urdrüs wahre kolumne
: Herrentag, Vatertag, Männertag

ULRICH REINEKING, Journalist, Kabarettist und Bahnfahrer, trennt sich allen Empfehlungen zum Trotz nicht von seiner Brille.

Christi Himmelfahrt erlebte ich in diesem Jahr in der ehemals selbstständigen politischen Einheit Westberlin, wo ich mir manch Heldensage vom diesjährigen roten Kampfmai anhören durfte und endlich wieder mal von lauter Leuten umgeben war, für die in der Auseinandersetzung mit dem Schweinesystem die jetzt in Bremen anstehenden Koalitionsfragen so was von scheißegal sind, dass man sich schon nach wenigen Stunden in einem völlig anderen Kosmos wähnt.

Während also die einen im heißen Verlangen, die Türme der Herrschaft zu stürzen, wieder am Aufbau der universellen Weltverbesserungsliga arbeiten, bewegen sich inmitten der Hauptstadt Tausende von Trinkern in kleinen und großen Formationen durch die Straßen und können sich nicht einmal darüber einigen, ob diese Orgie des Stumpfsinns und des kollektiven Erbrechens nun Vatertag, Männertag oder Herrentag heißen soll. Schön ist das jedenfalls nicht – und ich bin einigermaßen froh, wohl nie zu erfahren, was jener Horde widerfuhr, die unter Hinterlassung ihres Bollerwagens mit Kindl-Pils vor der Tür in den Kreuzberger Swingerclub „Zwanglos“ einfiel – bezeichnenderweise dabei das Lied „Hamburger Jungs“ auf den Lippen, obwohl sich das sonst vom Akzent her ausgesprochen prollberlinerisch anhörte.

Auf der Hinfahrt im Zug lernte ich eine junge Frau aus Hildesheim kennen, die mit gleich zwei farbigen Kindern in den Stadtteil Wedding reisen wollte, wo die insgesamt zwei Väter zu diesen Kindern wohnen und auch ihr neuer Freund zu Hause ist, mit dem sie aber kein Kind haben will, weil: „Drei vom Neger, das wäre mir zu viel.“ Ansonsten wolle sie Heilpraktikerin werden, weil man sonst als weiße Hexe nicht behandeln dürfe, auch nicht voodomäßig, das Gesetz habe der Hitler gemacht. Und meine Brille sollte ich mal besser wegschmeißen, weil, wenn es keine Verletzung der Netzhaut sei, kriege man das durch Massage wieder hin, wenn man sich nicht innerlich gegen das klare Sehen sträube. Reisen bildet immer wieder ungemein – und es verblüffte mich nicht weiter, dass die junge Mutter am Berliner Hauptbahnhof gleich von drei Herren abgeholt wurde, wohl inklusive der Väter.

Der Bullizeiüberfall auf G-8-Gegner führte in Hannover dazu, dass jetzt im Rathaus allen Ernstes darüber nachgedacht wird, die Fördermittel für das Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße zu streichen. „Und kippen sie die Korn/gerät das Volk in Zorn. Und schon gibt es, keine Frage, Wut und Chaos alle Tage“, würde vielleicht Kurt Schwitters als größter Sohn der Stadt neben Massenmörder Haarmann reimen – und Recht hätte er!

In Hamburg-Altona gibt es demnächst, na was wohl: die Altonale. Das örtliche Abendblatt atmet schon jetzt urban und zwischen Sinn und Unsinn flanierend auf seiner Kulturseite durch: „Unter den 30 Lesungen haben die Autoren Sven Amtsberg und Michael Weins das große Los gezogen: Sie dürfen im Dienstzimmer des Bürgermeisters ihren literarischen Schabernack treiben.“ Das findense nicht sonderlich witzig? Das wundert dann aber ULRICH „Mass Media“ REINEKING