: Die emanzipierte Redaktion
SCHLAGLOCH VON HILAL SEZGIN Doch so gerne würde man mehr von Frauen hören und lesen
■ ist Schriftstellerin. Soeben publizierte sie „Hilal Sezgins Tierleben: Von Schweinen und anderen Zeitgenossen“. Davor: „Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen“ (beide C. H. Beck).
Es wurde in letzter Zeit wieder viel über Frauen gesprochen und über Wirtschaft, und warum letztere erstere so ungern in hohen Positionen beschäftigt. Außerhalb der Wirtschaft würde keiner, der progressivitätsmäßig etwas auf sich hält, auf die Idee kommen, gegen Quoten (für die Wirtschaft) zu votieren. In eigentümlichem Kontrast dazu steht allerdings die Tatsache, dass es in den Medien selbst nicht anders ist. Und so lese ich es zwar gern, wenn zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung eine Topmanagerin zu einem Gastbeitrag pro Quote einlädt; noch lieber aber würde ich mehr weibliche Namen im Impressum der SZ lesen.
Nachzählen auf dem Gästeklo
Erst im Juni hat die Initiative Pro Quote, die mehr Frauen in die Medien bringen will, bekannt gegeben: „Konkret beträgt der Machtanteil der Journalistinnen beim Stern 24, bei Bild 23, beim Spiegel 19, bei Focus, FAZ und SZ je 15 Prozent.“
Für einen unvoreingenommenen Blick empfiehlt es sich, die Ressorts Freizeit und Familie auszulassen, ebenso wie den Sport. Schauen wir lieber bei Politik, Kultur und Wirtschaft: Wie viele der aktuellen Kommentare und Leitartikel in deutschen Zeitungen stammen von Frauen? Wie oft wird die renommierte Seite 3, wie viele der großen Essays und Debattenbeiträge im Feuilleton werden von Frauen geschrieben?
Bei Artikeln zur Kunst tauchen Frauennamen etwas öfter auf, auf Ausstellungen kann man Frauen anscheinend schicken. Gerne dürfen sie auch Bücher lesen und rezensieren – wenn auch nicht ganz so oft wie Männer. In vielen Haushalten liegen die Literaturbeilagen der letzten Buchmesse ja noch „zum Späterlesen“ auf dem Gästeklo, da kann man nachzählen.
Solches Zählen ist ein nerviges Geschäft, man kommt sich kleinkariert vor, sozusagen erbsenzählerisch, und irgendwie ist es ja auch peinlich, das mit der Geschlechtergerechtigkeit so buchstäblich, nämlich numerisch zu nehmen. Das alles kann doch tausend individuelle Gründe haben, ich weiß genau, dass die Redaktionskollegen dort sehr emanzipativ diesbezüglich eingestellt sind, die schrecken sicher keine Frauen ab, im Gegenteil, händeringend suchen sie nach welchen, vermutlich sind Frauen in dem Bereich einfach schwer zu finden, manchmal trauen sie sich ja auch einfach zu wenig zu?
Und genau das denkt und sagt auch „die Wirtschaft“. Wie alle. Diese unsichtbaren Barrieren: Wir wissen von ihnen, aber wir nehmen sie nicht ernst genug. Es gibt sie nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im schreibenden und meinungsbildenden Bereich. Die Meinungen, die Deutschlands Öffentlichkeit bestimmen, werden zum überwiegenden Teil von Männern formuliert.
Männer machen Meinung
Nicht nur in der Presse. All diese Talkshows zu den vermeintlichen Themen der Woche sind weit überdurchschnittlich mit Männern besetzt – außer natürlich, es geht um Frauenbelange: Vereinbarkeit Beruf und Familie – klar, dazu werden Frauen eingeladen. Über alles andere reden vornehmlich Männer. (Und welche wohl? Man beachte: Das Thema Migrationshintergrund lasse ich hier ganz außen vor!) Nach dem reinen Gästezählen, das war ja nur zum Aufwärmen, kommen wir nun zum Zählen für Fortgeschrittene: Wer bekommt wie viel Redezeit? Dazu schaut man sich die Show am besten in der Mediathek an, da lassen sich die Sekunden am besten ablesen und addieren. Neben dem Redevolumen sozusagen muss man auch zwei weitere Zahlen erfassen, nämlich erstens, wie oft an wen das Wort erteilt wird, und zweitens, wie oft jemand unterbrochen wird.
Es gibt ja zu allem Möglichen Studien, und meistens gibt es sogar studiengestützte Belege für beide einen Sachverhalt betreffenden Hypothesen, also für die eine und für die entgegengesetzte andere. Zu den genderabhängigen Redezeiten habe ich leider nichts Aktuelles gefunden, aber netterweise hat mir eine Freundin einmal zum Geburtstag das beschriebene Durchrechnen einiger Talkshows geschenkt. Das Ergebnis, kurz gefasst: Eine Frau muss im Allgemeinen härter „kämpfen“ als die anwesenden Männer, um das Wort zu erlangen; sie darf kürzer reden, bis der Moderator ungeduldig wird; und sie wird häufiger unterbrochen.
Das 60-Sekunden-Argument
Nach meinen persönlichen Erfahrungen können Männer vor laufender Kamera etwa anderthalb mal so lange reden, ohne dass irgendwer etwas dabei findet. Ich habe schon mehrfach neben Alpha-Männern im vorgerückten Alter gesessen, die jede noch so periphere Anekdote von sich gaben, 90 Sekunden oder gar 120 Sekunden lang. Aber wenn du als Frau in einer schnellen Talkshow 45, gar 60 Sekunden am Stück ergattern willst, musst du deine Argumente gut sortieren und die Sätze möglichst präzise raushauen, Stück für Stück.
Ein anderes Ungleichgewicht entsteht dadurch, dass Frauen – nicht im Printbereich, aber vor der Kamera – immer mit dem ganzen Körper und ihrer Persönlichkeit „präsent“ sind. Ein Mann verschwindet in seinem Anzug und wird zum neutralen, quasi körperlosen Verlautbarer seiner Meinung. In das Urteil über Frauen hingegen fließen Aussehen, Kleidung, Gestik ein. Wie redet sie, wie sitzt sie da, wie häufig lächelt sie? Der Zuschauer überlegt, ob sie sympathisch ist – aber zu lieb darf sie auch nicht sein, das schwächt die Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte. Zu wenig lieb auch nicht, das wirkt „aggressiv“. Wie ein Bekannter von mir einmal gesagt hat, sind Frauen im öffentlichen Raum oft in einer „Lose-lose-Situation“: Wenn sie sich „wie eine Frau“ verhalten, haben sie verloren. Und wenn sie „wie ein Mann“ auftreten, auch.
Aber ich will gar nicht klagen. Ich will nur vorschlagen: Zählen Sie! So albern die Idee zunächst wirkt, so mühsam es ist: Redakteur_innen und Moderator_innen, die wirklich um Parität bemüht sind und wissen wollen, ob auch ihr eigenes Verhalten und Entscheiden stärker gegendert ist, als ihnen bewusst ist, sollten einmal zählen. Im Impressum, bei den Artikeln und bei den Redezeiten. Wenn Sie mir Ihre Ergebnisse gar schicken würden: Ich bin gespannt.