: „Weg von der Scholle“
VORTRAG Deutsche Popmusik ist zum nationalen Kitt geworden, sagt Frank Apunkt Schneider
■ 45, nennt sich unfreier Künstler, Autor und selbsternannter Poptheoretiker. Er ist Mitherausgeber des Magazins testcard.
taz: Herr Schneider, Sie sagen „Deutschpop halt’s Maul“. Was ist so schlimm an deutschsprachiger Musik?
Frank Apunkt Schneider: Es geht mir gar nicht um die Sprache der Texte, sondern um ein Genre, das zur Zeit immer größer wird: der Neue deutsche Indie-Pop. Musiker wie Thees Uhlmann, der früher die Hamburger Band Tomte gegründet hat, zum Beispiel. Das ist deutsche Musik, die sich alternativ und unverkrampft gibt, und damit hervorragend zum Lockerungsbefehl der Berliner Republik passt ...
... und einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zieht. Was war früher anders?
Ich halte den Pop der Nachkriegsgesellschaft – bis 1989 – für das erfolgreichste Programm der alliierten Reeducation. Junge Deutsche haben über Pop gelernt, dass es etwas Attraktiveres gibt als das, was ihre Eltern im Nationalsozialismus hatten. Etwas, das sie mit der Jugend der ganzen Welt teilen.
Und zwar?
Man hat überall die gleiche Musik gehört und gemeinsame Sehnsuchtsorte gesucht: mit den Beatles nach Liverpool. Oder meinetwegen auf den Himalaya, wenn man lieber Krautrock gehört hat. In jedem Fall weg von der Scholle – der eigenen Nation.
Und jetzt hat Pop die Seiten gewechselt und befördert Nationalismus?
Er hat zumindest eine Funktion. Deutschland will heute weltoffen und tolerant sein. Darin steckt aber wieder ein positiver Bezug auf die Nation, ihre Volkswirtschaft und Kultur. Aktuell wird das durch den Faktor Pop verstärkt. Jeder ist ja irgendwie Pop-sozialisiert. Bis hin zu Angela Merkel mit ihrer Beatles-Platte aus Moskau. Das ist das Bindeglied der neuen Volksgemeinschaft.
Aber, wenn es um alle geht: Wer soll jetzt das Maul halten?
Das ist eine Bezugnahme auf die antinationale Bewegung in Folge der Wiedervereinigung – „Deutschland halt’s Maul“ und so weiter. Es geht mir gar nicht um die Akteure. Thees Uhlmann kann man sicher mit einer Demo gegen Nazis begeistern. Da hat er überhaupt kein Problem mit. Der hat mit gar nichts ein Problem. Und genau damit habe ich eins. Eines der wichtigsten Momente von Pop war mal, unzufrieden mit etwas zu sein, sich zu verkrampfen – etwas zu haten.INTERVIEW: JAN-PAUL KOOPMANN
20 Uhr, G 18, Grünenstraße 18