Wilhelm Tacke empfiehlt: Polnische Volkskunst
WILHELM TACKE ist Pressesprecher der Katholischen Kirche Bremen
Da sitzt der blutüberströmte Schmerzensmann in sich zusammengekauert neben dem Auferstandenen, der zum Beweis seines Sieges über den Tod triumphierend eine Fahne in seiner Rechten hält und seine Linke in die Höhe hebt, um die Wunde zu zeigen, die ihm ein dicker Nagel zugefügt hat. Natürlich steht er aufrecht, ER, der kurz zuvor noch von Folter und Schmerzen zusammengekrümmt am Kreuze hing. Eine Etage tiefer in der Vitrine im Foyer des St.-Joseph-Stifts jubeln die Leute Jesus beim Einzug in Jerusalem mit Palmblättern zu. Dieses Schnitzwerk findet den Beifall von Kranken und Besuchern, allerdings ist es ein wenig zu glatt, zu sehr auf den Verkauf hin produziert. Ihm fehlt die Kraft der Naivität, die die frühen Werke der polnischen Volkskunst auszeichnen. Dennoch bietet die Ausstellung im Stift einen guten Überblick. Da gibt es die Routiniers, die wie der Schöpfer des Einzugs in Jerusalem ihr Handwerk beherrschen, da gibt es die ganz Naiven, denen man anmerkt, wie schwer es ihnen gefallen ist, in einer langen Winternacht die Figuren der Heiligen aus dem Holz herauszuschälen, und da gibt es den Künstler, dem eine nahezu manieristische Dornenkrönungsszene gelingt.
Wer etwas von der Kraft und Dynamik mit bekommen will, die dem Osterfest bei unseren gläubigen polnischen Nachbarn innewohnt, besichtige die Ausstellung mit polnischer Volkskunst, die die Galeristin des St.-Joseph-Stifts, Helgard Warns, in Zusammenarbeit mit Gisela und Horst Riedel von der Alten Schule in Wittstedt zu Ostern organisiert hat.
Die Schnitzereien machen deutlich, dass Ostern für die Polen volkskundlich dieselbe Bedeutung hat wie das Weihnachtsfest bei den Deutschen.
Wer Lust bekommen hat, sich die positiven Verheißungen des Osterfests via Volkskunst in seine von heimischer Schwarzseherei vermuffte Bude zu holen, der greife zum Telefon und verhandele mit ☎ 04746/95 01 53.
Bis Pfingsten im St.-Joseph-Stift
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