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Archiv-Artikel

Wir sind noch nicht ganz unten

Der Blick fällt auf Rotenberg und Rote Wurst. Diese Kombination hat man nur vom Riesenrad beim Bad Canstatter Frühlingsfest. Rauf und runter: Dietrich Birk, scheidender Staatssekretär im Stuttgarter Wissenschafts- und Kunstministerium, ließ sich gern auf dieses Gipfelgespräch ein. Ein Interview über die baden-württembergische CDU auf Talfahrt, Stuttgart 21, gelöschte Festplatten und das Glück

Nach neun Jahren als Staatssekretär im Wissenschafts- und Kunstministerium empfindet Dietrich Birk (44) schon eine gewisse Wehmut, seinen Schreibtisch jetzt für Jürgen Walter von den Grünen räumen zu müssen

Interview von Rainer Nübel und Susanne Stiefel

?Wissen Sie, dass das, was Sie im Moment tun, Glück ist? Dieses Rauf und Runter im Riesenrad. Wo ist es schöner, Herr Birk, oben oder unten?

Bei Stuttgart 21 wird es unten schöner sein.

Darauf kommen wir noch.

Aber beim Riesenrad ist es ganz oben sicherlich schöner, weil man den Weitblick hat.

In der kulturgeschichtlich tradierten Glücksvorstellung ist das zentrale Motiv das Rad, das sich ständig dreht. Das höchste Glück ist der höchste Punkt, der Stillstand bedeutet. Ist für Sie als Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Stillstand als Glücksmoment denkbar?

Nein. Aber auch der Wirtschaftswissenschaftler weiß, dass ein Gleichgewicht von Kräften Stabilität erzeugt. Das ist der Zustand, der von Menschen angestrebt wird, ohne dass sie ihn jemals auf Dauer erreichen könnten.

Ihre Partei, die CDU, ist derzeit so weit unten wie wir in diesem Moment, in dem wir den Einstieg zum Riesenrad passieren. Fassungslos, so hat man den Eindruck, versucht man die Niederlage zu deuten. Haben Sie manchmal das Gefühl vom Hühnerhaufen?

Ich weiß gar nicht, ob wir Christdemokraten schon ganz unten angekommen sind. Und es wird noch dauern, bis wir diese Niederlage in der gesamten Dimension erfasst haben. Aber ich denke, dieses Wahlergebnis kann für uns auch eine Chance sein. Wir dürfen eben nicht wie ein Hühnerhaufen agieren. Wir brauchen einerseits Geschlossenheit, wir müssen andererseits aber auch die Niederlage aufarbeiten.

Die CDU ist nach 58 Jahren weder an Niederlagen noch an die Oppositionsrolle gewöhnt.

Dennoch kann man als Partei daraus gestärkt hervorgehen. Vielleicht lernt man daraus, dass auch mal die persönlichen Interessen hintanstehen müssen. Und dass man eine gute Mannschaftsleitung braucht, um nach diesen fünf Jahren wieder erfolgreich die Regierung übernehmen zu können.

So weit scheint man in der CDU noch nicht zu sein. Der ehemalige Kultusminister Helmut Rau verblüfft mit schlichten Schuldzuweisungen an Medien und den Koalitionspartner FDP. Macht man es sich da nicht zu einfach?

Man muss die Ursachen für das schlechte Wahlergebnis sicherlich auch bei uns suchen. Es wäre zu kurz gesprungen, alles ausschließlich auf die Situation um S 21, Fukushima oder auf die FDP zu schieben. Man wird Wahlen nicht mehr nur mit Leistungsbilanzen gewinnen können. Das sage ich auch selbstkritisch, ich bin ja selbst Mitglied im CDU-Präsidium. Früher war es so, dass die Themen Wirtschaft und Arbeitsmarkt ganz vorne standen. Dieses Mal waren es andere Themen.

Die CDU hat also S 21 unterschätzt und die Entschlossenheit der Menschen, sich nicht einfach regieren zu lassen, sondern mitreden zu wollen?

Ja, oder anders ausgedrückt: Wir haben es nicht geschafft, auf allen Ebenen zum richtigen Zeitpunkt die Kommunikation in die Breite und Tiefe der Bevölkerung zu diesem Thema einzubringen.

Die CDU hatte auch nicht eben glücklich agierendes Personal, wenn man etwa an Stuttgarts OB Wolfgang Schuster oder den Ministerpräsidenten Stefan Mappus denkt.

Das war nicht nur die Sache von Herrn Schuster oder von Herrn Mappus. Alle sind da angesprochen, die Bahn, der Bund, das Land, die Region und die Stadt. Wir haben es nicht geschafft, das Projekt schon viel früher in seiner Notwendigkeit und seinen vielen Vorteilen so überzeugend rüberzubringen, dass die Menschen sich davon hätten begeistern lassen. Und was wir vor allem nicht geschafft haben, ist, eine Emotion zu diesem Projekt herzustellen, eine positive Emotion. Das war für mich auch eine neue Erfahrung. Dass ein städtebaulich und verkehrlich hervorragendes Projekt …

Das sehen in Stuttgart viele anders.

… emotional stark abgelehnt wird. Da muss man sich neue Dialogformen überlegen.

Haben Sie vielleicht einfach nicht zugehört und gedacht, wir regeln das schon? War die CDU nicht einfach zu weit weg von den Bürgern und damit auch von ihren Wählern, allen voran Stefan Mappus, dem der Stuttgarter Prälat Politik im Rambostil vorgeworfen hat?

Dass hier nicht alles optimal gelaufen ist, weiß Stefan Mappus selber. Aber er kam in einer sehr angespannten Situation ins Amt, und da war es schwierig, einen konstruktiven Dialog zu finden. Der Versuch war ja mit der Schlichtung gegeben. Ich finde, das hat er auch gut gemacht. Vieles hat Mappus’ Amtszeit überlagert, was dazu geführt hat, dass er seine Positionierung als Ministerpräsident in dieser kurzen Zeit nicht richtig finden konnte.

Das Symbol des Rades, um mal wieder auf unseren Gesprächsort zu verweisen, kommt übrigens aus dem Mittelalter. Hat es die CDU geschafft, aus dem mittelalterlichen Denken, was Frauen, Familie und andere Lebensformen anbelangt, herauszukommen?

Das ist doch längst unsere Lebenswirklichkeit. Das sehen wir alle an unseren eigenen Familien, an unserer Partnerinnen und Partnern. Wir haben schon in der Amtszeit von Günther Oettinger mit dem Ausbau von Kindertageseinrichtungen eine Änderung der Positionierung vorgenommen.

Und Mappus wollte mit seiner Profilierung in der konservativen Ecke wieder alles zurückdrehen?

Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Das ist mittlerweile auch eine Generationenfrage. Bei uns Jüngeren ist das völlig akzeptiert. Wir müssen die Angebote im Hinblick auf Vereinbarkeit und Familie in den nächsten Jahren deutlich erweitern.

Um noch einmal Hermann Hesses „Unterm Rad“ anzusprechen, der sich damit auch auf das Lebensglück bezog: Fühlt sich die CDU in der Oppositionsrolle unterm Rad?

Wir werden die Oppositionsrolle rasch und kraftvoll annehmen. Aber Grün-Rot ist nun mal an der Regierung, und wie alles Neue ist das aufregend. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir und unsere Argumente nicht mehr so aufmerksam wahrgenommen werden. Da müssen wir zunächst einmal sehr, sehr hartes Schwarzbrot essen.

Sie persönlich müssen sich nach neun Jahren als Staatssekretär im Wissenschafts- und Kunstministerium auch umstellen. Fällt Ihnen das schwer?

Ich war die vergangene Woche damit beschäftigt, eine geordnete Übergabe zu machen. Am Dienstag habe ich mich mit meinem Nachfolger Jürgen Walter getroffen. Bei mir werden auch keine Festplatten gelöscht. Mir ist wichtig, dass die Kultur und die Wissenschaft nicht unter dem Wechsel leiden. Da sehe ich im Übrigen auch keine Probleme, was meinen Nachfolger angeht.

Sie hatten also noch keine Zeit für Depressionen?

Es geht mir den Umständen entsprechend, wie man so schön sagt. Gut, das wäre gelogen. Ich empfinde eine gewisse Wehmut, ich leide jedoch nicht an Depressionen.

Wir haben jetzt das Riesenrad verlassen und sitzen nun hier beim Bier. Herr Birk, wie sieht denn Ihre Zukunft aus?

Ich werde mein Landtagsmandat voll ausüben. Wer weiß, was sich sonst noch ergibt. Im Stuttgarter Landtag haben die Fraktionen ja einen sehr direkten Kontakt, man bekommt die Sorgen und Nöte der Kollegen mit. Daraus entstand einmal die humorvolle Idee, eine Wurstbude auf der Freifläche zwischen dem Staatstheater und dem Landtag einzurichten.

Die Umgebung hier im Bierzelt scheint Sie zu inspirieren zu gewagten Visionen.

Als Betreiber einer Brat- und Tratsch-Wurstbude sind sie bestens informiert über die Fraktionsgrenzen hinweg. Sie sind Infobörse, Kummerkasten und Speakers' Corner in einem, und sie können dann gleich noch Politikberatung machen. Interessant wäre auch zu prüfen, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die sich vorgenommen haben, ins Theater zu gehen, aber spätestens bei der Pause doch bei der Tratschbude hängenbleiben, um dort einen schönen Abend mit guten spontanen Gesprächen zu verbringen.

Sie sprechen jetzt hoffentlich nicht von Ihren geheimen Wünschen, während Sie in der Oper oder im Theater saßen?

Nein, überhaupt nicht, ich bin ein Theaterfan. Aber es wäre doch nett, wenn man gleich nach der Oper an runden Tischen stehen könnte und ins Gespräch käme.

Kann man den „Faust“ in einer Wurstbude besser diskutieren?

Man muss natürlich auch rote Wurst dazu anbieten. Das ist wichtig. Nicht nur Bratwurst, sondern auch rote Wurst. Die Roten müssen schließlich weg. Wie war nochmal gleich Ihre Frage?

Kann man bei einer roten Wurst Goethes „Faust“ besser diskutieren?

Ich glaube schon. Weil man nämlich ziemlich dicht beieinander steht und die wesentlichen Botschaften in eine Wurstlänge packen muss.

Interessanter Gedanke. Welche Funktion hat die Kultur denn für die Gesellschaft?

Aus meiner Sicht eine zunehmend wachsende. Ein Thema, das mich seit mehreren Jahren umtreibt, ist die Frage, was wir tun können, um die Menschen für die Kultur zu interessieren. Wenn wir in Baden-Württemberg diese Kreativität und Verrücktheit in der Kunst nicht pflegen, werden wir auch als Wirtschafts-, als Wissenschafts- und als Kulturstandort nicht ganz vorne mitspielen können.

Da sind wir wieder bei der Riesenrad-Symbolik und dem Denken in Kreisen. Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur gehören zusammen. Wird lineares Denken überbewertet?

Wir tun jedenfalls gut daran, den Tunnelblick auf die Wirtschaft zu erweitern. Die Kreativität des Landes können wir dadurch zum Ausdruck bringen, dass Vertreter aus Wirtschaft, Technologie, Wissenschaft und Kunst gemeinsam und vernetzt an Lösungen arbeiten, etwa der Frage: Wie wollen wir in 30 oder in 50 Jahren leben? Wo Querdenker mitspielen, gibt es Innovationen. Lothar Späth war seiner Zeit voraus. Daran müssen wir wieder anknüpfen.

Herr Birk, erst den Job als Kunst-Staatssekretär los, dann als Kandidat für das Amt des Landtagspräsidenten unterlegen. Haben Sie sich geärgert?

Nein, ich habe nach der Wahl viel Zuspruch bekommen. Für mich wäre das ein Amt gewesen, das Gestaltungsmöglichkeiten bietet und nicht nur ein Amt der Repräsentation und des Status.

Das müssen Sie uns jetzt aber erklären.

Ich finde es wichtig, das Parlament wieder stärker zum Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu machen und als ein offenes Forum für mehr Dialogmöglichkeiten zu nutzen.

Ein Landtagspräsident Birk hätte also die S-21-Gegner beispielsweise zur Diskussion ins Parlament geladen?

Der Landtagspräsident Birk hätte ganz sicherlich daran mitgewirkt, dass wir als Parlament auch gerade mit diesen Gruppen ins Gespräch kommen. Ich hätte mich der Diskussion zu diesem Thema gestellt. Natürlich gibt es auch Spielregeln, die von beiden Seiten eingehalten werden müssen.

Ist die Protestseite dialogfähig?

Mir hat manches an diesem Protest nicht gefallen, und manches war mir auch zu emotional und zu radikal. Aber nach diesem Regierungswechsel muss man erneut den Dialog suchen. Denn wir müssen aus dieser Konfrontation herauskommen. Dazu ist der Bürgerentscheid wichtig.

Den die CDU ja zu ihrer Amtszeit immer abgelehnt hat.

Und den müssen die Grünen jetzt durchziehen. Wir müssen dazu weiterhin mit den Bürgern im Gespräch bleiben und sie mit guten Argumenten für das Projekt gewinnen.

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft der Partei. Wie geht es nach den fünf Jahren weiter? Mappus ist weg und damit Grün-Schwarz eine Option?

In der Opposition kann man sich auch in dieser Frage neu positionieren. Unser Ziel muss es sein, darauf hinzuarbeiten, dass in fünf Jahren nicht gegen die CDU regiert werden kann. Ob das mit den Grünen ist oder mit anderen Parteien, werden wir dann sehen.

Aber die CDU kriegt in fünf Jahren auch keine Pickel mehr, wenn es um Grün-Schwarz geht, wie das unter der kurzen Zeit von Mappus den Anschein hatte?

Ich weiß nicht, ob Stephan Mappus Pickel bekommen hat. Ich halte eine solche Koalition jedenfalls nicht für ausgeschlossen, denn es gibt auch bei den Grünen vernünftige Leute, mit denen man Politik gemeinsam gestalten kann.

Herr Birk, es ging auf und ab bei unserem Gespräch, vieles haben wir durch die Mangel gedreht. Fühlen Sie sich jetzt gerädert?

Weder nach diesem Riesenrad-Gespräch noch nach der Landtagswahl fühlte ich mich gerädert. Sondern weiterhin empfänglich für Rat und Tat.