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Archiv-Artikel

In Bonn lacht niemand

Jahrelang war Otello von den NRW-Spielplänen verschwunden. Jetzt hatte Giuseppe Verdis Oper gleich zweimal innerhalb von vier Tagen Premiere. Der Unterschied könnte kaum größer sein

Betont Weigand in Wuppertal in jeder Hinsicht die Distanz, setzt Hilsdorf in Bonn auf Nähe

VON REGINE MÜLLER

Verdis „Otello“ glänzte an den Opernbühnen in NRW in den letzten Jahren durch Abwesenheit. Auch Shakespeares Theaterstück, auf dem Verdis Oper basiert, blieb aus dem andauernden Shakespeare-Boom ausgeklammert. Nun scheint der Bann gebrochen: Zu Beginn der Saison startete das Düsseldorfer Schauspielhaus mit dem Eifersuchtsdrama in die neue Ära. Doch Chefregisseur Stephan Rottkamp fasste „Venedigs Neger“ mit spitzen Fingern an, und ließ das schwierige Stück in deprimierend fahriger Weise als infantile Strandparty verläppern.

Gleich zweimal hatte nun innerhalb von nur vier Tagen Verdis Oper in Bonn und Wuppertal Premiere. Aus der Gegenüberstellung dieser beiden hoch ambitionierten Produktionen könnte man glatt ein Lehrstück über das Regiehandwerk machen. Denn einig sind sich beide Abende nur an einem Punkt: Otello ist tatsächlich schwarz – allerdings mit unterschiedlicher Haltbarkeit, in Wuppertal ist ein gewisser Farb-Abrieb zu beklagen. Das ist umso verwunderlicher, als Regisseur Johannes Weigand seine Protagonisten sonst nicht sonderlich ins Schwitzen bringt, sondern höchst gemessenen Schrittes durch das Drama führt. Für beliebige Abstraktion sorgt schon Moritz Nitsches Bühnenbild, das eine weit gespannte Trichterkonstruktion zeigt, in der einzig ein großes rotes Tuch für symbolschwere Akzente zu sorgen hat. Zeitlosen Bühnenschick repräsentieren auch Judith Fischers Kostüme: Die Herren in Uniform, Desdemona im obligatorischen Weiß, der Chor bleibt schwarze Staffage und verteilt brav Windlichter zu symmetrischen Anordnungen.

Derart edel kunsthandwerklich und bleibt der ganze Abend, der weder den zentralen Eifersuchtskonflikt erklärt, noch Otellos Außenseitertum und Diskriminierung thematisiert. Ganz zu schweigen vom gesellschaftlich politischen Umfeld, das ganz ausgeblendet bleibt. Doch die Rechnung, mit einer aufs ganz Private verengten Geschichte zu punkten, geht nicht auf: Gerade deshalb geht einen das Ganze herzlich wenig an, vor allem Desdemonas Schicksal will nicht einleuchten. Kleine Ungeschicklichkeiten der Regie sorgen gar für unbeabsichtigte Heiterkeit: Als Desdemona letzte Töne unterm Kopfkissen produziert, hört man im Publikum unterdrücktes Glucksen. In Bonn lacht niemand: Regisseur Dietrich Hilsdorf zeigt hier ein schier überbordendes Drama, in dem keine Sekunde Stillstand herrscht.

Betont Weigand in Wuppertal in jeder Hinsicht die Distanz, setzt Hilsdorf auf Nähe: Ein Steg überm Orchestergraben rückt die sich entäußernden Sänger in Greifnähe. Dieter Richter hat Hilsdorf für die Dialogszenen des fatalen Paars einen klaustrophobischen Kubus gebaut, der von allen Seiten belagert wird. Das rundherum versehrte Ambiente kündet von modernem Krieg, von Verrohung und Brutalität. Der Chor wimmelt als gewaltbereiter Mob aus allen Ecken, die Nerven der Protagonisten scheinen von Anfang an zum Zerreißen gespannt. Hier wird nichts gut. Auch wenn Otello und Desdemona sich zunächst noch so scheu umkreisen, als würden sie sich kaum kennen. Umso utopischer klingt das erste Liebesduett und umso klarer wird das nahende Verderben.

Das Ereignis des Abends ist Mikael Babajanyans Jago, der zu Beginn an der Seite ein Schachspiel aufbaut und den Intriganten als beherrschten, lemurenhaften Geschmeidling gibt. Selten hörte man das nihilistische “Credo“ des Fieslings farbiger, differenzierter und gefährlicher, ohne das übliche Triumphgebrüll. Die Bonner Otello-Zweitbesetzung Luis Rodriguez klingt lyrisch, bisweilen etwas wackelig. Zu Tränen rührend ist Irina Okninas Desdemona.

Glänzend sekundiert Roman Kofman aus dem Graben, der einen insgesamt mitreißenden, nervös packenden Verdi musizieren lässt. Da kann in Wuppertal selbst der gefeierte Toshiyuki Kamioka nicht mithalten, auch wenn er fetzige Tempi bemüht und die Spannung wenigstens musikalisch aufrecht zu halten sucht. So hat auch musikalisch Bonn die Nase vorn. Dabei wird in Wuppertal durchaus gut gesungen. Kor Jan Dusseljees Otello hat kraftvolle Attacke bei steifen Höhen, Capucine Chiaudanis Desdemona- Sopran klingt rund, Karoly Szilagyi singt einen soliden, doch vergleichsweise onkelhaft harmlosen Jago.

Infos: Wuppertal: 0202-5694444 Bonn: 0228-778008