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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Fahrradwende fehlgeschlagen

Wenn mein Sohn Adorno Rad fahren soll, ruft er nach der Polizei. Was ist da nur schiefgelaufen?

Adorno grübelt seit Wochen, wen er an seinem letzten Grundschultag in den Arsch treten wird. Es ist nur noch eineinviertel Jahre hin, und die Sache will ja vorbereitet sein. Jetzt kommt er endlich mit dem Namen raus.

„Wie?“ Ich bin im ersten Moment fast ehrlich empört. „Das ist ja der Kleinste in deiner Klasse.“

„Na eben“, sagt er.

Was soll nur aus diesem Jungen werden? Vermutlich ein Grünen-Wähler.

Ich habe selbstverständlich damals dem zwei Köpfe größeren Lehrer in den Arsch getreten. Dieser Junge hat nichts von mir. Er hat sogar eine Fahrradphobie. Richtig übel. Es ist noch schlimmer, als wenn er duschen soll. Wenn er dann doch auf einem Rad sitzt, schreit er die ganze Zeit. „Aaaaaaah, Hilfe, Polizei, Rhabarber, Rhabarber.“

Ein Bild des Jammers. Woher hat er das nur?

„Also, a bisle schuld bisch du scho“, sagt die Macht zu mir. Das ist eine vordergründig weiblich-weiche Variante der Anklage, die aber für jeden geübten Untertanen im Familientotalitarismus das darin enthaltene Todesurteil nicht verbrämen kann. Ich bin ja in letzter Zeit etwas vergeßlich geworden. Offenbar hatte ich selbst jahrelang eine Fahrradphobie. Weil ich nie mit dem Fahrrad fahren wollte, habe der frühkindliche Adorno das Fahrrad als etwas Negatives rezipiert, statt die Kultur des selbstverständlichen Fahrradfahrens einüben zu können.

Es stimmt: Ich spürte zwar seit Jahren eine euphorische Bereitschaft für die globale Energiewende, nicht aber für meine persönliche Fahrradwende. Bis ich vor einem Jahr einen Vortrag über die Vorzüge meines Dreiliterautos hielt – und als Honorar ein Fahrrad bekam. Fies. Seitdem bin ich Radfahrer. Glaube ich.

Aber zum Fußball fahre ich ihn – und mich – immer noch mit dem Auto. Neulich musste er ausnahmsweise das Fahrrad nehmen. Was für ein Theater. Er schrie den ganzen Weg zum Körteplatz – hin und zurück –, dass er sich zur Adoption freigebe.

Der Literat Jonathan Safran Foer („Tiere essen“) sagte mir, er esse kein Fleisch mehr, weil er glaubt, dass Eltern Geschichten für ihre Kinder sind. Sie erzählen ihnen nicht durch große Reden, sondern durch ihr Handeln, wer sie sein wollen. Und wer sie wirklich sind.

Seitdem weiß ich: Dieser kleine, bequeme, selbstgefällige, dauerzeternde Typ auf dem Fahrrad ist nicht mein Sohn. Das bin ich. Mist.

Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber