daumenkino : „Klang der Stille“
Was Spaß macht an Agnieszka Hollands „Klang der Stille“, ist schnell gesagt: Beethovens Musik im dunklen Kinosaal über Dolby Surround. Das kommt gut, auf eine soghafte, begeisternde Weise gut, fast besser als im Konzertsaal. Stellenweise sitzt man so weich gebettet in diesem Überall-Klang – und hätte gern verzichtet auf die Bilder, die einem dieser Film anbietet.
Wir sind im Jahr 1824. In wenigen Tagen soll Beethovens Neunte uraufgeführt werden. Anna Holtz (Diane Kruger), blond und nett, wird als beste Konservatoriumsschülerin auserkoren, die Handschrift des Meisters in eine für die Orchestermusiker lesbare Partitur zu übertragen. Natürlich wird sie gewarnt vor „dem Tier“. Aber es dauert nur circa acht Minuten Filmzeit, bis dieses Biest mit dem Hörrohr die Schöne mit dem Tintenfass als Gottesgeschenk akzeptiert. Denn dieses Mädchen weiß, wie ein „richtiger Beethoven“ und „seine Seele“ klingen, und ändert deshalb flugs eine zentrale Stelle von B-Dur in b-Moll ab. Und der Meister ist beeindruckt. Wie sehr Holland sich auch bemüht, das Beethoven-Klischee von der „Naturgewalt, die andere mit ihrem Ego zerstört“, als dramatischen Rahmen zu inszenieren – es gelingt ihr nicht. Beethoven singt schrägt, poltert ein bisschen, zeigt Anna Holtz sein bares Hinterteil. Die sieht im Mensch die Kunst und findet Zeit, seine Pisspötte zu leeren.
Viel zu umstandslos sind Anna und Beethoven ein tolles Team, das sich, aufs Schauderhafteste ins Bild gesetzt, von nun an bewährt. Zum Beispiel bei der Uraufführung der Neunten. Beethoven war ab 1819 so taub, dass er nicht mehr dirigieren konnte. Agnieszka Holland ignoriert diese kleine biografische Lappalie: Im Film leitet der Komponist die Aufführung selbst, unterstützt von Anna, die im Orchester sitzt und ihm vordirigiert. Diane Kruger wedelt hingebungsvoll dämlich mit den Armen, ihr Gesicht erstrahlt in Entrücktheit, dann wedelt Ed Harris’ Beethoven ebenso dämlich, „Seid umschlungen, Millionen“ ertönt, beider Münder öffnen sich in sich anbahnender, kreativ-symbiotischer Ekstase, die Kamera dreht wie verrückt im Kreis, Meere gelber Kerzen verwischen orgiastisch. Elend schöner Götterfunken.
Für wen nur hat Holland dieses Stück Kitsch gemacht? Musikliebhaber werden erschrecken ob der Kenntnislosigkeit, mit der Komponieren, Kopieren, Proben und Dirigieren inszeniert werden, Feministinnen werden von der Tantigkeit der Anna Holtz vor den Kopf gestoßen, und Freunde des kostümierten Rührstücks bekommen eine seltsam aseptisch bleibende Lehrer-Schülerin-Geschichte, in der ein alterndes Genie von einer stieren Blondine den Rücken gewaschen bekommt. KIRSTEN RIESSELMANN
„Klang der Stille – Copying Beethoven“, Regie: Agnieszka Holland. Mit Ed Harris, Diane Kruger u. a., USA/ Deutschland 2006, 104 Min.