LESERINNENBRIEFE :
Die Sicht der Christen
■ betr.: „Auf dem Petriplatz beten alle mit allen“, taz vom 23. 4. 11
Was nervt Juden und Muslime am meisten bei Dialogveranstaltungen mit Christen? Dass Christen ihnen ständig mit dem Anliegen kommen, gemeinsam beten zu wollen.
Als Jüdin – seit mehr als 25 Jahren im interreligiösen Dialog engagiert – bete ich noch nicht mal mit allen Juden. Und ein orthodoxer Jude würde in einem liberal egalitären Gottesdienst, in dem ich bete, nicht zum Beten gehen. Das sehen wir als völlig normal an. Und warum sollen wir dann, wenn wir schon innerjüdisch ganz unterschiedliche Orte und Gewohnheiten des Betens haben, dies mit anderen Religionen tun wollen? Jede Religion hat auch ihre eigene (Intim-) Sphäre, und bei interreligiösen Friedensgebeten ist es eher ein – wie ich finde etwas verkrampftes – Nebeneinanderbeten (jede/r seines) als ein Miteinander.
Religiöse Menschen können viel miteinander tun: lernen, diskutieren, soziales Engagement. Aber wie sollte so ein gemeinsames Gebet aussehen? Auch wenn wir dasselbe Wort „Gebet“ verwenden, so verstehen Juden, Christen und Muslime doch etwas ganz Unterschiedliches darunter. Wir üben gern und ausgiebig auch in der Synagoge Gastfreundschaft gegenüber nichtjüdischen Besuchern. Auch Muslime tun dies, aber sie sind eben Gäste. Und ebenso möchte ich als Jüdin im christlichen Gottesdienst behandelt werden. Ich fühle mich auch nicht „ausgegrenzt“, wenn ich nicht am Abendmahl teilnehmen darf, weil ich es gar nicht wollte.
Es wäre interessant gewesen zu erfahren, was denn das Anliegen der nichtchristlichen Beteiligten bei diesem Projekt der Petri-Marien-Gemeinde, ein gemeinsames Gebetshaus zu bauen, ist. Aber der Verfasser bleibt an der Sicht der beteiligten Christen hängen, und außer der diplomatischen Antwort von Rabbiner Ben-Chorin auf die eingangs erwähnte Nervfrage ist das alles recht dünn. Von daher wäre es angebracht, wenn Sie bei der Berichterstattung in der taz auf Überschriften verzichten würden, die Juden und Muslime für ein genuin christliche Anliegen vereinnahmen, wie es bei diesem Artikel geschieht. IRIS WEISS, Berlin
Unbegründete Videoaversion
betr.: „Genaues Hinschauen tut weh“, taz vom 27. 4. 11
Ein brutaler Überfall auf einem Bahnhof, und ein Überwachungsvideo, das zur Identifizierung der Täter beitragen kann. Da ist der Kommentar von Gereon Asmuth in der taz mit seiner unbegründeten Aversion gegen Überwachungskameras schon vorhersehbar.
In Zeiten, in denen ein jeder Dussel mit seinem Fotohandy unbemerkt aufzeichnen und mit diesen Bildern unkontrolliert alles Mögliche anstellen kann, sind diese Bedenken nicht nachvollziehbar. Vielleicht hat der Täter sich diesmal selbst gestellt, weil er damit rechnen musste, dass die Bilder sowieso zu ihm führen würden, und er dann mit einer höheren Strafe zu rechnen hätte. Und zu Fakt 4 ist anzumerken, dass auch die Wahrnehmung der Zeugen nicht immer die objektive Wahrheit erzählt.
Beim nächsten Kommentar zu diesem Thema würde ich zur Abwechslung gerne mal lesen, welche Vorschläge Herr Asmuth denn zur Verhinderung derartiger Straftaten zu machen hat. Vielleicht nach Dunkelheit das Haus nicht mehr verlassen?
RENATE RYCHLIK, Berlin
Noch nicht wirklich Yuppies
■ betr.: „Revolution und so“, taz vom 2. 5. 2011
Eben laufe ich an meiner neu eröffneten Naturheilpraxis vorbei, als plötzlich circa zwanzig „Polizeiwannen“ in die Wissmannstraße abbiegen. Mir stockt der Atem und ich erinnere mich an die Szenen damals in der Oranienstraße, wo durch geworfene Pflastersteine Geschäfte tyrannisiert wurden. Sollte am Ende des heutigen Maifeiertags meine neu gegründete Naturheilpraxis, sollten die Läden hier oben gleiches Schicksal ereilen?
Mal ganz ehrlich: Ich lebe seit fünf Jahren in diesem Kiez, und nach einer Zeit von Armut und Gewalt erholt sich dieser Kiez, und viele Künstler und Menschen gründen plötzlich ihre Projekte und machen kleine Läden hier auf. Gegenüber ein echt unkommerzieller Radladen, eine Nähwerkstatt, eine Eisdiele mit liebevollen, hausgemachten Kuchen und Eis.
Wir sind noch nicht wirklich eine Yuppieveranstaltung hier! Und was bedeutet es für unsere Projekte, wenn sie plötzlich durch Pflastersteine ruiniert werden? Können wir uns als am Existenzminimum lebende Selbstständige einmal im Jahr eine neue Fensterscheibe leisten?
Über mir kreisen immer noch die Hubschrauber und in der Ferne höre ich die Sirenen – sie sind weitergezogen und haben uns für dieses Jahr verschont. SABINE SCHUMACHER, Berlin