: Berufsschule statt Universität
Studiengebühren schrecken ab: Nordrhein-Westfalens Hochschulen melden Rückgänge der Studierendenzahlen von bis zu 25 Prozent. Ausbildungsplätze werden dadurch noch knapper
VON DIRK ECKERT
In Nordrhein-Westfalen leeren sich die Hörsäle. Zum Start des Sommersemesters melden viele Hochschulen einen zum Teil massiven Rückgang der Studierendenzahlen. Von ungefähr 15 Prozent weniger Studierenden spricht die Uni Bonn, an der Uni Duisburg-Essen sollen es sogar 25 Prozent, an der Uni Dortmund rund 20 Prozent weniger sein. Für Gegner von Studiengebühren „ein weiterer Beweis für die abschreckende Wirkung“, so Lars Philipp, AStA-Vorsitzender in Dortmund. „NRW ist auf dem besten Weg, sein Zukunftspotenzial zu verspielen“, warnt der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring aus Essen.
Mit Beginn des Sommersemesters am 1. April haben die meisten Universitäten und Fachhochschulen des Landes Studiengebühren für alle eingeführt. Viele Hochschulen erheben bereits seit dem Wintersemester 2006/07 Studiengebühren, in der Regel aber nur bei Studienanfängern. Ohne Gebühren bleiben lediglich die Fernuni Hagen, die Kunstakademie und die Fachhochschule in Düsseldorf sowie die Kölner Kunsthochschule für Medien. Die Universität und die Kunstakademie in Münster wollen zum nächsten Wintersemester Geld für das Studium verlangen. An den meisten Hochschulen kostet ein Semester 500 Euro.
Offenbar haben die Studiengebühren viele Studierende von den Unis vertrieben. Das ergibt sich jedenfalls aus den vorläufigen Zahlen der Uni Bonn. Demnach gibt es eine zweite Welle von Exmatrikulationen, nachdem schon vor drei Jahren rund 60.000 Studierende die NRW-Hochschulen verlassen haben – damals wegen den Langzeitstudiengebühren von Rot-Grün. So hat sich in Bonn nur jeder Dritte zum neuen Semester zurückgemeldet, der länger als 12 Semester studiert. Unter den Abgängern sind vor allem Geisteswissenschaftler. „Vermutlich haben uns nun die eingeschriebenen, aber inaktiven Studierenden verlassen, deren Semesterzahl noch unter der Langzeitgebühren-Grenze gelegen hatte“, sagt Uni-Kanzler Reinhardt Lutz.
Im NRW-Wissenschaftsministerium vermutet man angesichts der Zahlen aus Bonn einen „gewissen Bereinigungseffekt“, so ein Sprecher zur taz. Den Rückgang der Studierendenzahlen will das Ministerium aber noch nicht kommentieren. „Wir erwarten die genauen Studierendenzahlen der Hochschulen Anfang Mai“, heißt es. Schon im Wintersemester musste das Ministerium allerdings zugeben, dass die Zahl der Studienanfänger um 5.000 zurückgegangen ist.
Für die Landesregierung ist das insofern ärgerlich, als sie im Hochschulpakt 2020 mit dem Bund vereinbart hat, bis 2010 26.000 zusätzliche Plätze für Studienanfänger zu schaffen. Dafür bekommt das Land vom Bund 125 Millionen Euro. Das NRW-Wissenschaftsministerium will das nun umsetzen. „Wir erarbeiten jetzt ein Konzept mit den Hochschulen“, heißt es aus dem Ministerium. „Wenn die Umsetzung nicht klappt, fließen auch die Gelder nicht in dem Maße“, sagt Katrin Hagedorn, Sprecherin des Bundesbildungsministeriums. Über zu wenig Studienanfänger macht sie sich aber keine Sorgen: „Der Bedarf wird demografisch bedingt ansteigen.“
So gelassen sehen nicht alle den derzeitigen Rückgang der Studierendenzahlen. „Die Entwicklung geht genau in die falsche Richtung“, kritisiert der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Karl Schultheis. Jetzt würden vermehrt junge Leute eine Ausbildung machen wollen. Lehrstellen gibt es in Nordrhein-Westfalen jedoch längst nicht genug. „Knapp 60.000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahren haben keine Ausbildung“, sagt Michael Hermund, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes im mittleren Ruhrgebiet. „Durch die Einführung von Studiengebühren erhöht sich der Druck zusätzlich, weil viele Jugendliche nach einer Alternative zum Studium Ausschau halten.“