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Archiv-Artikel

Ein alter Bekannter

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Wenn Sie den Herbst 2005 gemocht haben, als in den Banlieues die Autos brannten, dann werden Sie das Frankreich der nächsten fünf Jahre lieben. Die Republik von Nicolas Sarkozy, der gestern zum Staatspräsidenten gewählt wurde, wird die Sprache der Stärke sprechen.

Sarkozy wird niedrigere Steuern für UnternehmerInnen, für Wohlhabende und ErbInnen einführen, er wird den Kündigungsschutz lockern und die Arbeitszeiten verlängern. Er wird die Erwerbslosen stärker kontrollieren, Kriminelle härter bestrafen – insbesondere minderjährige „Rückfalltäter“. Er wird Vorschulkinder aufspüren, die aussehen, als könnten sie eines Tages kriminell werden. Er wird mehr Abschiebungen organisieren. Mehr Gefängnisse. Und eine härtere Polizei und Justiz.

KeinE WählerIn in Frankreich kann sagen, Sarkozy sei ein Unbekannter. Der 52-Jährige gehört seit seiner Jugend zum politischen Establishment in Paris. Er begann seine Karriere unter den Fittichen des scheidenden Jacques Chirac. War jahrelang Bürgermeister seiner westlich der Hauptstadt gelegenen Heimatgemeinde Neuilly sur Seine. Es ist eine der reichsten Gemeinden Frankreichs, die es vorzieht, Strafen zu zahlen, statt Sozialwohnungen zu bauen. Sarkozy sitzt seit 1988 im Parlament. War seit 1993 immer wieder Minister. Wurde 2004 Chef der großen rechten UMP und ist seit 2002 – mit kurzer Unterbrechung – Nummer zwei der Regierung.

Die rechte Mehrheit von Sarkozy verfügte seit fünf Jahren über die absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlamentes. Über die Regierung und über den Élysée-Palast. Als Nummer zwei der Regierung und als Chef der UMP hielt er die Fäden der politischen Macht in der Hand. Daneben vernetzte er sich medial und wirtschaftlich.

Sein Bruder Guillaume wäre 2005 beinahe Präsident des Unternehmerverbandes Medef geworden. Seine Freunde Buygues, Lagardère und Dassault kontrollieren neben riesigen Bau- und Rüstungsunternehmen auch die Mehrheit der französischen Medien. Ihre Blätter und Sender unterstützen seit Jahren den Kandidaten Sarkozy. TF1, der dem Bauunternehmer Buygues gehörende größte TV-Sender Frankreichs, lud ihn häufiger als jeden anderen Politiker in seine Sendungen. Die Illustrierten seiner Freunde brachten Dutzende Homestorys über seine glückliche Familie. JournalistInnen, die sich nicht an die Regel „Sarkozy unterstützen!“ hielten, büßten dafür. Nachdem 2005 das zur Lagardère-Gruppe gehörende Wochenblatt Paris Match ein Foto von Sarkozys Gattin Cécilia mit einem Geliebten zeigte, musste der Chefredakteur gehen. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien kennen JournalistInnen, die Sarkozy gegenüber nicht servil auftraten, den Satz: „Wir werden uns an dich erinnern.“

Sarkozy ist ein Mann, der Erfolge in Zahlen misst. Von seinen PolizistInnen verlangte er als Innenminister Plansolls: Für Abschiebungen waren es zuletzt 25.000 im Jahr. Die drei Präfekten mit den besten Abschiebezahlen und die drei mit den schlechtesten lud er ins Ministerium. Sinn für große Auftritte bewies er auch im Kampf um die innere Sicherheit. Jeden Monat organisierte er im Innenministerium eine Pressekonferenz, um Kriminalitätsstatistiken wie Unternehmensbilanzen vorzuführen. In fünf Jahren sorgten seine PolizistInnen für 27 Prozent mehr Häftlinge in Frankreichs Gefängnissen.

Wenn der neue französische Präsident keinen Migräneanfall hat, strotzt er vor Energie. Er joggt. Er fährt Rad. Und redet mit einer Stimme, die auch große Auditorien mal schmeichelnd, mal drohend in Bann zieht. Und schreckte im Wahlkampf vor keinem Thema zurück. Und vereinnahmte jede Katastrophe für seine Zwecke: Von der Pädophilie („genetisch bedingt“) bis hin zur Schoah („Frankreich hat die Endlösung nicht erfunden“). Wenn er debattiert, lässt Sarkozy seinen Kopf ruckartig aus dem Kragen hervorschnellen. Wie ein Kampfhahn. Als er im Fernsehduell mit Ségolène Royal zwei Stunden und vierzig Minuten lang keine Aggression zeigt, mutmaßten seine Landsleute anschließend, er habe Beruhigungsmittel genommen.

Eines von Sarkozys Lieblingsworten lautet „Freiheit“. Vor allem jene, „mehr zu arbeiten, um mehr zu verdienen“. Er will zwar die 35-Stunden-Woche offiziell nicht abschaffen, sie aber aushöhlen. Mit noch mehr Überstunden als den schon zulässigen 230 pro Jahr. Er will künftig nur jedeN zweiteN BeamtIn bei der Verrentung ersetzen. Und er will einen einheitlichen Arbeitsvertrag mit weniger Kündigungsschutz einführen. Das soll die unternehmerische Freiheit fördern. In Großbritannien haben ihn besonders die „Jobcenter“ beeindruckt. Nach deren Vorbild will er französische Arbeitslose dazu verpflichten, spätestens den zweiten angebotenen Job anzunehmen sonst fällt die Stütze weg. Und er will das Streikrecht einschränken. Mit solch neuen Freiheiten, so Sarkozy, werde Frankreich wieder wettbewerbsfähig.

In der letzten Wahlkampfwoche, als es um die Stimmen der rechtsextremen WählerInnen ging, kündigte Sarkozy an, dass er „68 liquidieren“ wolle. Wer wollte, verstand, dass er nicht nur eine rückwärtsgewandte Kulturrevolution meinte, sondern auch die Entrechtung der Gewerkschaften. Der Mai 68 in Frankreich war nicht nur studentisch, sondern vor allem sozial. Es war der längste Streik der Nachkriegszeit. Nach drei Wochen führte das zu einer Anhebung des Mindestlohns um 30 Prozent und zur Zulassung der Gewerkschaften in den Betrieben.

Die rechte Regierung, der Sarkozy zuerst als Innen-, dann als Finanz-, dann erneut als Innenminister angehörte, hat hunderttausende steuerfinanzierte Stellen für Jugendliche sowie Subventionen für Sozial-, Kultur- und Sportaktivitäten gestrichen. Als all diese Puffer weg waren und im Oktober 2005 zwei Jugendliche auf der Flucht vor der Polizei in Clichy-sous-Bois starben, eskalierte die Situation in den Vorstädten. Damals war Sarkozy nur einer von vielen MinisterInnen, aber schon ein Meister der Zuspitzung. Mit Worten wie „Gesindel“, das man „wegkärchern“ müsse, goss er Öl ins Feuer. Die Aufstände dauerten drei Wochen.

Von nun an ist Sarkozy allein im Palast. Für fünf lange Jahre hat er mehr Macht als jedeR andere SpitzenpolitikerIn in Westeuropa. Als Staatspräsident entscheidet er über die Außenpolitik, ist oberster Chef über die Militärs samt ihrer atomaren Force de Frappe und höchste Autorität der Justiz. Bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Auch nicht dem Parlament.