: Endlich frei
RAUS Bei Springer war die „Berliner Morgenpost“ gefangen in der „Welt“-Gruppe. Heute vor einem Jahr zog sie aus, um unter dem Dach der Funke-Gruppe wieder eine eigenständige Zeitung machen zu dürfen
VON DANIEL BOUHS UND JÜRN KRUSE
Carsten Erdmann reitet mit seiner Truppe gerade eine ordentliche Welle. Wenn Journalistenpreise verteilt werden, räumt seine Berliner Morgenpost ab. Erst am Dienstag durften die Lokaljournalisten den Deutschen Reporterpreis entgegennehmen – für die „Narbe der Stadt“, eine interaktive Reportage zur hässlichen Berliner Mauer. Nur ein paar Tage zuvor holte ein Reporter, der sich so ausführlich wie kaum ein anderer mit der alarmierenden Bewegung des Salafismus beschäftigt, den zweiten Platz beim Hauptstadtpreis „Langer Atem“.
Es herrscht eine fast schon bemerkenswerte Aufbruchstimmung in der Redaktion, die sich vor einem Jahr fürs Erste nur physisch aus dem Reich des Axel-Springer-Konzerns löste. Springer hatte der Essener Funke-Mediengruppe (WAZ, Thüringer Allgemeine) für knapp eine Milliarde Euro neben TV- und sonstigen Magazinen auch seine beiden kräftigsten Regionalzeitungen verkauft: das Hamburger Abendblatt und die Berliner Morgenpost. Ein Bruch vor allem für die Morgenpost, die bei Springer in Berlin eng eingebunden war in eine Redaktionsgemeinschaft um die Kerntitel Welt und Welt am Sonntag. „Wir haben aus einem Newsroom 14 Produkte gemacht: regionale, überregionale Tages- und Wochenzeitungen, Onlineauftritte, Web TV, Apps. Das war rein wirtschaftlich richtig“, sagt Morgenpost-Chefredakteur Erdmann rückblickend. „Journalistisch gesehen war das aber sehr komplex – vielleicht manchmal zu komplex.“
Stark im Westen
Genau vor einem Jahr war Erdmann mit seinen Leuten ausgezogen. Für die Morgenpost ging es nach 47 Jahren raus aus dem Springer-Komplex am Rande Kreuzbergs an den (zumindest für Berliner Verhältnisse) prächtigen Kurfürstendamm – in die ehemaligen Redaktionsräume von Springers B.Z., die ihrerseits den entgegengesetzten Weg ging und ins Kreuzberger Hochhaus zog. Die Morgenpost war nun endlich dort angekommen, wo sie seit jeher stark ist in Berlin: im Westen.
Auch ein Jahr nach dieser Umsiedlung gibt sich Erdmann loyal zu Springer, lässt aber durchblicken, dass der Umzug für die leidenschaftlichen Zeitungsmacher unterm Strich vor allem ein Befreiungsschlag war, wenn auch in der Umsetzung ein recht komplizierter. „So war es nicht immer einfach, zu sagen, wer eigentlich zur Morgenpost und wer zur Welt gehörte“, erinnert sich Erdmann. Letztlich hätten sich „die Chefredakteure dann angesehen, wer wo schwerpunktmäßig arbeitet“.
In der sogenannten Blauen Gruppe im Springer-Verlag verschwammen – wie gemalt von Verlagsmanagern – vorsätzlich die Grenzen zwischen den einzelnen Redaktionen. Und die Morgenpost war in diesem blauen Becken stets der kleinste Fisch. Um ihren überregionalen Teil zu bestücken, musste sie Tag für Tag schlucken, was die Welt-Redaktion ausspuckte.
Heute ist die Morgenpost wieder eine eigenständige Zeitung, bei der das Gedruckte das Kernprodukt ist. Nahezu alle RedakteurInnen sind in erster Line für Print zuständig. Um die Onlinepräsenz kümmert sich ein kleines Team. Das passt zur Strategie der gesamten Funke-Gruppe, die zwar für äußerst brutale Sparrunden bekannt ist, sich aber weiterhin vor allem als klassisches Zeitungshaus versteht, in dem Manager nicht allein dem Rausch digitaler Versuchungen erlegen sind – ganz anders also als die gegenwärtigen Strategen im Springer-Hochhaus.
