: Im Schatten der Korruption, Teil 2
Die ägyptische Justiz sucht einen Intimus von Husni Mubarak mithilfe von Interpol. Hussein Salem wird der Korruption beschuldigt. Die Schweiz hat zwar Milliarden von Mubaraks Konten eingefroren, lässt Salems Vermögen aber unangetastet. Dabei wissen die Behörden seit zehn Jahren von seinen Konten bei der Credit Suisse. Der Hinweis kam damals aus Baden-Württemberg, als im Zusammenhang mit dem Flowtex-Skandal auch Hussein Salems Schweizer Nummernkonto aufgeflogen war
von Meinrad Heck
Diese eine Unterschrift machte ihn zu einer Nummer. Das war Sinn der Sache. Ein Nummernkonto bei der Swiss Credit Bank, besser bekannt unter ihrem französischen Namen Credit Suisse. Eines der mächtigsten und verschwiegensten Geldinstitute auf dem Globus. Es war Mittwoch, der 14. August 1974, als Hussein Salem mit seiner Ehefrau – knapp drei Monate vor seinem 41. Geburtstag – die Filiale der Credit Suisse am Genfer See betrat, einen ägyptischen Pass mit der Nummer 234800 vorlegte und in krakeliger Schrift seine Signatur unter ein paar Papiere kritzelte.
Ob er wünsche, dass die Bank seine Kontoauszüge an seine Heimatadresse in Kairo schicke, wurde er noch gefragt. Die Frage war überflüssig. Nein, alle Korrespondenzen bezüglich des geheimen Kontos seien selbstverständlich in seinem privaten Bankschließfach am Genfer See zu deponieren. Hussein Salem verließ die Credit Suisse als Nummer 750191. Es würde fortan keine Korrespondenz mehr unter seinem wirklichen Namen geben, sondern nur noch unter dieser Ziffernfolge. Sie würde ihn zu einem sehr reichen und für die folgenden 36 Jahre sehr mächtigen Mann machen.
Der Deal, der diesem mächtigen Ägypter viele Jahre später beinahe zum Verhängnis wurde, spielte in Baden-Württemberg. Er wurde im Februar 1998 in Karlsruhe eingefädelt. Salem war mit seinem Team aus Kairo nach Baden-Baden geflogen. Die eifrige Managerin der später als Skandal-Firma berühmt gewordenen Flowtex-Tochter FlowWaste hatte ihre liberalen Beziehungen spielen lassen und den damals amtierenden baden-württembergischen Wirtschaftsminister Walter Döring in die Geheimverhandlungen eingebunden. Döring war am Tag nach dem Treffen mit Salem so beeindruckt, dass er seine emsige Parteifreundin mit „bestem Dank“ schriftlich wissen ließ, er werde fortan, wenn es sich einrichten ließe, „bei allen Geschäftsterminen, bei denen Sie meinen, dass meine Anwesenheit behilflich sein kann, gerne zugegen sein“.
Ermittlungen nach dem Flowtex-Milliardenbetrug
Hussein Salem stellte einem deutschen Firmenkonsortium aus FlowWaste im badischen Ettlingen und der Siemenstochter KWU-Kraftwerksunion in Erlangen einen 270-Millionen-Mark-Vertrag in Aussicht. Es ging um den Bau eines Gaskraftwerks zur Stromversorgung seiner Erdölraffinerie Midtap in Alexandria. Dabei nahm auch die merkwürdige sogenannte „Finanzierung“, die sich Salem für das Geschäft gewünscht hatte und über die jene eifrige liberale Managerin partout „nicht am Telefon“ reden wollte (siehe den 1. Teil von „Im Schatten der Korruption“), nach der Vertragsunterzeichnung im Folgejahr Gestalt an.
In vier Einzelbeträgen gingen beim Flowtex-Chef Manfred Schmider auf dem Konto seiner geheimen Liechtensteiner Seloma-Stiftung mehr als vier Millionen Schweizer Franken von einem Nummernkonto 750191 der Credit Suisse ein. Nachdem der Flowtex-Milliardenbetrug im Jahr 2000 geplatzt war, stießen deutsche Finanzermittler auf dieses Geheimkonto und wollten per Rechtshilfeersuchen wissen, wer der Kontoinhaber ist. Der mächtige Mann aus Ägypten hatte sich mit den falschen Geschäftspartnern eingelassen. Sein Nummernkonto war aufgeflogen.
Deutsche und Schweizer Fahnder beschafften sich Salems sämtliche Kontobewegungen des Jahres 1999. Spätestens seit dem Sommer 2000 wussten sie, wie viel Geld auf dieses Nummernkonto allein in einem Jahr geflossen war. Und aus dem inneren Beraterkreis um Hussein Salem war auch nach außen gedrungen, wofür dieses Konto eigentlich seit 1974 eingerichtet worden war: für die in Arabien so gängigen Kommissionszahlungen – der vornehme Ausdruck für Schmiergeld.
