: Multikulti mit elitärem Ziel
Am Berliner Touro College gibt’s neben BWL auch Wirtschaftsethik und Philosophie: Künftige Führungskräfte sollen internationale Zusammenhänge und andere Kulturen kennen
VON SVEN KULKA
Alles soll stimmen: die Kurse, der Ruf, die Qualität und international soll sie meist auch noch sein. Oft ist es gar nicht so einfach, eine geeignete Hochschule zu finden. Für die 100 Studenten am Touro College Berlin war es kein Problem. In idyllischer Lage an der Havel studieren sie an der ersten staatlich anerkannten jüdisch-amerikanischen Hochschule in privater Trägerschaft unter exzellenten Bedingungen.
Um 8.30 Uhr beginnt der erste Seminarblock für die Studenten aus China, Israel, El Salvador, Russland oder Deutschland, und sie haben alle ein Ziel: den Bachelor of Science in Management am Touro College zu absolvieren. Das Besondere an der Hochschule ist der Lehrplan: Er umfasst nicht nur die Betriebswirtschaftslehre, sondern auch geisteswissenschaftliche Kurse wie Wirtschaftsethik und Philosophie. „Denn wer ein Verständnis für internationale Zusammenhänge und andere Kulturen hat, kommt im Wirtschaftsleben besser klar“, sagt Touro-Direktorin Sara Nachama. Zudem können die Studenten am College Seminare wie die amerikanische und jüdische Geschichte oder Hebräisch frei wählen. Pflicht hingegen ist das Fach Holocaust. In Seminaren und Exkursionen – etwa zum ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen – analysieren und diskutieren sie Hintergründe und Folgen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
Jeder Seminarraum in der Hochschule hat einen eigenen Namen: „Berlin“, „New York“, „Israel“ steht auf kleinen Messingschildern, die an den Eingangsportalen der Türen kleben. So unterschiedlich die Namen der Städte, so unterschiedlich sind auch die Studenten im Touro College. Hier lassen sich Juden, Christen, Muslime zusammen für ihr späteres Berufsleben qualifizieren. „Und die Gemeinschaft ist gut“, sagt Shirly (24). Sie ist Jüdin. Ihr Kommilitone Jacob (18) ist evangelisch, und Denis (20), der ursprünglich aus Moskau kommt, ist russisch-orthodox. Für die Studierenden ist das kein Problem, sondern eine Bereicherung. „So lernen wir voneinander, wie andere Religionen und Kulturen funktionieren und wie die Menschen sie leben“, sagt Denis.
Bevor Shirly am College ihr Studium startete, war sie an der FU Berlin im Fach Jura eingeschrieben. Drei Jahre hielt sie durch. Dann hatte sie die Nase voll vom deutschen Hochschulsystem und brach das Studium ab. „Viele Vorlesungen haben wir auf dem Fußboden verbracht und die Betreuung war schlecht“, klagt Shirly, wenn sie an die Zeit denkt. Jetzt genieße sie ein verschultes Unterrichtsmodell, den Kontakt zu den Dozenten und kleine Gruppen mit maximal 30 Studenten. Im Sommer wird sie ihren Abschluss am Touro Collge machen.
Und wie geht es danach weiter? Shirly ist optimistisch. „Ich bin gut auf das Berufsleben vorbereitet. „Nicht nur durch die Pflichtseminare, sondern auch durch die regelmäßigen Vorlesungen und Übungen, die Experten aus der Praxis betreuen. „Sie erklären uns, wie die Wirtschaft draußen funktioniert“, sagt die Berlinerin, deren Wunsch es ist, später einmal eine erfolgreiche Laufbahn im Bereich Marketing zu starten.
Bis Jacob seinen Abschluss macht, dauert es noch einige Zeit. Aber auch er schaut zuversichtlich in die Zukunft: „Das amerikanische Studiensystem und die englische Sprache ist die perfekte Kombination und macht uns fit für den internationalen Arbeitsmarkt.“
An jedem Türrahmen im Touro College ist eine schlichte Mezusa aus Holz angebracht, ein kleines Holzstück mit einem Symbol aus der Tora. „Viele Studenten küssen das Symbol, wenn sie den Raum betreten oder wenn sie ihn verlassen“, erklärt Sara Nachama. „Es soll Glück bringen.“ Eine Catering-Firma liefert Gerichte aus der koscheren Küche, und an jüdischen Feiertagen ist das Haus am Rupenhorn geschlossen. „So pflegen wir das Judentum in vielerlei Hinsicht“, sagt Sara Nachama.
1929 entwarf Bauhaus-Architekt Bruno Paul für die jüdische Familie Lindemann das Haus an der Havel. Doch schon nach einigen Jahren zwang das Nazi-Regime die Familie, das Haus weit unter Wert zu verkaufen. Nach ihrer Emigration in die Staaten zog der „NS-Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten“ in das Gebäude ein. Heute gehört es dem Land Berlin und diente bis vor kurzem als Erwachsenenbildungsstätte. 2003 fanden dann die ersten Vorlesungen statt. 18 Studenten saßen damals in den Seminaren. „Die ersten von ihnen sind bereits graduiert und haben einen guten Beruf oder machen ihren Master an einer Hochschule in Europa oder Amerika“, sagt Sara Nachama stolz.
3.000 Euro müssen die Studenten für die Leistungen am College pro Semester bezahlen. Und wer möchte, kann im Rahmen des privat finanzierten Netzwerks – zu dem Colleges im US-Bundesstaat New York, in Kalifornien, Israel und Russland gehören – ein Auslandssemester absolvieren.
Um 19.15 Uhr endet in der Regel der letzte Seminarblock im Touro College. Freitags schon mittags – wegen des Sabbats. Und wenn Denis, Jacob oder andere Studenten noch Lust haben, Shirly mit in die Synagoge zu begleiten, nimmt sie sie einfach mit.