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Archiv-Artikel

Gedrittelte Gefühle

Schöne, aufgeklärte und merkwürdige Welt des Chansons: Françoise Hardy, Vincent Delerm und Peter von Poehl haben neue CDs veröffentlicht

VON REINHARD KRAUSE

„Was hast du nur mit unserem Kind gemacht, wo hast du es hingetan?“, murmelt der Mann. „Du weißt schon, nicht das erste Kind, das zweite. Erinnerst du dich? Ich fand seinen Namen immer so schön.“ Nicht minder entrückt antwortet die Frau: „Mir gefällt die Form Ihrer Hände. Sie sind genau mein Typ. Was sagten Sie gerade?“ Das surreale Lied heißt „Cet enfant que je t’avais fait“ (Das Kind, das ich dir gemacht habe) und zählt zum Absonderlichsten, was das französische Chanson je hervorgebracht hat. Im Original aus dem Jahr 1967 wurde es gesungen von der exzentrischen Brigitte Fontaine und ihrem damaligen Partner, dem nicht minder seltsamen Jacques Higelin, und es klang, als seien zwei freundliche Drogenwracks gerade auf komplett gegenläufigen Trips. Jean-Claude Vannier arrangierte es damals im hippiesken Haight-Ashbury-Sound, was dem Song eine verstörend friedliche Aura verlieh.

Vierzig Jahre später erlebt das absurde Lied eine Neuauflage – ausgerechnet durch Françoise Hardy. Die ist zwar seit 45 Jahren für ihre gesungenen Tagträumereien berühmt, aber als geistesabwesende Drogenkonsumentin war die im echten Leben resolut Bodenständige bislang nicht vorstellbar. Dass sie im Remake gleichwohl nicht träumerisch klingt wie sonst, sondern ganz textadäquat nach mentalem Blackout, dürfte nicht zuletzt an den eigentümlich verlangsamten Arrangements ihres Duettpartners Rodolphe Burger liegen, denen schon immer etwas latent Mondsüchtiges anhaftete.

Das runderneuerte Chanson ist nicht die einzige Überraschung auf dem neuen Hardy-Album „Parenthèses“ (Klammern), das aus einem Dutzend Duetten besteht. Vor allem die Auswahl der Gesangspartner verblüfft. Es gibt ein Wiederhören mit Julio Iglesias, der schmelzend-schmachtend klingt wie eh und je, aber offenkundig des Französischen nicht mächtig ist. Auch nicht mehr jeden Tag im Tonstudio dürfte sich Alain Delon aufhalten. Er hört sich an, als habe er vor 15 Jahren ein Schweigegelübde abgelegt und nur für Françoise Hardy noch mal den Mund aufgemacht. Hieße Oscar Wildes Klassiker „Das Tonband des Dorian Grey“, hier wäre die Traumbesetzung für die Schlussszene.

Abgesehen von wenigen Abrutschern in den Kitsch (etwa, wenn Hardy Brahms singt, begleitet von der Pianistin Hélène Grimaud) entpuppt sich das Album, zu dem die Hardy erst von ihrer Plattenfirma überredet werden musste, als erfreulich vielschichtig. Altersmäßig reicht die Spannbreite der Duettpartner von Anfang 30 (seltsam blass: Benjamin Biolay) bis knapp 90 (Henri Salvador). In punkto Stilrichtung haben sich die Produzenten auf die besten Schaffensphasen der Sängerin besonnen. Neben den somnambulen Arrangements von Rodolphe Burger, der schon an Hardys geflopptem Rock-Meisterwerk „Le Danger“ von 1996 beteiligt war, bestechen vor allem die Anleihen an die frühen Siebziger, als die sonst so verhangene Hardy mit schlichter Gitarrenbegleitung zu sonniger Entspanntheit fand.

Diese Hinwendung zum Weichen, Lebensfrohen zeichnet auch das neue Album von Vincent Delerm aus, „Les piqûres d’araignée“ (Spinnenbisse), das dankenswerterweise vom deutschen Le-Pop-Label auch hierzulande vertrieben wird. Die vorangegangenen beiden Alben des 30-Jährigen aus Rouen lebten von tieftraurigen Melodien und jeder Menge intellektueller Anspielungen – was missgünstige Hörer Delerm gerne als Snobismus ankreideten. Das Faible, in seine Chansontexte kuriose Namen einzustreuen wie etwa Ambroise Paré (den Begründer der modernen Chirurgie) oder Steffi Graf, hat er zwar noch immer nicht abgelegt, dafür bietet „Les piqûres d’araignée“ gänzlich unerwartet Sixtiespop von einer Reinheit, wie man sie heutzutage kaum für möglich hält. Die Stimmung: fast durchgehend heiter, oder wie es in einem Lied heißt: „Es ist so schönes Wetter, dass ich Lust habe, den Zeugen Jehovas aufzumachen.“

Entstanden sind die Aufnahmen in Schweden unter der Ägide des Deutsch-Schweden Peter von Poehl, der in den letzten Jahren bereits mit vielen Protagonisten des Neuen Chansons gearbeitet hat, beginnend beim Album von Michel Houellebecq und längst nicht endend beim hierzulande noch zu entdeckenden Sänger Doriand. Während sich von Poehl auf seinem zeitgleich erscheinenden eigenen Debütalbum „Going to Where the Tea Trees Are“ ein wenig in empfindsam-verschnörkelten Folkklängen verliert, setzt er bei Delerm ganz reduktionistisch auf die Effektivität und Schönheit der Melodie. Das Resultat ist eines der memorabelsten Chansonalben der letzten zehn Jahre.

Ähnlich wie bei Hardy gelingen auch auf „Les piqûres d’araignée“ höchst kuriose Duette. Etwa wenn zwei Männer (Delerm und von Poehl) über eine Frau, die einst die Geliebte des einen war und jetzt die des anderen ist. Eine seltsame Konstellation für ein Liebeslied. Die beiden besingen, was sie schwierig an ihr finden und was liebenswert. Im Refrain konstatiert Delerm, der aktuelle Liebhaber: „Den Jungen vor mir kann ich nicht einfach auslöschen. Manche Gefühle muss man wohl durch drei teilen.“ Warum Leo Ferré in „Avec le temps“ plötzlich von einem „cheval fourbu“ singt, einer ominösen Tierkrankheit, das wüsste man tatsächlich auch sehr gerne. Rätselhafte Welt des Chansons.

Françoise Hardy: „Parenthèses“ (EMI), Vincent Delerm: „Les piqûres d’araignée“ (Tôt ou tard/Le Pop), Peter von Poehl: „Going To Where The Trees Are“ (Herzog/Edel)