Millionen an Schmiergeldern gingen in die Schweiz
31 sogenannter Payments an den ägyptischen Geschäftsmann summierten sich 1999 auf knapp 44,5 Millionen US-Dollar, auf einem in Euro geführten Konto fanden sich weitere Einzahlungen über 6,5 Millionen. Für diese Summen interessierten sich die Fahnder jedoch nicht. Sie wollten nur wissen, ob Salem auch an den Flowtex-Betrüger gezahlt hatte. Tatsächlich hatte Schmider aus dem Kraftwerksgeschäft Kick-backs, also dubiose Rückzahlungen von seinen Geschäftspartnern über mehr als vier Millionen Schweizer Franken erhalten. Das genügte den Ermittlern, und dabei übersahen sie ein weiteres Detail.
Salem hatte über sein ägyptisches Unternehmen namens Midelec bei FlowWaste und Siemens den Bau des Gaskraftwerk zur Stromversorgung seiner Ölraffinerie Midtap bei Alexandria in Auftrag gegeben. Die Vertragsunterzeichnung erfolgte im Mai 1999 in Kairo. Am 4. Oktober 1999 wurden vom FlowWaste-Firmenkonto mit der Nummer 2342081 bei der Bayrischen Vereinsbank 7,99 Millionen D-Mark mit dem Verwendungszweck „lt. Schreiben Midelec im Zusammenhang mit Siemens-Vertrag“ nach Ägypten überwiesen. Plötzlich erhielt die Firma, die den Auftrag ausführte, kein Geld, sondern sie zahlte. Aber warum und wofür?
Unmittelbar danach, am 6. und 26. Oktober, flossen zwei weitere „Payments“ auf Salems Nummernkonto bei der Credit Suisse. 2,53 und danach noch einmal mehr als 1,67 Millionen US-Dollar. FlowWaste hatte nach damaligem Kurs umgerechnet 4,37 Millionen Dollar nach Ägypten transferiert. Kurz danach gingen auf Salems Nummernkonto 4,26 Millionen Dollar ein.
Zufall? Oder die laut Salems Beraterkreis in Arabien so gängigen Kommissionen? FlowWaste konnte die Zahlung seinerzeit nicht erklären. Siemens betonte auf Anfrage, für diesen Auftrag weder direkt noch indirekt jemals Schmiergeld bezahlt zu haben. Der Flowtex-Milliardenbetrug wurde juristisch abgewickelt. Siemens blieb von weiteren unangenehmen Nachfragen verschont. Hussein Salem blieb weiterhin ein schwerreicher und angesehener Geschäftsmann, der in Genf auf Einladung der Vereinten Nationen an Business-Fachtagungen teilnehmen durfte. Schweizer Behörden ließen sein Vermögen im Jahr 2000 unangetastet. Auch jetzt, elf Jahre danach, nachdem die Revolution in Ägypten gesiegt hat und der Despot Mubarak hinter Gittern sitzt, hat die Schweiz zwar Mubaraks Milliardenvermögen eingefroren, das von Hussein Salem jedoch erneut nicht angetastet.
Seine Fünf-Sterne-Hotels an der Südspitze des Sinai hatten zuletzt geboomt. Betreiber war lange Zeit die Schweizer Mövenpick-Gruppe gewesen. Wann immer ein Nahost-Friedensgipfel einberufen wurde, wann immer Könige oder Präsidenten rund um den Globus dazu anreisten, sie wohnten und tagten in Hussein Salems Hotelkomplex am Roten Meer. Husni Mubaraks Privatresidenz in Scharm al-Scheich, in der er mehr Zeit verbrachte als im Präsidentenpalast in Kairo, sie gehörte Hussein Salem. Als sich in Ägypten die Revolution auf dem Tahrirplatz ankündigte, war es Zeit für ihn, zu gehen.
Wenige Tage vor dem Sturz Husni Mubaraks im Februar verließ Hussein Salem am 29. Januar Kairo, übereinstimmenden Medienberichten zufolge in einem Privatjet mit Ziel Dubai. Dort soll ihn die Flughafenpolizei vorübergehend festgenommen haben, weil er 500 Millionen US-Dollar in bar mit sich geführt habe. Die Höhe des Betrages verblüfft Insider nicht gerade. Doch für den Transport einer solch aberwitzigen Summe Bargeldes wären etwa 50 Koffer nötig gewesen.
Wenn diese verrückt anmutende Story, die sich hartnäckig hält, überhaupt stimmt, gehen Beobachter davon aus, dass es sich nicht um Bargeld, sondern eher um US-Schatzanweisungen gehandelt haben könnte, die wie Bargeld behandelt werden, aber nicht in Tausender-Banknoten, sondern in einer hundertfach höheren Stückelung von 100.000 Dollar verfügbar sind. Dafür hätte womöglich ein Koffer genügt. Salem durfte Dubai mit unbekanntem Ziel wieder verlassen, ob mit oder ohne Geld, lässt sich nicht zweifelsfrei klären.
