: Verstümmelt und verbrüht
KINDERARBEIT Mehr als die Hälfte aller Kinderarbeiter gehen Tätigkeiten nach, die sie an Leib und Leben gefährden. Das zeigt ein Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation
VON BEATE WILLMS
BERLIN taz | Es muss nicht immer der Steinbruch sein. Egal, ob beim Bewässern von Pflanzen, beim Umgang mit Pestiziden und scharfem Farmwerkzeug oder bei der Ernte auf Feldern oder auf Bäumen: Auch Kinder, die in der Landwirtschaft arbeiten müssen, machen einen gesundheitsgefährdenden, oft lebensgefährlichen Job. Sie können sich Muskeln und Knochen verletzen, ganze Gliedmaßen verlieren, Wirbelsäulenprobleme bekommen und sich vergiften oder infizieren. Das zeigt der Report „Children in hazardous work“, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) am Freitag veröffentlicht hat.
„Kinder und Jugendliche verletzen sich deutlich häufiger als Erwachsene, wenn sie gefährliche Arbeiten verrichten“, heißt es dort. Zudem seien sie in der Entwicklungsphase anfälliger für Gifte, Allergene und krebsauslösende Stoffe. Trotzdem: Mehr als die Hälfte der weltweit rund 215 Millionen arbeitenden Jungen und Mädchen – rund 115 Millionen – sind mit solchen Tätigkeiten beschäftigt, rund 68 Millionen davon in der Landwirtschaft.
Aber auch in anderen Wirtschaftssektoren leben Kinderarbeiter riskant: Sie verbrennen oder verbrühen sich beim Kochen, bekommen Allergien von scharfen Reinigungsmitteln, Krebserkrankungen durch ungeschützten Kontakt mit giftigen Farben oder Chemikalien in der Industrie, kaputte Atemwege von der Arbeit im Steinbruch – ganz abgesehen von Stresserkrankungen und sexuellen Übergriffen. Dabei haben sich die Vereinten Nationen 2006 das Ziel gesetzt, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit bis 2016 zu beseitigen.
Bei ihren Empfehlungen unterscheiden die ILO-ExpertInnen zwischen den Altersgruppen 5 bis 14 und 15 bis 17 Jahre. Bei den Jüngeren gebe es „nur eine Option“: Sie müssten von allen Arbeiten abgezogen werden, bei denen sie ihre Gesundheit oder ihre Entwicklung riskierten. Bei den Älteren gebe es dagegen auch die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern – sowohl durch striktere gesetzliche Regelungen, den verstärkten Einsatz von Arbeitsinspektoren, gezielte gesundheitliche Bildung oder auch staatlich unterstützte technische Verbesserungen der Produktionsmittel.
Beispiel Ghana. Viele Bauern schätzen Pestizide so sehr, dass sie sie in Wohn- und Essräumen aufbewahren. Hier organisierten Behörden Bildungsveranstaltungen, auf denen sie die Farmer mithilfe drastischer Fotos von Chemikalienopfern auf die Gefahren hinwiesen.
Beispiel Pakistan. Hier ist Teppichknüpfen für Kinder unter 14 Jahren seit 1991 verboten. Untersuchungen zeigten aber, dass sich dieses Verbot gerade in Kleinstbetrieben kaum überwachen lässt, wo die Bedingungen oft am schlechtesten sind: Schlechtes Licht und die gebückte Haltung an alten Webstühlen verursachen Knie- und Schulterdeformationen sowie Sehschwächen. Viele Familien können aber nicht auf die Mehreinnahmen verzichten, welche Teppiche mit besonders feinen Mustern bringen, die nur mit sehr kleinen Fingern geknüpft werden können. Die Arbeitsschutzbehörde ließ daraufhin einen Webstuhl entwickeln, der die filigrane Arbeit auch für ältere Teppichknüpfer möglich macht, die Herstellung beschleunigt und dabei auch ergonomischen Anforderungen genügt. Die Regierung legte ein Kreditprogramm auf, um ärmere Familien bei der Anschaffung zu unterstützen.
Aus solchen Beispielen muss gelernt werden, fordert die ILO. Überwunden werde erzwungene Kinderarbeit aber erst, wenn man sich „ihren Wurzeln zuwendet“ – der Armut und dem fehlenden Zugang zu Bildung: „Erwachsene müssen die Chance haben, einer guten Arbeit nachzugehen, die Schwächsten brauchen staatliche Sicherungssysteme.“