: Alchemistischer Bilderrausch
FILM Alejandro Jodorowsky, fast vergessener Hohepriester eines an Antonin Artaud geschulten „Kinos der Grausamkeit“, gastiert in den Berliner Kunst-Werken
VON CLAUS LÖSER
„Ich will Bilder schaffen, die nur wenige Momente zu sehen sind, die man jedoch nie wieder vergisst.“ Diesen Selbstanspruch hat Alejandro Jodorowsky unbedingt eingelöst. Sein filmisches Oeuvre ist vergleichsweise schmal geblieben. Der von ihm ausgehende Einfluss kann aber gar nicht hoch genug eingestuft werden. Georg Lucas, Tarsem Singh oder Matthew Barney haben sich großzügig bei ihm bedient. Peter Gabriel, Marilyn Manson und Daniel Pinchbeck gehören zu seinen Verehrern. Nun sind seine vier wichtigsten Spielfilme kompakt in Berlin zu sehen. Und – das ist die Sensation – die kleine Werkschau wird im Beisein des von seiner globalen Fangemeinde mythisch verehrten Künstlers eröffnet.
Der vor mehr als achtzig Jahren in Chile geborene Jodorowsky (der gern seine Spuren etwas verwischt), drehte mit „Fando y Lis“ 1967 in Mexiko seinen ersten langen Film – eine vage an ein Stück von Fernando Arrabal angelehnte Geschwister-Verknotung, eher filmische Performance als kompakter Spielfilm. Berühmt wurde er drei Jahre später mit der stilistisch am Italowestern orientierten, mythologisch-philosophisch aufgeladenen Passionsgeschichte „El Topo“ (Der Maulwurf).
Mit dieser Arbeit katapultierte er sich in die Herzen der 1970 gerade nach Transzendenz und Erleuchtung lechzenden New Yorker Boheme, die ihren Urheber umgehend adoptierte. Der Film lief monatelang in der Mitternachtsvorstellung im Kino „Elgin“ auf der Eighth Avenue, Jodorowsky stieg umgehend vom Geheimtipp zum Star auf. Kein Geringerer als John Lennon zeigte sich so begeistert, dass er das Folgeprojekt „Montana Sacra“ (Der heilige Berg) großzügig finanziell unterstützte. „Montana Sacra“ geriet 1973 zur Apotheose der von Jodorowsky beanspruchten, visuellen Ekstase und ist bis heute einer der merkwürdigsten, weil in jeder Hinsicht maßlosesten Werke der Kinematografie überhaupt geblieben. Nach einem fast halbstündigen Prolog – wie eine in die LSD-Kultur katapultierte Fortsetzung von Luis Buñuels „Un chien andalou“ wirkend – erzählt er die mehr und mehr ins Esoterische trudelnde Geschichte eines Diebes, der in einen mysteriösen Kreis von Auserwählten gerät und deren Reise durch diverse Zwischenreiche begleitet.
Produziert wurde der Film von Allen Klein, dem berüchtigten Manager der Beatles und Rolling Stones, der Letztere um die Urheberrechte unter anderem von „Satisfaction“ brachte. Für Jodorowsky begann damit der Abstieg aus dem eben erklommenen Olymp des Kinos. Er überwarf sich mit Klein und verlor durch heimtückische Vertragsklauseln den Zugriff auf Teile seines eigenen Werkes. Hinzu kam eine atmosphärische Veränderung der Marktlage: Schienen nach Dennis Hoppers Sensationserfolg von „Easy Rider“ nach 1969 dem Underground in Hollywood Tür und Tor weit geöffnet, hatte sich diese Mode wenig später relativ schnell wieder totgelaufen. Jodorowsky geriet zwischen die Stühle des Zeitgeistes.
Er begann 1975 mit den Vorbereitungen zur Verfilmung von „Dune – Der Wüstenplanet“: Orson Welles, Salvatore Dalí und Gloria Swanson waren als Hauptdarsteller verpflichtet, der spätere Alien-Schöpfer H. R. Giger hatte das Bühnenbild entworfen, Pink Floyd die Filmmusik komponiert. Nachdem bereits mehr als zwei Millionen Dollar ausgegeben waren, zogen die Produzenten 1977 die Reißleine. Der Film wurde abgebrochen, Jodorowsky entlassen. Später ging das Projekt an einen jungen Regisseur namens David Lynch über (der damit auch scheiterte), in den in Nordafrika bereits gebauten Kulissen drehte George Lucas Szenen für den ersten Teil seines „Star Wars“-Zyklus.
Für Jodorowsky als Filmemacher folgte der jähe Absturz: Was eben noch als Tugend galt, wurde nun zum Stigma. Er galt als exaltiert, egomanisch, größenwahnsinnig, vielleicht verrückt – ein Paria der Filmszene. Erst 1989 konnte er mit „Santa Sangre“ (Das heilige Blut) stilistisch an seine frühen Erfolge anknüpfen. Mit etwas bescheidenerer Gebärde erzählt er darin die Geschichte des Knaben Fenix, der von seiner frustrierten Mutter zum Werkzeug für ihre Rachefantasien missbraucht wird, sich aber dank der Liebe dem Zugriff entziehen kann.
Das filmische Werk Jodorowskys erscheint als Torso, als Ahnung von Möglichkeiten jenseits jeweils wechselnder Marktkompatibilitäten. Sein Motto „Ich möchte der Cecil B. DeMille des Undergrounds werden!“ blieb ein uneingelöstes Versprechen. Von seiner Filmarbeit zu sprechen, heißt auch, über das Scheitern von Utopien nachzudenken. Ein Gescheiterter ist Jodorowsky deshalb noch lange nicht. Innerhalb seiner künstlerischen Praxis bilden die Filme nur ein kleines Segment. Bereits vor „Fando y Lis“ hat er Comics gezeichnet, Schallplatten eingespielt, Bücher geschrieben, Theaterstücke inszeniert. In Paris arbeitete er mit Maurice Chevalier und Marcel Marceau zusammen, mit Roland Topor und Fernando Arrabal gründete er dort 1962 die Gruppe „Panique“ (nachdem ihm André Breton den Zugang zu den Surrealisten verwehrt hatte), seine Performance „Sacramental Melodram“ löste 1965 hysterische Reaktionen aus.
Nach der Katastrophe von „Dune“ begann er mit dem Storyboard-Zeichner Moebius eine erfolgreiche Karriere als Comic-Autor; ihr John-Difool-Zyklus gehört heute zu den Klassikern des Genres. 1992 veröffentlichte er den ersten Teil seiner überaus lesenswerten Autobiografie „Wo ein Vogel am schönsten singt“. Er imaginiert darin die Wurzeln seiner jüdisch-russischen Familie und endet konsequenterweise mit der eigenen Geburt.
■ 11. 5.: „El Topo“, 12. 5.: „Montana Sacra“, 13. 5.: „Santa Sangre“, 14. 5.: Fando y Lis“. Beginn jeweils 20 Uhr. KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin