: Alter Kram in neuem Glanz
RECYCLING Berlin steckt voller Ideen – auch bei der Wiederverwertung von Müll. Aus Alt wird Neu: von Computern über Kleider und Taschen bis hin zu Kacheln und Fenstergriffen
VON KRISTINA SIMONS
Der Laden in der Neuköllner Hermannstraße hat etwas von einer Tüftlerwerkstatt. Computer, Platinen, Kabel und anderes PC-Zubehör, aber auch ganze Hi-Fi-Anlagen türmen sich bis unter die Decke. Hinter einem Tresen baut Muharrem Batman einen ausrangierten PC auseinander und wieder zusammen, bespielt ihn neu und startet ihn. „Alte Rechner sind oft genauso gut wie neue und müssen lediglich aufgearbeitet werden“, sagt Batman. Wer nur Texte schreibe und ins Internet wolle, komme mit so einem Gerät wunderbar klar. „Dafür braucht man doch nicht immer gleich das neueste Modell mit komplexen Grafik-Komponenten.“
Muharrem Batman ist Geschäftsführer von Batman Elektronik. Wer hier einen aufgearbeiteten Computer kauft, kann sicher sein, dass Rechner und Software genau aufeinander und auf die jeweiligen Nutzerbedürfnisse abgestimmt sind. Die Geräte gibt es ab 80 Euro mit original Windows-Lizenz und einem Jahr volle Garantie auf die Hardware. „Wir wollen so viele Geräte wie möglich am Leben erhalten, damit weniger neu gekauft werden werden müssen“, erklärt Batman seine Intention. „Und wenn wir tatsächlich mal etwas nicht mehr reparieren können, machen wir daraus Kunst und stellen sie in unserem Laden aus.“
Rund 250.000 Tonnen Elektronikschrott kommen in Deutschland Jahr für Jahr zusammen, ein Großteil davon sind Computer und Laptops. Die enthalten wahre Schätze wie Gold, Silber, Kupfer und weitere Edel- und Schwermetalle, hinzu kommen giftige chemische Verbindungen. Die fachgerechte Demontage ist aufwändig und energieintensiv. Schon die Produktion eines neuen Computers mit Monitor verbraucht mit fast 3.000 Kilowattstunden so viel Energie wie ein 3-Personen-Haushalt in einem Jahr, außerdem 1.500 Liter Wasser und 23 Kilogramm verschiedener Chemikalien. Etwa 850 Kilo Treibhausgase setzt seine Herstellung frei. Wer auf Recyclingprodukte setzt, trägt direkt zur Verringerung von klimaschädlichen Emissionen und dem Verbrauch von Energie sowie wertvollen, endlichen Ressourcen bei.
In Berlin gibt es eine ganze Reihe von Ideen, um vermeintlich Ausgedientem neues Leben einzuhauchen. Elisabetta Lombardo kreiert unter dem Namen RenewFabrics aus alten Stoffresten neue Kleider, Taschen, Broschen, Schlüsselanhänger und Karten. Der Pankower Verein Kunst-Stoffe sammelt wiederverwendbare Materialien von Farben, Stoffen, Holz und Werkzeugen bis zur Plastiktüte und verkauft sie günstig weiter an Künstler, Schulen oder Kultureinrichtungen. Im Onlineshop „Lilli Green“ der Berlinerin Tatjana Haas gibt es Blumentöpfe aus recycelten Autoreifen, Windlichter aus Altglas und Handtuchhalter aus alten Tennisbällen.
Neu ist die Idee nicht: Bis zur Industrialisierung war es zum Beispiel beim Bau eines Hauses selbstverständlich, noch nutzbares Material wiederzuverwenden. „In den meisten der vor 1870 errichteten Gebäude steckt viel bereits Recyceltes“, sagt Rainer W. Leonhardt, der diese Tradition wiederbelebt hat. In seinem Geschäft und Lager in Charlottenburg stapeln sich reich verzierte Jugendstilkacheln und Borde, verschnörkelte Fenstergriffe, Türschlösser, barocke Türgriffe und -beschläge aus Messing, Teile eines alten Kamins. Alles sorgfältig aufgearbeitet und fein säuberlich sortiert auf Kommoden, in Regalen und Schubladen. Sie stammen aus Häusern, die zum Abriss freigegeben waren und die Leonhardt mehr als 30 Jahre lang ganz offiziell „ausschlachten“ durfte. „Das sind Kulturgüter, die sonst einfach vernichtet worden wären“, sagt der gelernte Kunsttischler. Heute bekommt er die historischen Baumaterialien vor allem als Reste von Tischlern. „Auch bei Wohnungsauflösungen finden Erben immer wieder alte Beschläge oder Griffe, mit denen sie nichts anzufangen wissen und die sie mir dann vorbeibringen.“ In punkto Qualität und Verarbeitung sei das historische Material heutigem weit überlegen. „Alte Türschlösser halten an die 100 Jahre und lassen sich immer wieder reparieren“, sagt Leonhardt. „Früher wurden sie geschraubt und besaßen Federn aus Metall, heute werden sie genietet und haben Plastikfedern.“ Gehe ein modernes Schloss kaputt, wandere es deshalb unweigerlich auf den Müll. Die Idee, antike Baustoffe im großen Stil zu sammeln, kam Leonhardt während seiner Zeit als Tischler und Restaurator. „Kunden fragten immer wieder nach seltenen Griffen oder Beschlägen für ihre aufgearbeiteten Möbel“, erinnert er sich. Es sei oft sehr mühsam gewesen, genau die zu finden. Also legte er sich nach und nach ein Lager an. Heute zählen neben Privatleuten mit Liebe zum historischen Detail auch Museen und Filmausstatter zu seinen Kunden.
Antike Baumaterialien: www.rainer-w-leonhardt.de/home/
Batman: www.batman-elektronik.de
RenewFabrics: www.renewfabrics.com/uber-renewfabrics/
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