piwik no script img

Archiv-Artikel

Dutschke und der Denkmalstreit

In Luckenwalde wird über das Andenken berühmter Bürger gestritten. Insbesondere über Werner Lamberz, Honeckers einstigen „Kronprinzen“ – und über Rudi Dutschke. Heute fällt eine Entscheidung

AUS LUCKENWALDE ERIK HEIER

Den Chef des Heimatmuseums, der in einer südbrandenburgischen Kleinstadt einen zunehmend absurden Denkmalstreit mit ausgelöst hat, wenngleich mehr aus Versehen, diesen Mann also hatte man sich irgendwie anders vorgestellt. Kassenbrille vielleicht, knittriger Anzug, Seitenscheitel. Typ Aktenfresser, Schreibtischpedant, Audi-Fahrer. Man ist daher etwas verblüfft, als man Roman Schmidt in seinem Büro im Luckenwalder Heimatmuseum gegenübersitzt.

Schmidt raucht im Büro. Er trägt legere schwarze Klamotten. Das wallend lange Haupthaar hat er zu einem Pferdeschwanz sortiert. Er ist 46, fährt eine Harley. Sein Körperbau ist imposant. Er sieht eher aus, als würde er Kühlschränke ausliefern oder als Türsteher einer Dorfzeltdisko verhaltensauffällige Deppentechnofans vermöbeln. Sein Lieblingswort lautet „Hammer!“

Zum Beispiel, wenn es um den Erfinder der Bierdeckelwerbung geht. Der stammt nämlich aus Luckenwalde. Weiß ja nicht jeder. Dieser Hermann Henschel erfand 1869 auch den Pappteller.

„Ich sage immer: Ohne Luckenwalde kein McDonald’s“, grinst Schmidt. „Hammer!“

Dutschkes Kuli – der Hammer!

Auf den berühmtesten Luckenwalder lässt er schon mal gar nichts kommen. Rudi Dutschke ging hier in den 50ern zur Schule, ehe er in Westberlin die Studentenbewegung aufmischte. Schmidt ist stolzer Verwalter von Dutschkes Lederjacke, seinem Pullover, seinem ersten Westberliner Ausweis, seiner Doktorarbeit. Und von Rudis Kugelschreiber. „Hat er wirklich mit geschrieben.“ Schmidt blickt fast zärtlich auf den Kuli. „Ist doch der Hammer, oder?“

Es gibt zwei zeitweilige Luckenwalder, über die derzeit heftig in der Lokalpolitik gestritten wird. Der eine ist ein ehemaliger Funktionär der DDR-Staatspartei SED, Werner Lamberz. Der andere ist Rudi Dutschke. Dabei geht es um Gedenkstelen für Bürger der Stadt. Darüber befindet heute das Stadtparlament. Es ist nicht unmöglich, dass die Stelen von Dutschke und Lamberz bald nebeneinander stehen. Den Gedanken findet manch einer hier unbehaglich. So oder so. Das ist das Problem.

Museumschef Schmidt hätte nie geglaubt, dass noch irgendjemand in der Luckenwalder Lokalpolitik gegen das Dutschke-Andenken keilen würde. Nicht einmal einer aus der CDU. Die ist hier etwas anders drauf als ihre Berliner Parteifreunde.

Da irrte Roman Schmidt.

2004 hatte er sich gemeinsam mit einem Heimatforscher an eine Liste gemacht. Rund 50 berühmte Bürger sollten geehrt werden, mit Emailletafeln an ihren Wirkungsstätten.

Die beiden schrieben auch den ehemaligen Chefpropagandisten der DDR-Staatspartei SED hinein. Werner Lamberz, der 1978 bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen starb, galt einst als Kronprinz des Staatschefs Erich Honecker. Er wäre das erste SED-Politbüromitglied, das nach der Wende ein Denkmal bekommt.

Dagegen stand Rudi Dutschke nicht auf der ursprünglichen Liste, die das Stadtparlament vor zwei Jahren absegnete. Für ihn gibt es nämlich schon eine Tafel am heutigen Friedrich-Gymnasium.

Dann aber änderte der Beirat das Konzept. Statt Tafeln an den Häusern dachte sich das beauftragte Chemnitzer Designbüro Stelen aus. Die sollten an verschiedenen Orten im Stadtzentrum zu sieben thematischen Gruppen zusammengefasst werden. So genannte „Merkzeichen“, mannshoch, aus Stahl, mit einem kurzen Text.