Sein in Großbritannien registrierter Privatjet vom Typ Falcon 2000 des französischen Herstellers Dassault mit der Kennung G-EDHY war von einem flugbegeisterten Hobbyfotografen, einem sogenannten Planespotter, zufällig am 30. Januar – einen Tag nach Salems Abreise aus Kairo via Dubai – exakt um 16.03 Uhr bei der Landung auf dem Flughafen in Genf fotografiert worden. Wer tatsächlich an Bord war, ist nicht bekannt. Der Jet im Eigentum einer auf der Insel Guernsey unter der Nummer 34215 registrierten und von Salems Genfer Rechtsanwalt geleiteten Offshore-Firma namens „Victoria Aviation Limited“ tauchte anschließend noch mehrfach auf europäischen Radarschirmen auf, unter anderem in Rumänien, Frankreich und im südspanischen Málaga. Die Maschine wurde am 7. April bei der britischen Luftfahrtbehörde offiziell abgemeldet und fliegt seitdem unter der Kennung Albaniens. Kurz zuvor war gegen Salem in Ägypten ein Haftbefehl erwirkt worden.
Hussein Salems Privatjet bei Baden-Baden gesichtet
Salems Privatjet war in Baden-Württemberg gesicherten Informationen zufolge zuletzt am 23. September und am 1. Oktober vergangenen Jahres auf dem Regionalflughafen bei Baden-Baden gesichtet worden. Es gibt vage, nicht belegbare Gerüchte, dass er auch nach der Flucht aus Kairo in Deutschland gewesen sein könnte. Reporter von Le Monde wollen herausgefunden haben, dass er für Ende Januar zwar in Genf ein Hotel gebucht hatte, tatsächlich aber ein deutsches Ziel ansteuerte.
Wo sich Hussein Salem derzeit tatsächlich aufhält, ist unbekannt. Die Justiz in Kairo hat sein Vermögen in Ägypten einfrieren lassen und ihn Ende März wegen Korruptionsverdachts vor dem Hintergrund eines milliardenschweren Erdgasgeschäfts mit Israel zur Fahndung ausgeschrieben. Bei dem Deal sollen zwei Söhne Mubaraks bestochen worden sein. Die Justiz legt Salem überdies zur Last, das Erdgas an Israel deutlich unter dem Weltmarktpreis verkauft und so den Staat Ägypten um mehr als 700 Millionen Dollar geschädigt zu haben. Seit 22. April steht er deshalb auf der Wanted-Liste von Interpol.
Ende April dieses Jahres kam es am Flughafen Kairo zu einem spektakulären Fund, den ägyptische Medien als eine wahre James-Bond-Nummer beschreiben. Ägyptische Zöllner öffneten und beschlagnahmten einen verdächtigen drei Tonnen schweren Frachtcontainer, der von einem Palästinenser im Auftrag einer saudischen Prinzessin aufgegeben worden war. Sie fanden zahlreiche ägyptische Altertums-Artefakte, persönliche Unterlagen und Fotos von Hussein Salem. Als Hintermann dieses Auftrages vermuten ägyptische Behörden deswegen den flüchtigen Geschäftsmann, der über Strohmänner seinen Privatbesitz in Sicherheit habe bringen wollen.
Der Container war an einen Prinzen im saudiarabischen Riad adressiert. Der Mann bekleidet dort eine außergewöhnlich einflussreiche Position: Er ist Chef des saudischen Geheimdienstes. Die Untersuchung dieses Falles ist noch nicht abgeschlossen.
Salems Geschäftsfreunde arbeiten jetzt für Umweltfirmen
Deutlich unspektakulärer verlief dagegen die weitere Karriere von Salems ehemaligen baden-württembergischen Geschäftsfreunden, die unfreiwillig die Spur zu dessen millionenschweren Konten in der Schweiz gelegt hatten. Jene Geschäftsführerin mit ihren bestens vernetzten FDP-Kontakten, die für das Betrugsunternehmen Flowtex über die angebliche „Finanzierung“ von Salems deutsch-ägyptischem Kraftwerksdeal geheimnisvoll „nicht am Telefon“ sprechen wollte und deren früheres Unternehmen seinerzeit mehrere Millionen D-Mark nach Ägypten transferierte, hat mittlerweile ihr Herz für die Umwelt entdeckt. Sie leitet ein windkraftorientiertes kommunales Stromversorgungsunternehmen im Zentrum Baden-Württembergs.
Das Herz des früheren baden-württembergischen Wirtschaftsministers Walter Döring, der zum liberalen Netzwerk der Dame gehört hatte und der für die Ägypten-Geschäfte so hilfreich gewesen war, schlägt mittlerweile ebenfalls für die Umwelt. Er ist eigenen Angaben zufolge seit 2004 Mitglied des Präsidiums der deutsch-arabischen Handelskammer (Ghorfa) und unlängst in den Vorstand eines privaten schwäbischen Windkraftunternehmens eingestiegen. Dieser Aktiengesellschaft half er unter anderem, an der Stuttgarter Börse über eine Unternehmensanleihe von Privatanlegern eine zweistellige Millionensumme einzusammeln.