: Ein barocker Sommernachtstraum
ALMAGRO Im Juli findet in der zentralspanischen Kleinstadt das internationale Festival des klassischen Theaters statt
■ Das Theaterfestival von Almagro findet jedes Jahr drei Wochen im Juli statt. www.festivaldealmagro.com, www.almagro.es
■ Unterkunft: Am stilvollsten ist der Parador im alten Franziskanerkloster von Almagro. www.paradores.es
■ Die Region Kastilien-La Mancha: Im Zentrum der Iberischen Halbinsel gelegen, bietet sie historische Städte wie Toledo oder Cuenca und Burgen wie das Castillo de la Calatrava Nuevo. www.fremdenverkehrsamt.com/spanien.html
■ Routen: In der Region gibt es viele Themenwege. Ruta de los Pueblos Negros (Route der schwarzen Dörfer), der Name rührt von der Verwendung von Schiefer in der traditionellen Architektur her; außerdem Route der Safranfelder, Route der Burgen und die Route des Don Quijote, benannt nach Cervantes’ legendärem Mann aus La Mancha. www.tourspain.es
■ Schutzgebiet: Der Nationalpark Tablas de Daimiel schützt eine der letzten Flussauen Zentralspaniens. www.daimiel.es
VON EDITH KRESTA
Wir verabreden uns beim Dicken. Denn jetzt im Monat Juli ist die Plaza Mayor von Almagro unübersichtlich. Touristen aus Madrid und Barcelona, Theaterfans und Spanischkundige aus England und Deutschland sind zum Festival Internacional de Teatro Clásico angereist. Dieses Theaterfestival, das jedes Jahr im Juli drei Wochen lang stattfindet, ist das wichtigste klassische Theaterfestival Spaniens und bei Theaterleuten international bekannt. Aber wer sonst kennt Almagro? Das verschlafene Nest in der Mancha, im heißen Zentrum Spaniens, war zwar in Almodóvars Film „Volver“ dörfliche Kulisse, aber der Ruhm des Films gehört zweifellos der schönen Penélope Cruz.
Almagro führt weiter sein verschlafenes Statistendasein. Dort, wo Spanien ländlich, traditionell und eigenwillig ist. Wo die Landschaft meist flach ins Unendliche läuft, wo Weinstöcke und Olivenbäume die in der Hitze flirrende Steppe beleben, wo die Sockel der Hauswände und die Fensterrahmen königsblau bepinselt sind. Im Sommer jagt die Hitze zur Mittagszeit jeden Hund von der Straße. Hier im Süden der Mancha findet man die alten weißen Windmühlen und immer wieder das Bild des reitenden Don Quichotte. Er galoppiert selbst auf den typischen Türvorhängen in den Dörfern, die im Sommer etwas Wind in die überhitzten Zimmer lassen. Don Quichotte ist die Touristenattraktion von la Mancha. Ihr Logo. Teil ihrer Identität. Der dürre Ritter, eine Schöpfung des Schriftstellers Cervantes, jagte in der ländlichen Region mit dem würzigen Käse, dem guten Wein und der alten Ritterherrlichkeit seinen ehrenvollen Phantasmen nach. Das heute bedeutungslose Almagro war einst Hauptsitz des mächtigsten und ältesten (1158 gegründeten) spanischen Ritterordens, des Ordens von Calatrava.
Beim Dicken sind am Abend auf der Terrasse alle Plätze besetzt. Wir begnügen uns mit einem Tinto an der Bar des El Gordo, die nach der selbstbewusst zur Schau getragenen Leibesfülle seines Besitzers benannt ist. Der Dicke zapft eigenhändig das Bier und erzählt uns von seiner Leidenschaft, dem Stierkampf. Er kennt die persönlichen Schicksale der lokalen Stierkämpfer, die in der Heldengalerie hinter seiner Theke in reich verziertem Kampfoutfit abgebildet sind.
Sitzt man zwei Abende auf der Terrasse des El Gordo bei Pisto Manchego oder Migas del Pastor, glaubt man, sie alle zu kennen: den Alten mit den hellblauen Hausschuhen, der allabendlich nach Sonnenuntergang im grauen Anzug auf dem Platz auf und ab geht; der Grauhaarige ohne Arme, immer in Begleitung zweier Freunde. Familien mit in der Regel zwei Kindern setzen sich auf einen Wein, ein Bier und Tapas auf die Terrassen und überlassen ihre springlebendigen Sprössling vertrauensvoll dem Platz. Vorbeispazierende ältere Ehepaare aus Deutschland, Holland oder England trifft man nachmittags am Pool des wunderschönen Paradores im ehemaligen Franziskanerkloster von Almagro wieder.
Die rechteckige Plaza Mayor ist von einem Wandelgang mit Steinsäulen umgeben. Ein ungewöhnlich schöner, alter Platz. Auffallend ist vor allem die grün-weiß gestrichene Fachwerkfenstergalerie der Häuser, die den Platz umgeben. Von dort konnten früher die Señoras nicht nur die Stierkämpfe auf der Plaza beobachten. Heute sind kleine Läden mit den typischen filigranen Stickereien, Fächern in allen Farben und Spezialitäten der Region, in den Arkaden untergebracht – aber vor allem eine Bar neben der anderen. Der Platz wird von Tischen und Stühlen umrahmt und ist abends zu Zeiten des Festivals im Juli gerammelt voll.
