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Archiv-Artikel

Eine Form von Buchhaltung

LESEN Der Buchladen Ocelot in Mitte wollte anders sein. Bisher hat das nicht ausgereicht: Wie sein Betreiber Frithjof Klepp ums Überleben kämpft

Es habe steigende Zahlen gegeben, sagt Klepp. Aber sie sind nicht ganz so schnell gestiegen wie erhofft

VON CATARINA VON WEDEMEYER

Das Halbdunkel kaschiert perfekt. Die Sorgenfalten sieht man nur, wenn er sich zum Bildschirm dreht. Noch kann Frithjof Klepp gut schlafen, aber die drohende Insolvenz hinterlässt Spuren.

Die juristischen Begriffe klimpert er runter, als sei er im Gericht geboren. Seit Klepp für seine Buchhandlung Ocelot in Mitte den „Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit gleichzeitiger Fortführung, Sanierung und Eigenerwerb“ gestellt hat, geht alles ziemlich schnell. Er ist zwar noch zahlungsfähig, aber dass sich eine Insolvenz anbahnte, konnte er ahnen. Also musste er das melden, sonst hätte er sich strafbar gemacht. Schon am nächsten Tag kam der Rückruf des Gerichts, einen Tag später hatte er den ersten Termin mit der Kanzlei WallnerWeiß. An einem Samstag.

Vor zwei Jahren hatte Klepp den Laden aufgemacht. Der Name der Raubkatze symbolisiert Unabhängigkeit. Alles stimmte: die Lage in der Brunnenstraße, Architektur, Marketing, Konzept. Ocelot ist nämlich, wie es offiziell heißt, „not just another bookstore“. Es ist auch ein Café und ein Onlineshop, über den man sich sowohl Bücher schicken lassen als auch E-Books kaufen kann. „Let’s Netz“ kombiniert mit dem „Ort fürs Wort“.

Wenn Klepp spricht, dann leise und schnell. Er hat wenig Zeit, denn er ist alles auf einmal: Buchhändler, Blogger, Bauleiter, Inhaber und Gesellschafter, und er schiebt Schichten an der Bar. Dieses Jahr saß er zudem in der Jury des Deutschen Buchpreises. Eigentlich lief also alles bestens.

Er verkörpert seine Marke

Seit 1996 arbeitet er in der Branche, erst bei Kiepert, dann bei Kohlibri und Zweitausendeins. Nun verkörpert Frithjof Klepp seine Marke. Es ist alles echt: Mit wenig Eigenkapital hat er die Ocelot-Geschichte gestartet, einen Kredit bekommen, mit guten Leuten zusammengearbeitet. Berliner, UdK-Alumni, das ganze kreative Potenzial, alle normal bezahlt.

Warum kopiert das niemand? „Die haben alle Angst und verpissen sich wieder aus der Branche“, sagt Klepp. Bald gebe es nur noch Konzerne. Der Buchhandel habe sich von der Realität entfernt. Nur digitalen Analphabeten könne es passieren, dass sie über Jahre gesammelte Daten für umme an Google verschenken. „Liebe Leute“, sagt Klepp. Gleichzeitig sucht er einen Schlüssel für die Mitarbeiterin, begrüßt einen Freund, trinkt heiße Schokolade, berlinert – „et is jetz so wie et is“ –, steht auf, setzt sich wieder, gestikuliert.

Er ist jetzt knapp 40. Und muss plötzlich Jura pauken. Tatsächlich habe es steigende Zahlen gegeben, sagt Klepp. Aber sie sind eben nicht ganz so schnell gestiegen wie erhofft. Ein Fehler in der Rechnung. Die Bösartigkeit der Zahlen kennt jeder aus der Grundschule, für Klepp ist sie jetzt real. Der Stress ist größer, die Minuszahlen sind es auch.

Passend zur angestrebten Sanierung kündigt das Schaufenster an, dass „neue Seiten aufgezogen“ werden. Seit die Meldung von der Insolvenz raus ist, kommen wieder mehr Kunden. Promis wie Feridun Zaimoglu kondolieren persönlich. Zum Glück, denn real verkaufte Bücher oder Kaffee sind das Einzige, was gerade Geld bringt.

Und es gibt noch Hoffnung. Überzeugte Fans organisieren Flashmobs, Statement-Fotos und Social-Media-Aktionen wie supportocelot. Für so etwas hat Klepp selbst keine Zeit. „Außerdem bin ich nicht der Typ der sagt: Rettet mich. So ticke ich nicht“, sagt er. Den Laden rettet er nur, indem er sauber arbeitet.

Einen Webshop musste er auch schon einmal aufgeben, aber das war eine andere Geschichte. Wenn Klepp sie erzählt – „was geht denn ab?“ –, gerät er sofort ins Fluchen, und das möchte er nicht, das erzeuge nur „Scheißenergie“.

Zurück also zum aktuellen Drama: Richtige Zahlungsunfähigkeit würde bedeuten, dass das Insolvenzgericht den Laden versteigert. Und dann kauft vielleicht ein Konzern das Ocelot mit den gewellten Holzwänden. Und dieser Konzern würde dort mittelmäßigen Massenmüll verticken und die Verpacker mies bezahlen. Wie das in den bekannten Online-Versandhäusern halt so ist. Das Horrorszenario.

Um das zu verhindern, hat die Kanzlei dem Buchhändler einen Steuerberater und eine Sachwalterin zur Seite gestellt. Sie bewachen und beschützen ihn gleichzeitig. Zum Beispiel vor Investoren. Da gebe es alles, von sinnvoll bis schrecklich, sagt Klepp.

Mehr als 300 Dokumente hat er für die Sachwalterin schon gescannt. Drei Wochen dauert die Sanierung, erst danach darf Ocelot Schulden zurückzahlen und auch wieder neue Ware bestellen. Es fehle nicht viel, 50.000 bis 250.000 Euro. Peanuts, sagen dazu größere Unternehmer – für den, der sie nicht hat, eher Kokosnüsse.

Der Märchenmäzen mit den 10 Millionen Euro sei bisher leider nicht gekommen. Aber auch dann könne er sich nicht einfach darauf stürzen. Klepp macht eine Kopfsprunggeste und unterbricht sich selbst. Investoren könnten das Konzept ändern wollen. Und dann wäre die Geschichte aus.

Noch ist das Ende der Geschichte aber offen, der Held mitten im Getümmel. Als Kämpfer sieht er sich nicht, aber spannend bleibt es trotzdem, schließlich sind auch die echten Ozelots vom Aussterben bedroht. Aber wer will schon eine ganz normale, fette Hauskatze?

■ Ocelot, Brunnenstraße 181, Mitte www.ocelot.de