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Archiv-Artikel

Letzter Ausweg Pferdeklappe

AKTION SORGENPFERD Geraten Pferdebesitzer in Not, hilft eine Abgabestelle im schleswig-holsteinischen Norderbrarup schnell und unbürokratisch weiter

VON SABINE KAISER

„Wir haben etwa 25 Plätze und die wären in drei Stunden voll“, sagt Petra Teegen, 1. Vorsitzende des Vereins Pferdeklappe/Notbox e.V. „Darum haben wir Grundsätze: helfen vornehmlich Familien, die in Not geraten sind, sei es durch Krankheit, Arbeitsplatzverlust, Tod eines Angehörigen. Auch alten, kranken Menschen, die ihre Pferde nicht mehr versorgen können“, präzisiert Teegen die Initiative, die seit Juli 2013 eingetragener gemeinnütziger Verein ist. Ähnlich einer Babyklappe können Menschen in auswegloser Situation ihr Pferd auf Teegens Reiterhof abgeben – auch anonym, auf einer nahe gelegenen Koppel.

An deren Eingang steht eine Box, in die sollen alle wichtigen Dokumente das Pferd betreffend hineingeworfen werden. Das passiert aber eher selten. Die Menschen rufen Teegen an, erzählen ihre Geschichte. „Oft verzweifelt, weil die finanzielle Lage desolat ist, man schon seit Wochen nur noch Tütensuppe auftischen kann, denn das Pferd kostet viel Geld – Geld das nicht mehr da ist.“

Oft bleibt als letzter Ausweg die Pferdeklappe: Denn den Gefährten zu verkaufen sei nicht leicht, das zögere man schon aus emotionalen Gründen hinaus, „und dann kommen auch noch die Schnäppchenjäger, die den Preis drücken wollen. Dann bringen die Leute das Tier lieber zu uns, weil sie wissen, wir suchen neue, tierliebe Besitzer“. Selbst wenn es hart auf hart komme, das Tier schon hungern muss: Der Schlachter kauft nur Pferde, in deren Pferdepass auch eingetragen ist, dass es zum Schlachten taugt – häufig aber würden Pferden Medikamente verabreicht, die das ausschließen. Und euthanasieren darf ein Tierarzt nur ein sehr krankes Pferd, auch diese Lösung komme nicht in Frage.

„Das Projekt ist so erfolgreich, weil es nötig war“, sagt die 60-Jährige. Die Pferde kommen aus ganz Deutschland und werden auch deutschlandweit vermittelt, häufig über die Facebook-Seite des Vereins: „Wir hatten eine Trakehnerstute mit Papieren, die hatte ihr Zuhause weit südlich von München. Sogar aus Belgien hatten wir schon welche – die gingen dann nach Sachsen.“

Acht Aktive sind es, darunter auch ein Tierarzt-Ehepaar, das rund um die Uhr für das Projekt da ist. Petra Teegen spricht vom „kleinen Wir“, das immer größer werde. „Zum Beispiel mit Chris Hartlieb, unserem ‚Deutschlandzusammenrücker‘.“ Es kommt nicht oft vor, aber manchmal ist die Not so groß, dass ein Pferd nicht nach Norderbrarup gebracht werden kann. Dann fährt der 36-jährige Bauunternehmer los, wenn es sein muss bis an die Schweizer Grenze. Auf eigene Kosten.

Er habe schon den einen oder anderen schwierigen Fall gehabt, berichtet er. Mit schwierig sind dabei nicht unbedingt die Vierbeiner gemeint: „Es kommt vor, dass Pferdebesitzer, die ihr Tier an die Pferdeklappe abtreten, noch Schulden beim Stalleigner haben – dann müssen wir vor Ort verhandeln, um das Pferd mitnehmen zu können.“ Er tue sich damit als Unternehmer vielleicht leichter als ein Tierschützer, der nicht so viel Erfahrung habe, so Hartlieb. „Die menschlichen Schicksale sind oft hart, aber mir geht es vor allem um die Pferde“, sagt er und erzählt, er besitze eine Stute, die bereits 40 ist, „älter als ich selbst“.

