PRESS-SCHLAG : Gar nicht geilo
MISSVERSTÄNDNIS Wenden sich die Fans vom Profifußball ab, wie es jetzt manchmal behauptet wird? Nö, davon kann keine Rede sein
Sie haben ja irgendwie Recht, die lieben Kollegen von diesem klickstarken Onlinedienst. Weil in der ersten Liga zu viel Glitter, Gedöns und Geflirre ist, werden Fans wieder zu Traditionalisten und schwenken ihre Fähnchen bei der zweiten Mannschaft ihres Lieblingsbundesligisten. Oder der dritten. Das haben die lieben Kollegen aus Hamburg neulich sehr schön in Wort und Grafik erläutert – und den Nagel damit schon irgendwie auf den Kopf getroffen. „Auf der Suche nach Liebe“ haben sie über ihren Artikel geschrieben.
Sollen sie doch da oben ihre Fußball- und Werbeshow veranstalten, sagt sich jetzt der echte Fan, sollen sie ruhig, wir gehen dafür in die schnucklige Mechatronik-Arena von Aspach, wo die glorreiche Mannschaft des VfB Stuttgart II aufläuft oder in die Mondpalast-Arena von Herne, wohin es den FC Schalke 04 II jedes zweite Wochenende verschlägt. Wir sehen echten Fußball und echte Emotionen. Unverdorben. Erdverbunden. Wie früher, als man sich noch in der roten Erde des Ruhrpotts wälzte und eine reelle Stadionwurst für eine reelle Mark bekam.
Dieses Szenario ist fast zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich: Die empirische Untersuchung, die zum Schluss führt, bei Mainz 05 II, HSV II oder Hertha II gehe jetzt so richtig die Post ab, hat ein paar methodische Schwächen. Momentaufnahme heißt die Falle, die auch hier wieder einmal zuschnappt. Das heißt: Der Untersuchende (Fußballjournalist) baut auf dem wackligen Fundament einer recht kleinen Datenmenge (im schlechtesten Fall nur ein Fußballspiel) ein großartiges, mehrstöckiges Gedankengebäude („Fans wenden sich vom Profifußball ab“).
Im vorliegenden Fall stützen sich die lieben Kollegen auf das Datenmaterial von ein paar Spielen einer noch sehr jungen Dritt- und Viertligasaison; in diesen Gefilden haben die Zweitteams ihr natürliches Habitat. Man zählte also die Zuschauer bei den Heimspielen der zweiten Mannschaften und verglich die Durchschnittswerte der aktuellen Spielzeit mit denen der vergangenen zwei Jahre. Auffällig waren die Werte vor allem bei den Drittligisten BVB II und Mainz II. Die Dortmunder kommen auf einen Schnitt von 3.331 Zuschauern (Saison 2012/13: 2.077), die Mainzer auf 1609 (458). Der HSV II schnellte übrigens von 211 (2013/14) auf 464 hoch!
Nun seien die Fragen erlaubt, ob der steigende Ticketabsatz in Mainz nicht daran gelegen haben könnte, dass die 05er aufgestiegen sind. Dass sie zu Beginn der Saison gegen Bielefeld, Duisburg und Hansa Rostock gespielt und dass deren Fans viele Karten gekauft haben. Dass die dritte Liga viel früher als die Bundesliga gestartet ist und noch vom WM-Erfolg angefixte Fans in Scharen angezogen hat. Dass dieser Effekt auch in Dortmund (und anderswo) zu beobachten war, wo anfangs 4.965 Fans gegen Holstein Kiel und sogar 9.999 zu Jahn Regensburg ins Stadion strömten. Und, last but not least: Dass es vielleicht doch zu früh gewesen ist, um einen allgemeinen Trend („FC XY II ist geilo“) abzulesen.
Das letzte Spiel in Dortmund wollten 432 Fans sehen, das in Mainz 774. Schalke 04 II guckten sich zuletzt 100 Leute an, Hoffenheim II 266, Köln II 250, Bayern II 482 und Hertha II 358. Ein Trend ist dabei offenkundig: Je länger die Saison dauert, desto weniger kommen zu den Zweitteams der Bundesligisten. Was heißt das nun? Dass die erste Liga einfach nicht zu toppen ist? Dass die Traditionalisten die Nase voll haben von Gurkenfußball in Liga drei und vier? Vielleicht, wer weiß. Ist ja auch nur eine Momentaufnahme. MARKUS VÖLKER