Beleidigtes Auge

Der neue Monarch

Jeder Cluberöffnung geht eine Suche voraus. Und so stolperte man Mittwochnacht durch die liebe alte Bausünde Neues Kreuzberger Zentrum, die uns zurzeit ja immer mehr ans Herz wächst.

Im pittoresk verschmutzten Treppenhaus folgte man dem Stimmengewirr, dann kam der Schock: Statt der kaputten Kachel-Neon-Endzeitromantik, die man am Westgermany so schätzt, oder dem Plüschpurismus der Palomabar erwartet den Gast im just eröffneten „Monarch“ das Format „gemütliche Bierkneipe“. Der Eingangsraum ist mit finnischen Saunabrettern vernagelt und mit Tischfußball und Flipper verstellt. Um den langen Tresen viel dunkles Holz, lederne Lampenschirme unter Schmiedekunstarbeiten. Das ist ja gar kein cooler neuer Club, sondern ein zweites, nur spießigeres Möbel Olfe! Eine Trinkhalle! Oder ist es gastronomische Ironie, die so weit vorn ist, dass man sie noch nicht versteht? Die Musik spielt seltsam gedämpften Swing-Country-Surfrock und ist auch unangenehm nervig.

Was tun? Trinken hilft ja meistens. Und wenn zu viel braunes Holz und mufflige Parkatypen das Auge beleidigen, bleibt immer noch der Blick durch die angeschrägte Fensterfront auf die wunderschön urbane Verlorenheit des Unfallschwerpunktes 2006, das Kottbusser Tor. Der leere Kreisverkehr, der verkehrstechnisch betrachtet nur eine Kreuzung mit sechs Zufahrtsstraßen ist, liegt majestätisch da, darüber thront die Hochbahn. Wenn man ganz verkitscht stadtromantisch veranlagt wäre, würde man sich an den gelben Wägelchen der U1 freuen, die hin und wieder auf Augenhöhe vorbeizuckeln. Bei diesem Anblick bekommen auch ganz verhärtete Menschen gütige Gedanken: jedem eine zweite Chance.

CHRISTIANE RÖSINGER