Bei diesem Kulturclash scheint es nur konsequent, dass die Beteiligten nun auch die letzten redaktionellen Verbindungsbrücken kappen. Bislang sind die Welt und ihre früheren Schwestertitel noch eng miteinander verwoben: Springer liefert seinen einstigen Titeln Überregionales aus Politik, Wirtschaft und Buntem – wobei der latente Zwang, dies doch bitte auch in der Morgenpost mitzunehmen, raus ist, seit die Welt-KollegInnen nicht mehr ein paar Meter entfernt sitzen. Umgekehrt produzieren auch heute noch Morgenpost und Abendblatt die Regionalteile für Welt und WamS – druckfertig. Von Mai 2015 an gehen beide Häuser endgültig getrennte Wege. Funke will das Überregionale selbst liefern und Springer will künftig eigene Lokalteile für die Welt produzieren.
Für den Medienmarkt ist das zweifellos eine gute Entscheidung. Auch wenn noch offen ist, wie ernsthaft Springer dieses Geschäft betreiben wird. Denn während eine Lokalberichterstattung in Hamburg – wo die Welt traditionell stark vertreten ist – durchaus Sinn machen könnte, dürften die Berliner, um deren Aufmerksamkeit neben der Morgenpost bereits die Abo-Zeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel buhlen, nicht unbedingt sehnsüchtig auf eine weiteres Blatt mit Lokalteil warten.
Doch dürfte das Ende des Lieferungsvertrags von der Welt an Abendblatt und Morgenpost die Konkurrenz in der überregionalen Berichterstattung beleben. Funke hat hier zuletzt erschreckend wenige Akzente gesetzt, soll aber laut Aussage mehrerer Mitarbeiter derzeit an einer größeren Hauptstadtberichterstattung arbeiten, an der Morgenpost- und Abendblatt-Redakteure beteiligt würden. Es wird Zeit. Die großen Regionalzeitungskonkurrenten DuMont (Berliner Zeitung, Kölner Stadtanzeiger) und Madsack (Hannoversche Allgemeine, Leipziger Volkszeitung) haben längst große Hauptstadtbüros.
„Wir arbeiten derzeit im Kreis der Chefredakteure an einem Konzept“, sagt Erdmann. Konkret wird er allerdings nicht, dafür sei die Entscheidung der Verlagsgruppen noch zu frisch. Aber klar sei, dass sich auch die Funke-Gruppe die Frage stelle, wie ihre Titel zusammenarbeiten könnten. Erdmann spricht deshalb eher grundsätzlich von einem „enormen Potenzial“ und beschreibt das so: „Ich denke, es ist für Gesprächspartner durchaus eine interessante Alternative, wenn ein Interview statt in einem der üblichen nationalen Titel in einer Auflage von insgesamt 1,4 Millionen verkauften Exemplaren in Deutschland erscheint.“
Plötzlich ein großer Fisch
Die Morgenpost könnte durch den Sprung zu Funke zum größten Fisch im Aquarium werden. Mindestens zu einem Wels. Denn dass der einzigen Hauptstadtzeitung im Funke-Portfolio eine besondere Stellung beim Ausbau der Politik-, Wirtschafts- und Unterhaltungsberichterstattung zukommt, ist eigentlich unumgänglich. Schon zur Fußball-WM in Brasilien hatte die Morgenpost im vergangenen Sommer einen eigenen Reporter entsandt. Undenkbar zu Zeiten, als man noch in Springers Blauer Gruppe gefangen war.
Doch bei all den Gedankenspielen will Erdmann den Kern der Zeitung nicht aus den Augen verlieren und plant, die Berlin-Berichterstattung auszubauen. Kann schließlich nicht schaden, wenn die Welt mit ihrem Berlin-Teil gar nicht erst Fuß fasst. Dabei helfen soll auch eine neue Kooperation: Erdmann erzählt mit ziemlichem Stolz, dass seine Leute zusammen mit dem RBB in Sachen „Salafismus“ recherchieren, für eine gemeinsame Dokumentation im Fernsehen und eine gemeinsame Serie in der Zeitung. Es soll um Überregionales gehen, aber nicht zuletzt auch um Salafisten an der Spree.
Und dann ist da noch Erdmanns Lieblingsprojekt: der Datenjournalismus. Der ist für den Chefredakteur, der sich 2013 im Silicon Valley umgesehen hat, eine „wunderbare Form, um komplexe Zusammenhänge zu entschlüsseln und zu visualisieren“. In seinem Newsroom hat Erdmann ein Team aus drei Journalisten und Entwicklern installiert. Es soll bald wachsen: „Datenjournalismus bringt Exklusivität – und die brauchen wir.“
■ Anmerkung: Autor Jürn Kruse war von 2010 bis 2012 an der Axel Springer Akademie. Er schrieb auch für die Morgenpost.