische Sublimierung, Picassos „Guernica“ ist nur das berühmteste Beispiel dafür. Aus Kunst und Literatur ist der blutige Kampf der republikanischen Partisanen gegen die Truppen des Putschisten Franco nicht wegzudenken. Dabei birgt die turbulente Ära, deren Bilder sich plastisch ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt haben, noch ungelöste Rätsel. In die Zeit, da viele Protagonisten des Krieges noch nicht alles verloren glaubten, fällt der Vorfall, um den das dokumentarisch-biografische Buch des spanischen Schriftstellers Ignacio Martínez de Pisón kreist: das plötzliche Verschwinden und der Tod des Übersetzers und Freundes von John Dos Passos, José Robles Pazos.

Beide kannten sich seit 1916. Als überzeugter Republikaner mischte der „Manhattan Transfer“-Übersetzer in der Politik mit, bis er vom sowjetischen Geheimdienst verschleppt und 1937 ermordet wurde. Pisón, einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren Spaniens, versucht in seinem neuen Buch „Der Tod des Übersetzers“ den Mord aufzuklären und Hintergründe transparent zu machen. Dafür zieht er detailversessen historische Quellen wie aktuelle Zeitzeugenberichte heran, die er kritisch prüft. Ermüdende Verzweigungen und Abschweifungen sind hier vorprogrammiert, zwischenzeitig nur weichen sie einer spannenden, detektivischen Erzählweise. Im Zentrum der knapp an einem spannenden Dokukrimi vorbeigeschlitterten Recherchen stehen die geheimen Machenschaften republikanischer Gruppierungen mit kommunistischer Prägung, die vonseiten des stalinistischen Russland unterstützt werden. Warum der Übersetzer sterben musste? Er wusste zu viel, auch wenn das, was er wusste, wohl von keiner großen Bedeutung war.

Über das vielschichtige Material hinausgehend, mit dem er immerhin ein Panorama der Hintergründe des Krieges zeichnet, skizziert Pisón die Biografien seiner Protagonisten Robles und Dos Passos. Hier verwandelt sich der Autor so sehr in den parteiischen, weil in seine Figuren vernarrten Romancier, dass er zwar fesselt, aber auf Kosten der Glaubwürdigkeit. So zeichnet er etwa den mit Dos Passos befreundeten Ernest Hemingway – sicher kein Prototyp eines sympathischen Menschen – beinahe durchweg und einseitig als „bösen“ Antagonisten seines Tatsachenromans: „Hemingway unterdrückte seinen Impuls, ihm eine zu verpassen“, nur ein Beispiel seiner suggestiven Rhetorik, die die Dichterfreundschaft geradezu notwendig enden lässt: „Der Bruch war Hemingways mangelnder Sensibilität zuzuschreiben, die er angesichts menschlichen Leids zeigte.“

Der Held ist klar Dos Passos. Mit ihm identifiziert sich Pisón, spürt doch der vor Menschlichkeit strotzende Amerikaner dem Schicksal seines ermordeten Freundes ebenso leidenschaftlich nach wie er selbst. Dos Passos’ aufopfernde Haltung erscheint pathetisch stilisiert: „In dem Augenblick stand Dos Passos’ Entscheidung fest: Er würde seine Meinung über den Krieg in Spanien publik machen, auch wenn er dafür seine Beziehungen zu den Kommunisten opfern müsste.“ Auch Pisón macht eine Meinung publik, opfern musste er dafür freilich wenig. TOBIAS SCHWARTZ

Ignacio Martínez de Pisón: „Der Tod des Übersetzers“. Aus dem Spanischen von Sybille Martin. Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, 256 Seiten, 19,95 Euro