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Archiv-Artikel

Sie geben kein Stück, sondern Prosa

Bewusstseinsstrom auf der Bühne: Die Sophiensæle präsentieren eine Theateradaption von Wolfgang Koeppens Roman „Tod in Rom“. Verantwortlich für den glücklichen Versuch zeichnet der kanadische Regisseur Jacob Wren

Hemingway hat von Schnaps keine Ahnung. Er hat vom italienischen Grappa geschwärmt, aber jetzt sitzt Siegfried Pfaffrath in Rom, trinkt Grappa und findet ihn scheußlich. Pfaffrath ist die Zentralfigur in Wolfgang Koeppens Roman „Tod in Rom“, und die Absage an Ernest Hemingway ist programmatisch. Anders als für die Mehrzahl der deutschen Trümmerliteraten war für Koeppen dessen Pathos der Lakonie kein Vorbild. Er suchte den von den Nazis brutal unterbundenen Anschluss an die Avantgarde der Moderne, und darum ist Siegfried Pfaffrath wie Thomas Manns Adrian Leverkühn ein Komponist von Zwölftonmusik. Nach Rom ist er zur Uraufführung seiner ersten Neutöner-Symphonie gereist, zum Konzert wird der Roman sein Personal versammeln, Pfaffraths Verwandtschaft, die ganze Familienbande.

Neun Figuren sind es, die Koeppen zur satirisch gefärbten Allegorie der frühen Fünfzigerjahre gruppiert. Darunter Judejahn, Siegfried Pfaffraths Onkel, der SS-General, der zurückkehrt aus dem arabischen Exil und die Chancen zur Wiedereingliederung in die Bundesrepublik sondiert. Pfaffraths Eltern, hoch angesehene Bürger im Dritten Reich, der Vater nun Oberbürgermeister der Heimatstadt, demokratisch gewählt. Adolf, Judejahns Sohn, der als Priester in den Schoß der katholischen Kirche flieht. Dazu Laura, die schöne Kassiererin in einem Schwulenlokal, der Dirigent Kürenberg und seine Frau. Den Roman entwirft Koeppen als Partitur aus Bewusstseinsströmen und fließenden Perspektivübergängen. Erlebte Rede, Erzählung und deutender Kommentar gleiten unmerklich fast ineinander. Es gibt kaum Dialoge, Innenansichten dominieren. Auf den Gedanken, diesen entdramatisierten Prosafluss auf die Bühne zu bringen, muss man erst einmal kommen.

Der kanadische Theatermacher Jacob Wren versucht genau das. Sparsam das Bühnenbild, Stühle und Tische vor allem, auf dem Boden Schilder aus Pappe, darauf mit roter Wolle die Namen der Protagonisten gestickt. Simon Brusis tritt auf, setzt sich auf einen der Stühle frontal zum Publikum und spricht eine Siegfried-Pfaffrath-Passage aus dem Roman. Der Originalton der Vorlage bleibt hier und durchweg gewahrt. Die Darsteller, sämtlich in Alltagskleidung von heute, gehen nicht in Rollen auf, sondern bleiben Sprecher von Figurentexten. Sie geben kein Stück, sondern Prosa. Und doch werden sie unvermerkt zu Figuren, die agieren und interagieren. Matthias Breitenbach gibt dem ungeschlachten Judejahn-Körper überzeugend Gestalt. Swantje Henke als Laura bestickt Brotscheiben mit ihrem Namen. Im Vordergrund wird aufgetischt, was Christoph Grothaus als Kürenberg im Bühnenhintergrund gekocht hat. Gelegentlich ein Tätscheln, ein Rempeln, ein Dem-anderen-ins-Wort-Fallen, dann wieder Stillstellung zum Tableau mit Musik. Kurze dialogartige Momente. Daraus wird kein Stück, aber doch viel mehr als ein gespieltes Hörbuch.

Eine spezielle Funktion gibt sich Regisseur Jacob Wren selbst. Er spricht Adolf Judejahn und agiert dabei als bindungslos auf der Bühne herumstehender Fremdkörper, der die Schließung der Prosa-Zitate zum dramatischen Zusammenhang absichtsvoll sabotiert. Er spricht auf Englisch, das Entgleisen seiner Züge zum Lächeln kündigt mehrmals drohende Texthänger an. Diese Verfremdung ist wichtig, denn sie lenkt den Blick bewusst zurück auf den Text. Der verträgt das bestens. Wren hat Koeppens unangenehmste Seite, den aufdringlich antikisierenden Mythen-Talmi, gestrichen und präsentiert ihn als hervorragend gealterten Neutöner. Die kunstvoll Sprachebenen mischende Fünfzigerjahre-Prosa wird von den Sprechern beiläufig unterspielt. Manchmal wirkt das Resultat vielleicht allzu laid back in Ton und Gestalt, alles in allem aber klingt dieser postnationalsozialistische Bewusstseinsstrom sprachlich – und nicht zuletzt politisch – fast schon beängstigend aktuell. Moderner und zeitgenössischer zumal als die Texte mancher Büchner-Preisträger von heute. EKKEHARD KNÖRER

„Der Tod in Rom“ ist vom 14. bis 17. Juni in den Sophiensælen zu sehen