: Am Rand des Randes
UNTEN Diskriminierungen von Sinti und Roma sind Alltag in der deutschen Medienlandschaft. Sie zu bekämpfen fällt schwer. Selbst die deutlichsten Stimmen der Ausgegrenzten sind überfordert: die Straßenzeitungen
„Arm gegen Ärmer?! Roma, Asylbewerber und die ‚Einheimischen‘ – Armut in verschiedenen Kulturen“. Das war der Titel eines eintägigen Impulstages deutschsprachiger Straßenzeitungen, den unter anderem die taz gemeinsam mit dem Romano Centro in Wien und dem Berliner Jugendnetzwerk Amaro Drom organisiert hat. Einen Tag lang unterhielten sich dabei am Freitag rund 40 Teilnehmer aus Österreich und Deutschland in Wien über einen Verteilungskampf zwischen Armen.
AUS WIEN MARTIN KAUL
In der Nähe der Dortmunder Redaktion des Straßenmagazins Bodo lag neulich ein abgetrennter Pferdefuß vor einer Haustür. Eine Frau hatte das blutige Fleisch dort abgelegt. Weil sie dachte, damit könnte sie Roma abschrecken.
In Dortmund, sagt Bastian Pütter von Bodo, seien Sinti und Roma ein Riesenthema. „Wir haben eine völlig überforderte Gesellschaft, die sich auch in den Medien offen rassistisch äußert.“ Pütter will dagegen angehen. Aber wie? Denn auch die Straßenzeitungen, die bei dem Thema hinschauen müssten, sind völlig überfordert.
Da haben sie etwas gemein mit vielen Tageszeitungen: Auf der Skala der anhaltendsten Diskriminierungen steht die Minderheit der Sinti und Roma ganz oben. „Beschwerden über den medialen Umgang mit Sinti und Roma beschäftigen den Presserat in jeder seiner Ausschusssitzungen“, heißt es beim Deutschen Presserat. „Über Roma wird sehr, sehr stereotyp berichtet: Entweder werden sie als lustige Musikanten oder als Kriminelle dargestellt“, sagt Hamze Bytyci, Vorsitzender des interkulturellen Roma-Jugendnetzwerks Amaro Drom in Berlin.
In einem besonders krassen Fall veröffentlichte der Kölner Express im Jahr 2002 auf seiner Titelseite Kopfbilder einiger Dutzend Roma-Kinder unter der Überschrift „Die Klau-Kids von Köln“ und behauptete, sie seien für 100.000 Straftaten jährlich verantwortlich. Immer wieder im Fokus des Presserats steht die Offenbach-Post, die für ihre diskriminierende Berichterstattung über Roma wiederholt gerügt wurde. Chefredakteur Frank Pröse ist noch heute der Ansicht, „dass es bestimmte Vergehen gibt, die nur von dieser Bevölkerungsgruppe begangen werden können“, wie er der taz sagte. Genau gegen solche Stigmatisierungen würde Bastian Pütter gern angehen.
Doch Straßenzeitungen haben zu der Kontroverse bezüglich ihres Inhalts auch noch den Konflikt auszuhalten, wer damit Geld verdient. Es ist ein Kampf unter Ausgegrenzten. So gilt bei Bodo wie bei vielen ähnlichen Blättern: Roma dürfen sich nicht am Verkauf der Straßenzeitungen beteiligen. Auch beim Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt ist das so. Und Hans Steininger, Vertriebsleiter des Salzburger Straßenmagazins Apropos, sagt diplomatisch: „Es ist schwierig, die alteingesessenen Verkäufer für den großen Zulauf von Roma zu begeistern.“ Viele Straßenzeitungen befürchten die Zerreißprobe, wenn sie sich auf diese Auseinandersetzungen einlassen. Roma bleiben daher oft pauschal draußen.
Bei Hans Steininger schimpfen sich österreichische Straßenzeitungsverkäufer aus, weil Verkäufer mit Roma-Hintergrund eine Parallelstruktur aufbauen würden. Die würden so ihre Familien versorgen und Kunden verschrecken, sagen die einen über die anderen. Es ist der schwere Umgang mit Stereotypen, angedockt an einer Realität, in der fast alle Beteiligten unter existenziellem Druck stehen.
Erst am Donnerstag wurde in Wien ein rumänischer Straßenzeitungsverkäufer zu einer Strafe von 100 Euro verdonnert, weil er „auf gewerbsmäßige Weise gebettelt“ haben soll. Er wollte nur eine Straßenzeitung verkaufen. „Auch in Dortmund schauen die Behörden bei uns sehr genau hin. Wenn wir da nicht aufpassen, kann uns der ganze Laden um die Ohren fliegen“, sagt Bastian Pütter. Jetzt ist er hier, in Wien, um diese Frage zu diskutieren. Die taz hatte dazu gemeinsam mit Roma-Initiativen und Straßenzeitungen aus Deutschland und Österreich eingeladen. Es geht um die Frage, wer auch am Rand der Gesellschaft noch am Rand stehen muss – um Verteilungskämpfe ganz unten. Die Fragen sind da, nicht nur bei Bastian Pütter. Antworten zu finden wird nicht einfach.