: Biobrötchen für Malocher
Martin Kastner betreibt die kleinste Biobäckerei der Stadt. Sein „Rettungsbrot“ ankert in einem Stadtteil, wo Bio nicht sehr verbreitet ist – im Arbeiterviertel Borgfelde. Für den Biobäcker aus dem Ruhrgebiet ist das nicht unbedingt ein Nachteil
von CHRISTOPH NEETHEN
In Borgfelde ist Martin Kastners putzige Bio-Backstube eine kleine Insel. „Dieses Viertel ist eigentlich gar keine Vollkorngegend“, findet Kastner und knallt beherzt den Sauerteig auf die hölzerne Arbeitsplatte, bevor er zum Nudelholz greift. Im „Rettungsbrot“ verwirklicht der 46-Jährige seinen Traum: produzieren und verkaufen in einem Raum.
In Borgfelde ist der Biobäcker Monopolist. Auszubildende aus der gegenüberliegenden Akademie für Bühnentechnik, Besucher der benachbarten Kindertagesstätte und Bewohner der roten Backsteinbauten bilden seine Kundschaft. Kastners Backwaren aus ausschließlich kontrolliert biologisch angebauten Zutaten sind gefragt. Sein Sortiment besteht aus Brötchen, Broten und Kuchen. Kastner nennt es „klassisch“. Mittags werden Pizza-Zungen in die drei Öfen geschoben und zum Nachtisch Mohn-Strietzel kredenzt. Im Regal steht ein Potpourri aus Bio-Lebensmitteln und fair gehandelten Tees.
Bäckermeister Kastner stammt aus Gelsenkirchen. Über dem Brotregal hängt ein Wimpel von Schalke 04. „Wann machst du den endlich ab?“, fragt ein Kunde. „Nie!“, antwortet Kastner. Er sei Schalke-Fan seit seiner Kindheit, sagt er.
An eine Biobackstube dachten Kastner und seine Freunde schon vor dreißig Jahren im Ruhrgebiet: „Wir hatten in den 70er Jahren eine Männergruppe aus jungen Vätern in Dortmund.“ Sie wollten alles anders machen: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn. Die Gemeinschaft gründete die Backdat GmbH und eröffnete eine Bäckerei in Bochum. „Anfangs lief der Laden – aber nach ein paar Jahren war unsere Gruppe total zerstritten und wir mussten aufgeben.“ Die alte Biobäckerei existiert immer noch, sagt Kastner. Die Geschäftsidee überlebte das Kollektiv.
Praktikanten und Auszubildende von „Rettungsbrot“ kommen aus der Stiftung Rauhes Haus. Kastners seltener Brotüberschuss geht an die Hamburger Tafel. Eine Greenpeace-Plakette an der Wand erklärt den Laden weithin sichtbar zur „‚atomfreien Zone“. Der Name der Bäckerei, seine Idee und Atmosphäre suggerieren das Bild einer Arche, doch Kastner lächelt nur: „So ist das nicht gemeint. Wir hätten das Geschäft auch ‚Segelbrot‘ nennen können.“
Vor zwei Jahren zog Kastner nach Hamburg. Manchmal ist er erstaunt über die Akzeptanz seiner Backstube im Arbeiterviertel. Während in Eppendorf und Winterhude der harte Verdrängungswettbewerb manchen Bioladenbetreiber in die Knie zwang, profitiert er vom Trend: „Öko ist hier nicht etabliert – aber auch kein Fremdwort mehr.“ Schließlich können auch die Malocher in der Gegend mittlerweile etwas damit anfangen. Allerdings muss er manchmal eng kalkulieren – schuld daran ist wiederum der Öko-Trend, der die Rohstoffpreise für Bio-Produkte steigen lässt. Für sein Publikum backt Kastner darum manchmal kleinere Brötchen: „Meine Kuchen sind nicht die größten, aber größere könnte hier niemand bezahlen.“
Anders als bei den Öko-Supermärkten und Bio-Discountern ist Bio bei Kastner noch keine Massenware. Er hat eine Rolle rückwärts gemacht, zurück zum authentischen Nischenprodukt für Ernährungsbewusste. Die Kunden können zusehen, wie hinter einer Glasscheibe in der acht Quadratmeter großen Backstube Kuchen und Brote entstehen. Während das Bio-Zertifikat auf dem Tetra-Pak aus dem Supermarkt bloß noch ein Logo ist, macht Hamburgs kleinste Bio-Bäckerei die Produktionsverhältnisse wieder transparent.