Da durfte der Studentenführer nicht fehlen. Gleichzeitig wurde der SED-Mann gestrichen. Er habe in der Stadt nichts Bleibendes vollbracht. Die lokale Zeitung Märkische Allgemeine schrieb: „Gegen Lamberz, aber für Dutschke.“

Daraus ist ein erbitterter Zank geworden, über Monate. Alles ist etwas unübersichtlich. Es geht drunter und drüber. Dabei hielten sich die Lokalpolitiker bei dem Stelenprojekt zunächst sehr zurück. Man hatte einen Konsens abseits der politischen Niederungen im Sinn.

Was gründlich misslungen ist.

Da ist also zum einen Rudi Dutschke. Drei Wochen ist es her, da tauchte der CDU-Stadtabgeordnete Michael Wessel ganz tief in die rhetorische Mottenkiste. Mit Kampfvokabeln vom „geistigen Brandstifter“, der „Anarchie und Werteverfall Vorschub geleistet habe“. So wetterte er in einem Ausschuss gegen die Ehrung Dutschkes.

Einen seiner Luckenwalder Parteifreunde erzürnte das besonders: Manfred Dutschke. Der ist der älteste Bruder von Rudi (der mittlere, Helmut, lebt in Potsdam). Er setzte mit Familienmitgliedern einen geharnischten Leserbrief an die Lokalpresse auf, Titel: „Rudi Dutschke war kein Anarchist!“, gegen die „polemischen Brandbomben“.

Manfred Dutschkes Haus liegt wenige Minuten vom Rathaus entfernt. In der 20.500-Einwohner-Stadt ist eigentlich alles nahe am Zentrum. Dutschke, gelernter Landwirt, sitzt seit 1990 im Stadtparlament. Für seine 74 Jahre trägt sein Gesicht erstaunlich wenige Falten. Er sitzt unruhig auf seinem Gartenstuhl, klopft mit der flachen Hand auf den Tisch: „Es ist sichtbar, dass manche immer noch geschichtliche Rückstände haben.“

Manfred Dutschke dachte, diese Debatte wäre längst erledigt gewesen. Seit zwölf Jahren. 1995 war die Umbenennung des Gymnasiums nach Rudi Dutschke gescheitert. Lehrerkonferenz und Kreis verhinderten gar eine Gedenktafel in der Schule. Der damalige Bürgermeister ließ daraufhin davor eine Tafel errichten, auf städtischem Grund. Das war übrigens ein CDU-Mann.

Rudi Dutschke ist in Luckenwalde als hervorragender Sportler bekannt gewesen, er brach im Speerwerfen den Schulrekord, wollte studieren und Sportjournalist werden. Dafür hätte er zum Militärdienst gehen müssen. So war die Logik in der DDR. Dutschke lehnte ab. Offen, in der Schulaula, vor der Schulkonferenz, 1958. Als einziger.

Manfred Dutschke sagt: „Alle wussten: Wenn wir das sagen, dürfen wir nicht studieren. Deshalb ist damals keiner aufgestanden. Aber der Rudi ist aufgestanden. Weil die Mutter immer gesagt hat: Es wird kein Gewehr angefasst. Das war eindeutig bei der damals beginnenden Aufrüstung, bei der kasernierten Volkspolizei. Rudi lehnte das ab.“

Deshalb ging Rudi Dutschke nach Westberlin, zum Studium. Dann wurde die Mauer gebaut.

So nahm die Geschichte ihren Lauf. Rudis prägende Rolle im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Die Hetzkampagne der Springer-Presse. Das Attentat 1968. Sein Tod an Heiligabend 1979.

Dass Aufsässige wie Rudi Dutschke im Osten studierten, verhinderten Schulleitung und die staatlichen Stellen. Zum Beispiel die SED-Jungendkaderschmiede FDJ.

In der FDJ begann auch die DDR-Karriere von Werner Lamberz. Um ihn ist der Zoff nun noch um einiges größer. Die Linkspartei, zu deren Vorgängerparteien die SED gehört, stellt im Stadtparlament die stärkste Fraktion. Aber sie hat keine Mehrheit gegen CDU, SPD und FDP. Die Bürgermeisterin von der SPD ist direkt gewählt

Mit dem DDR-kritischen Dutschke haben die Sozialisten kein Problem. Sehr wohl aber mit der Streichung des SED-Funktionärs.

