: Kriegsflotte für die Weltmeere
Die Werften im Norden bauen neue Typen von Korvetten und Fregatten. Sie verschaffen der Marine damit ein Mittel, fremde Länder anzugreifen. Ihre Marschflugkörper können unterhalb des Radars Ziele bis zu 200 Kilometer im Binnenland erreichen
Das Unternehmen Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) entstand zum Jahresbeginn 2005 aus dem Zusammenschluss der Thyssen-Werften Blohm + Voss (Hamburg) und Nordseewerke (Emden) sowie der Kieler Großwerft HDW. Außerdem gehören zu dem Unternehmen die Nobiskrug-Werft im schleswig-holsteinischen Rendsburg und Standorte in Griechenland und Schweden. TKMS beschäftigt insgesamt knapp 9.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 1,9 Milliarden Euro. Davon entfallen rund zwei Drittel auf Marineschiffe, der Rest vor allem auf große Luxusjachten und mittelgroße Containerschiffe. Die Bremer Friedrich-Lürssen-Werft ist der Partner von TKMS beim Bau der Korvetten. Sie wurde 1875 gegründet und wird heute in vierter Generation von der Familie Lürssen geführt. Sie beschäftigt nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Arbeiter und rund 200 Ingenieure. KC
VON MART-JAN KNOCHE
Von der Öffentlichkeit kaum beachtet, baut die Rüstungsindustrie im Norden eine Kriegsflotte für die Weltmeere. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur offensiv einsetzbaren Seemacht endete gestern mit der Taufe der Korvette „Oldenburg“ in der Hamburger Werft von Blohm + Voss. Sie ist das vierte Schiff der Klasse K 130 – eines gänzlich neuen Typs deutscher Kriegsschiffe. Wie kein anderes Rüstungsprojekt steht sie für die paradigmatische Umdeutung des Artikel 87a, Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“ – eine Verteidigung, die – um es mit den Worten des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) zu sagen – heute am Hindukusch beginnt.
Verantwortlich für die Verteidigung der Landesgrenzen zur See waren bislang die Flugkörperschnellboote der Albatrosklasse. Die pro Stück 300 Millionen Euro teuren hochmodernen Korvetten sollen diese jetzt ablösen. Dabei sind sie weit mehr als bloßer Ersatz: Sie bilden „ein eigenständiges neues Waffensystem, das sich von den vorhandenen Schnellbooten signifikant unterscheidet“, schrieb der zuständige Referatsleiter für Rüstung aus dem Verteidigungsministerium in einem Artikel für das Deutsche Marineinstitut.
Mit einer Reichweite von bis zu 4.000 Seemeilen sind die Korvetten für den weltweiten Einsatz konzipiert. Bis zu 21 Tage können sie auf See bleiben ohne einen Hafen ansteuern zu müssen. An Bord verfügen sie über vier jeweils 200 Kilogramm schwere Marschflugkörper, die nicht nur Seeziele angreifen können. Die Raketen sind „landzielfähig“. Sie können unterhalb des feindlichen Radars bis zu 200 Kilometer weit ins Binnenland hinein fliegen.
Zudem befindet sich ein Landeplatz für Hubschrauber an Deck – nicht zuletzt um Elite-Soldaten der Spezialkräfte, die der festen Besatzung angehören, in Kampfgebiete einschweben zu lassen. Des Weiteren verfügen die Korvetten über Stealth-Eigenschaften. Sie sind so gebaut, dass sie von Radar- und Infrarot-Aufklärungsgeräten fast nicht erfasst werden können.
„Das sind Waffen, die die Bundeswehr angriffsfähig machen“, findet Lühr Henken, der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. Er glaube, dass die Bundesregierung aufrüstet, um bei zukünftigen militärischen Einsätzen der Nato ein größeres Mitspracherecht zu haben. „Desto mehr Militär man mit einbringt, desto größer wird das eigene Stück vom Kuchen“, sagte er der taz.
Insgesamt baut der Werftenverbund Thyssenkrupp Marine Systems AG (TKMS) gemeinsam mit der Bremer Lürssen-Werft in Norddeutschland fünf Korvetten der Klasse K 130 für den Bund. Knapp eine Milliarde Euro verschlingt die Flottille, die in die neue Kategorie der „Einsatzkräfte“ eingegliedert wird. Drei der Korvetten werden von der Marine bereits getestet. Nun folgt die Oldenburg. Bis Ende 2008 sollen sie alle im Einsatz sein. „Im Rahmen der Transformation der Bundeswehr wird sich die Deutsche Marine zu einer Marine entwickeln, die dauerhaft in großer Entfernung operieren kann“, sagt Henning Radtke, Pressesprecher der Marine. Eine Kollision mit dem Grundgesetz sieht er nicht. Die Bundeswehr sei „fest in das rechtsstaatliche Verfassungsgefüge des Grundgesetzes eingebunden“. Sie unterliege dem Primat demokratisch legitimierter Politik.
Wohin die deutsche Politik steuert, zeigte ein Beschluss des Bundestages vom 25. Juni: Trotz erheblicher Bedenken des Bundesrechnungshofs orderte das Parlament für weitere 2,3 Milliarden Euro vier Fregatten des Typs F 125. Am Dienstag wurden die Bauverträge mit dem Werftenkonsortium um Thyssenkrupp Marine Systems unterschrieben. Für das Bremer Friedensforum setzt sich damit eine unheilvolle Tradition fort: „Sie produzierten Waffen für zwei Weltkriege und liefern bis heute Waffen in alle Teile der Welt“, kommentierte es den Fregattenbau.