: Analoge Fundsachenforschung
TASCHE Klassiker: Beim Wiederauffinden verloren geglaubter Dinge hilft die Internetseite der VBB nicht die Bohne. Der Serviceschalter weiß mehr
Meine Fahrradtasche hat die Analogwelt gerettet. Ich hatte sie im RE 1 bei Fangschleuse im Zug vergessen, vermisste sie dann nach einer Viertelstunde und wollte bei der Bahn anrufen, damit sie meine rot-schwarze Tasche nicht für eine Bombe halten. Aber bei der Bahn kann man gar nicht anrufen, schon gar nicht am Samstag. Auch nicht beim VBB – der ist nicht zuständig, weil er die Züge nur „bestellt“ – und auch nicht im Bahnhof Eisenhüttenstadt.
Am nächsten Tag füllt man brav den Internet-Fragebogen der Bahn aus. Da man sogar die Zugnummer weiß und die Ehrlichkeit der Brandenburger ja legendär ist, fährt man im Geiste tagelang der Tasche hinterher, um sie abzuholen. Nur leider kommt keine Rückmeldung der „Fundsachenplattform“.
Und jetzt kommt die Analogwelt ins Spiel. Am Servicetresen im Ostbahnhof sitzt eine nette Mitarbeiterin und sagt zu der Geschichte: „Ich glaube, die Tasche stand gestern noch hier bei uns. Rot-schwarz, bisschen verdreckt? Die müsste jetzt am Zoo sein, zentraler Fundservice.“ Sie gibt mir ein Klebezettelchen mit einer „Vorgangsnummer“. „Die können Sie da abholen.“
In den hinteren Katakomben vom Bahnhof Zoo, gekachelte Wände, überall Schließfächer, eine Person hinter Panzerglas. Hinter ihr an der Wand diverse Schlüssel, ein Stofftier und Kleinkram, neben ihr eine Handykiste. Sie verschwindet mit meiner „Vorgangsnummer“ minutenlang in den hinteren Regalbereich, wo wahrscheinlich sogar vergessene Fahrräder rumstehen. Ich lese zum dritten Mal die Ankündigung der nächsten Fundsachenversteigerung, stelle mir schon vor, wie jemand legal meine Tasche für zwei Euro Gebot mitnimmt.
Dann kommt die Frau tatsächlich mit der Tasche zurück, stellt sie neben sich. „Ausweis!“, ruft sie durch den knarzigen Lautsprecher, „Führerschein?!“ Hab ich alles nicht dabei. „Dann kriegen Sie die Tasche nicht.“ Fehlt nur der Spruch: Da könnt’ ja jeder kommen. „Aber ich kann Ihnen sogar den Inhalt beschreiben, das ist meine, garantiert.“ Oben guckt sogar genau die Tüte raus, die ich nicht ganz reinstopfen konnte im Zug. Hinter mir werden die Leute unruhig, inzwischen stehen schon vier Vermisstmelder in der Schlange. „Kommen Sie mit Ihrem Ausweis wieder!“ Wenn ich das nicht innerhalb von zwei Wochen mache, wird die Tasche, die direkt vor mir steht, sogar nach Westdeutschland geschafft, ins Zentrallager.
Am nächsten Tag hole ich die Tasche ab, alles noch drin. Auch Tage später keine Mail von der Bahn, keine Antwort vom Fundservice. Die Möglichkeit, direkt am Zoo nachzufragen, wird im Netz übrigens gar nicht erwähnt.
ANDREAS BECKER