Das hat ein bisschen mit Formalitäten zu tun und viel mit ideologischen Symbolen. Wenn man so will, auch mit dem Sandmännchen und dem grünen Abbiegepfeil. Mehr durfte von der DDR nicht bleiben, schrieb ein Exstadtverordneter der Partei gerade in einem Leserbrief. „Es geht also nicht allein um Werner Lamberz, es geht um die Diskreditierung von allem, was 40 Jahre lang unsere Geschichte war.“ Das ganz große Karo eben. DDR-Biografien. Minenfeld.

Der Mann, der die vollen Breitseiten abbekommt, heißt Christian von Faber. Der 48-Jährige leitet die Stabsstelle im Rathaus, die das Merkzeichen-Projekt umsetzt. Von Faber wirkt jünger, als er ist. Er war es, der vor einem Jahr Lamberz von der Liste strich. Davon erfuhren die Stadtverordneten im Frühjahr darauf.

Der alte Graben von 1989

Von Faber hat im Umbruch von 1989 in Luckenwalde als Bürgerrechtler das oppositionelle Neue Forum mitbegründet. Das macht ihn bei den linken Genossen nicht eben beliebter.

Linkspartei-Fraktionschefin Kornelia Wehlan sagt: „Man muss feststellen dürfen, dass der ursprüngliche Vorschlag für Lamberz nicht von uns kam.“

Das Stelenprojekt wird über das Stadtentwicklungsprogramm „Urban II“ von der EU finanziert, auch der Bund steuert Mittel bei. Die Politikerstelen bezahlt die Stadt selbst. Spenden sind ebenfalls eingeplant. Gesamtkosten: 182.000 Euro. Ein Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums habe im April 2006 signalisiert, man werde kein Andenken an ein SED-Politbüromitglied finanzieren, sagt von Faber. Das brachte ihn selbst ins Grübeln.

Lamberz, lange Jahre SED-Verantwortlicher für Agitation und Propaganda, galt zwar auch im Westen als vergleichsweise liberal, als Hoffnungsträger gar, rein menschlich obendrein als sehr angenehm. Er organisierte aber auch Ende der 70er Jahre Waffenlieferungen an den ägyptischen Diktator Mengistu Haile Mariam.

Für die PDS-Frau Wehlan ist das ein „Spannungsbogen“, an dem sich DDR-Geschichte darstellen lässt. Auch kritisch.

Von Faber sagt: „Dass er ein bisschen ehrlicher war und menschlicher – reicht das?“

Manche glauben, egal wie die Abstimmung heute ausgeht: Es werden Narben bleiben. Von lokalpolitischen Grabenkämpfen, die kaum jemanden kümmern als die Lokalpolitiker selbst.

Die Kleinstadt hat ja andere Sorgen, rund 17 Prozent Arbeitslosigkeit, 6.000 verlorene Industrie-Jobs nach der Wende.

Ein Denkmal für Honecker?

Drei alte Frauen sitzen auf einer Bank auf dem Boulevard, einer Fußgängerzone im Zentrum. Es ist heiß. Sie schlecken Softeis und zucken die Schultern.

– Die haben nichts anderes zu tun, als den alten Kram auszugraben. Wir wollen was Neues.

– Dutschke war ein Randalierer.

– Ihr werdet eines Tages Honecker ein Denkmal aufstellen.

– Uns fragt sowieso keiner.

Sie winken ab. Ihr Eis ist alle. Die Sonne brennt weiter.

So hat jeder seine Sicht auf die Dinge. Die Politiker. Die Bürger. Und Heimatmuseumschef Roman Schmidt. „Wäre alles nicht notwendig gewesen“, sinniert er an seinem Schreibtisch. „Wir hätten die beiden Dinger einfach hinstellen sollen. Hätte keinen gestört.“

Für einen Moment vergisst Schmidt seine Zigarette im Ascher. Die Lamberz-Stele müsste natürlich einen negativen Text bekommen. „Ich hätte das spannend gefunden.“ Er starrt zum Fenster, voll trüber Gedanken. „Ach, ich weiß nicht …“, seufzt Roman Schmidt.