„Im 16. Jahrhundert gehörte Almagro zu den glanzvollen Kleinstädten Spaniens. Es war eines der wichtigsten Zentren der damaligen Weltwirtschaft unter der Regie der Augsburger Fugger“, erzählt die Fremdenführerin Cristina Sánchez. Wir besichtigen gemeinsam den Almacén de los Fúcares, den Palast der Fugger mit maurischer Anmutung. Auch hier wie im alten barocken Stadttheater oder in der alten Universität finden drei Wochen lang täglich Theateraufführungen statt.
Im Jahre 1525 überschrieb Kaiser Karl V. dem Augsburger Bankiershaus die größte Quecksilbermine der Welt im nahe gelegenen Almadén. „Seine Krönungsschulden bei den Fuggern ließen dem Kaiser keine andere Wahl, denn die Fugger hatten die deutschen Fürsten mit beträchtlichen Geldsummen dazu gebracht, für Karl zu stimmen“, sagt Cristina. Neben dem Quecksilber aus Almadén, das man zur Bearbeitung des Silbers aus den Minen Südamerika brauchte, wurden in Almagro vor allem Wolle und Wein gehandelt. Der neue Geldadel stiftete Kirchen, baute Paläste und den ungewöhnlichen Marktplatz von Almagro. „Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die königlichen Spitzenmanufakturen gegründet, die mehr als 8.000 Arbeiter beschäftigten. In dieser Zeit wurde Almagro Hauptstadt der Provinz La Mancha“, sagt Cristina. Das Klöppeln ist noch heute Tradition in La Mancha. Die Fächer aus handgemachter Spitze sind teure Mitbringsel.
In der Kirche des Convento Asunción de la Calatrava, dem mormorüberladenen Dominikanerkloster, treffen wir den 70-jährigen Mönch Baldomero, den jüngeren der beiden noch verbliebenen Mönche. Baldomero, auf sein Kloster angesprochen, wettert sofort über den Verfall der Sitten, der Familien. Kein Wunder, dass nur noch wenige alte Damen, die das Familienprogramm längst absolviert haben, seiner Predigt beim anschließenden Gottesdienst lauschen. „Almagro ist gesegnet mit über drei Dutzend monumentalen, meist renovierungsbedürftigen Kirchen. Die Stadt hofft, dass die Unesco diesem architektonischen Ensemble den Titel eines Weltkulturerbes verleiht“, sagt Cristina. Anfang des 19. Jahrhunderts fiel die wichtige Handelsmetropole durch die Wirtschaftskrise nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon in einen anhaltenden Dämmerschlaf. Hätte sie nicht den Corral de Comedias, wäre die historische Stadt wohl von der touristischen Landkarte verschwunden.
„Dieses Renaissancetheater aus dem 17. Jahrhundert ist eines der ältesten Spaniens. Es wurde 1621 eingerichtet, als sich die Kirchenväter über die unzüchtigen Aufführungen fahrender Theatergruppen auf der öffentlichen Plaza Mayor erregten“, erzählt Cristina. Der Schauplatz wurde kurzerhand hinters Haus, in den Innenhof, den Patio verlegt. Der berühmte Corral de Comedias von Almagro ist schlicht und fürs Volk errichtet: ein überschaubarer Innenhof eines zweistöckigen Hauses direkt an der Plaza Mayor mit Bühne. Auf beiden Ebenen, im Patio und auf der Balustrade, stehen kleine Holzstühle dicht an dicht. „Oben saßen die Damen, unten die Herren“, weiß Cristina. „Es ging ja damals recht herb zu.“
Im Corral de Comedias werden heute bevorzugt die Dramen der spanischen Klassiker, Lope de Vega (1562–1635) und Calderón de la Barca (1600–1681) aufgeführt. Aber auch Shakespeare und Molière werden gezeigt. Wir besuchen „Tartuffe“ von Molière. Die Aufführung beginnt um 23 Uhr unter klarem Sternenhimmel. Eine kleine Zeitreise, denn selbst unsere regionaltypischen Holzstühle mit Korbgeflecht stammen zumindest im Design noch aus dem Goldenen Zeitalter Almagros: Sie sind hart, klein, mit unbequem aufrechter Lehne.
Nach der Aufführung, es ist nun halb zwei Uhr nachts, sind die von alten Laternen erleuchteten Gassen im Zentrum von Almagro laut und lebendig. Die Besucher der insgesamt sieben Theaterschauplätze treffen sich auf ein letztes Glas bei nun sehr erträglichen Temperaturen. „Ich liebe das Theaterfestival von Almagro“, gesteht Cristina auf der Terrasse beim Dicken. „Danach fällt die Stadt in den elfmonatigen Dornröschenschlaf.“ Als wäre alles nur Theater. Eine Illusion von Don Quichotte.