Die Pferdeklappe ist gemeinnützig, erzielt keinen Gewinn. „Wir verkaufen die Pferde nicht, wir vermitteln sie“, sagt Petra Teegen. Das unterscheidet die Pferdeklappe auch vom Gnadenhof: „Gnadenhöfe behalten die Pferde – oftmals sind sie nicht mehr reitbar, es wird weiterhin für sie gesorgt, häufig auch vom Besitzer. Bei uns müssen sie vermittelbar sein!“

Teegen führt Buch über die Zugänge und Abgänge, hatte auch schon Besuch von einer Staatsanwältin: „Ich finde gut, dass geprüft wird“, sagt sie. „Alle wissen dann: Hier geht es mit rechten Dingen zu!“ Interessenten zahlen die Kosten, die das Pferd verursacht hat, etwa für Futter oder Medikamente. Der Preis liegt aber in jedem Fall über dem für Schlachtpferde. Und die neuen Eigentümer müssen einen Schutzvertrag unterschreiben, mit dem sie unter anderem bestätigen, ein Pferd halten zu können. Ob es den Schützlingen auch wirklich gut geht, wird überprüft, entweder von Vereinsmitgliedern oder von einem ortsansässigen Veterinär.

122 Zugänge waren es von Januar bis September 2014. Es gibt Monate, da kommen über 50 Pferde. Im Normalfall bleiben sie nicht länger als drei bis vier Tage in Teegens Obhut. „Das kann zügig gehen, wir haben Wartelisten.“ Friederike Gitzel, Tierärztin und Vorstandsmitglied, erklärt: „Im Januar und Februar herrscht bei uns Hochkonjunktur – da werden die Versicherungen fällig und das Geld wird knapp.“ Gitzel springt oft ein, wenn auf dem Teegen-Hof die Boxen voll sind. Sie hat ein Shetland-Pony-Gestüt und nimmt die kleinen Klappen-Ponys auf, „die bei Petra unter dem Zaun durchgehen“ würden. Oder dürre Pferde, die gepäppelt werden müssen. Und sie ist da, wenn Neuankömmlinge untersucht und häufig auch behandelt werden müssen.

Doch vor allem Petra Teegen, ehemalige Krankenschwester, steckt viel Zeit in Sorgenpferde, Tiere, die mit schlimmen Verletzungen und dann meist anonym gebracht werden. „Einen Wallach bekamen wir, dem war die Pferdedecke in den Widerrist eingewachsen. Eine Entzündung, die schlimm aussah und auch so roch.“ Teegen bekam es wieder hin. „Ein anderer hatte offene Ekzeme, die Fliegen hatten schon Eier hineingelegt, Maden wimmelten herum.“ Sechs Wochen brauchte sie, bis die Wunden geschlossen waren. Sie sagt, sie habe als Krankenschwester schwerstkranke Menschen gepflegt, da müsse man intensiv dranbleiben – „und das gleiche Recht haben die Pferde auch!“

Die positiven Erlebnisse überwiegen, sagt die Tierschützerin: „Es geht immer um Elend, es endet fast immer glücklich.“ So wie mit Moritz, ein Wallach, vom Tierarzt auf etwa zehn Jahre geschätzt. Denn das Pony wurde anonym abgegeben, hatte weder Chip noch Pass. Nun gehört Moritz der achtjährigen Paula. Ihre Mutter Uta Gläser berichtet: „Paula sah Moritz und hat sich gleich verliebt.“ Er konnte am Anfang nur im Kreis laufen, „war wohl ,Ein-Euro-Jobber‘ vom Jahrmarkt“, vermutet Teegen. „Und als bei der ersten Reitstunde jemand eine Gerte hob und Moritz losflitzte, wussten wir: Er hat Angst!“, berichtet Gläser. Vor Kurzem hat Paula mit Moritz das Kleine Hufeisen, eine Reitprüfung für Kinder und Jugendliche der Deutschen Reiterlichen Vereinigung bestanden.